Die Unionsbürger und ihre Rechte

Die Bürgerrechte und die Unionsbürgerschaft sind in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Charta), dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) und Artikel 9 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) verankert. Sie sind wesentliche Faktoren für die Herausbildung einer europäischen Identität. Wenn ein Mitgliedstaat in schwerwiegender Weise gegen Grundwerte der Union verstößt, können Sanktionen gegen ihn verhängt werden.

Rechtsgrundlage

Artikel 2, 3, 7 und 9 bis 12 EUV, Artikel 18 bis 25 AEUV und Artikel 39 bis 46 der Charta (4.1.2).

Ziele

Die Rechtsvorschriften der EU verleihen mehrere individuelle Rechte, die sowohl horizontal (zwischen Einzelpersonen) als auch vertikal (zwischen Einzelpersonen und dem Staat) vor Gericht unmittelbar geltend gemacht werden können. Inspiriert durch den in den Verträgen vorgesehenen freien Personenverkehr, wurde bereits in den 1960er-Jahren an die Einführung einer europäischen Form der Staatsbürgerschaft mit genau festgelegten Rechten und Pflichten gedacht. Nach Vorarbeiten, die Mitte der 1970er-Jahre begannen, wurde mit dem 1992 in Maastricht angenommenen EUV u. a. „die Stärkung des Schutzes der Rechte und Interessen der Angehörigen ihrer Mitgliedstaaten durch Einführung einer Unionsbürgerschaft“ als Ziel der Union festgelegt. Ein neuer Teil des EG-Vertrags (ehemals Artikel 17 bis 22) wurde der Unionsbürgerschaft gewidmet und beibehalten, als der Vertrag zum AEUV wurde.

In Anlehnung an den Begriff der nationalen Staatsbürgerschaft soll die Unionsbürgerschaft ein durch Rechte, Pflichten und politische Teilhabe der Bürger definiertes Bindungsverhältnis zwischen diesen und der Europäischen Union bezeichnen. Dadurch soll die Diskrepanz beseitigt werden, die sich aus der Tatsache ergibt, dass immer mehr Maßnahmen der EU die Bürger direkt betreffen, die Wahrnehmung der (Grund-)Rechte und Pflichten und die Teilnahme an den demokratischen Prozessen aber fast ausschließlich auf einzelstaatlicher Ebene stattfinden. Gemäß Artikel 15 Absatz 3 AEUV hat jede natürliche oder juristische Person in einem Mitgliedstaat das Recht auf Zugang zu Dokumenten der Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union. In Artikel 16 AEUV ist das Recht auf den Schutz personenbezogener Daten verankert (4.2.8). In Artikel 2 EUV heißt es: „Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören“.

In Artikel 7 EUV wird eine Bestimmung aufgegriffen, die bereits im Rahmen des vorangegangenen Vertrags von Nizza (1.1.4) bestand. Sie sieht einen Präventionsmechanismus für den Fall vor, dass die „eindeutige Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung“ der in Artikel 2 EUV genannten Werte durch einen Mitgliedstaat besteht, und einen Sanktionsmechanismus im Falle der Feststellung, dass „eine schwerwiegende und anhaltende Verletzung“ dieser Werte durch einen Mitgliedstaat vorliegt. Im ersten Fall fordert die Kommission den Europäischen Rat auf, einstimmig festzustellen, dass ein solches Risiko besteht (Artikel 7 Absatz 2). Hierdurch wird ein Verfahren in Gang gesetzt, das mit dem Entzug des Stimmrechts eines Mitgliedstaats im Rat enden kann. Dieser Mechanismus wurde erstmalig – aufgrund der Reform des Obersten Gerichts – 2017 gegen Polen ausgelöst.

Darüber hinaus sollen die Rechte und Interessen der Bürger der Mitgliedstaaten bzw. der Unionsbürger in den Beziehungen der Union zur übrigen Welt (Artikel 3 Absatz 5 EUV) besser geschützt werden.

Erfolge

Für lange Zeit bestand die Rechtsgrundlage der Bürgerrechte auf EU-Ebene in erster Linie in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH). Seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon und der Charta wurde die Rechtsgrundlage auf eine tatsächliche Unionsbürgerschaft erweitert.

A. Definition der Unionsbürgerschaft

Unionsbürger ist nach Artikel 9 EUV und Artikel 20 AEUV, wer die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats der Union besitzt. Diese definiert sich aus der Anwendung der nationalen Rechtsvorschriften dieses Staates. Die Unionsbürgerschaft ergänzt die nationale Staatsbürgerschaft, ersetzt sie aber nicht. Sie umfasst eine Reihe von Rechten und Pflichten, die zu den Rechten und Pflichten hinzukommen, die sich aus der Staatsbürgerschaft eines Mitgliedstaats ergeben. In der Rechtssache C-135/08 Janko Rottmann/Freistaat Bayern (Randnummer 23 der Schlussanträge) erläutert der Generalanwalt am EuGH, Poiares Maduro, den Unterschied:

„Hierbei handelt es sich um zwei Begriffe, die zugleich untrennbar miteinander verbunden und autonom sind. Die Unionsbürgerschaft setzt die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats voraus, stellt jedoch auch ein im Verhältnis zu dem der Staatsangehörigkeit autonomes rechtliches und politisches Konzept dar. Die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats eröffnet nicht nur den Zugang zu den vom Gemeinschaftsrecht verliehenen Rechten, sie macht uns zu Bürgern der Union. Die Europabürgerschaft stellt mehr dar als ein Bündel von Rechten, die als solche auch denjenigen verliehen werden könnten, die die Unionsbürgerschaft nicht besitzen. Sie setzt das Bestehen eines Bandes politischer Natur zwischen den Bürgern Europas voraus, obwohl es sich nicht um ein Band der Zugehörigkeit zu einem Volk handelt. [...] Es beruht auf der von ihnen eingegangenen gegenseitigen Verpflichtung, ihr jeweiliges politisches Gemeinwesen den anderen europäischen Bürgern zu öffnen und eine neue Form der bürgerschaftlichen und politischen Verbundenheit auf europäischer Ebene zu schaffen.

Es setzt nicht ein bestehendes Volk voraus, sondern beruht auf dem Vorhandensein eines europäischen politischen Raums, aus dem Rechte und Pflichten erwachsen. Dadurch, dass sie nicht das Bestehen eines europäischen Volkes voraussetzt, löst sich die Bürgerschaft konzeptionell von der Staatsangehörigkeit. Wie ein Autor angemerkt hat, liegt der radikal innovative Charakter des Konzepts der Europabürgerschaft in dem Umstand begründet, dass ‚die Union für und aus Bürgern besteht, die per definitionem nicht dieselbe Staatsangehörigkeit besitzen‘. Die Mitgliedstaaten wollten im Gegenteil dadurch, dass sie die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats als Voraussetzung für den Erwerb der Unionsbürgerschaft festlegten, deutlich machen, dass diese neue Form der Bürgerschaft die ursprüngliche Verbundenheit mit unserem nationalen politischen Gemeinwesen nicht infrage stellt. So wird durch die Verknüpfung mit der Staatsangehörigkeit der verschiedenen Mitgliedstaaten anerkannt, dass es eine Bürgerschaft geben kann (und tatsächlich gibt), die nicht durch die Staatsangehörigkeit vermittelt wird.

Darin liegt das Wunder der Unionsbürgerschaft: Sie verstärkt die Bindungen an unsere Staaten (soweit wir eben deshalb Unionsbürger sind, weil wir Angehörige unserer Staaten sind), und zugleich emanzipiert sie uns von ihnen (soweit wir nunmehr Bürger über unsere Staaten hinaus sind). Der Zugang zur Europabürgerschaft wird durch die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats vermittelt, die durch das nationale Recht geregelt wird, aber, wie jede Form der Bürgerschaft, bildet sie die Grundlage für einen neuen politischen Raum, aus dem Rechte und Pflichten erwachsen, die durch das Gemeinschaftsrecht festgelegt werden und nicht vom Staat abhängen. [...] Wenn es zutrifft, dass die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats den Zugang zur Unionsbürgerschaft bedingt, dann ist es demnach ebenso richtig, dass die mit Letzterer verbundenen Rechte und Pflichten durch Erstere nicht in ungerechtfertigter Weise beschränkt werden dürfen.“

Nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU wurde eine Entscheidung über die Rechte getroffen, die die in Mitgliedstaaten lebenden britischen Staatsangehörigen und die im Vereinigten Königreich lebenden Unionsbürger erworben haben. Jeder Mitgliedstaat hat seinen Bürgern im Laufe der Jahre gesetzlich verankerte Rechte verliehen, und auch das Unionsrecht begründet mehrere individuelle Rechte, die der Rechtsprechung des EuGH zufolge (Van Gend & Loos) unmittelbar vor Gericht geltend gemacht werden können. Es ist davon auszugehen, dass die Einschränkung dieser gesetzlich verankerten Rechte in genau den nationalen Rechtsvorschriften zu finden ist, aus denen sie hervorgehen.

B. Ausgestaltung der Unionsbürgerschaft (Artikel 20 AEUV)

Der Status der Unionsbürgerschaft beinhaltet für jeden Unionsbürger:

  • das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (Artikel 21 AEUV) (4.1.3);
  • das aktive und passive Wahlrecht bei den Wahlen zum Europäischen Parlament und bei den Kommunalwahlen in dem Mitgliedstaat, in dem er seinen Wohnsitz hat (Artikel 22 Absatz 1 AEUV), wobei für ihn dieselben Bedingungen gelten wie für die Angehörigen dieses Staates (bezüglich der Bestimmungen für die Teilnahme an den Kommunalwahlen siehe Richtlinie 94/80/EG vom 19. Dezember 1994 und bezüglich der Bestimmungen für die Teilnahme an den Wahlen zum Europäischen Parlament siehe Richtlinie 93/109/EG vom 6. Dezember 1993) (1.3.4);
  • das Recht, in einem (nicht der EU angehörenden) Drittstaat, in dem der Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit der Unionsbürger besitzt, nicht diplomatisch vertreten ist, diplomatischen Schutz durch die diplomatischen oder konsularischen Behörden eines jeden Mitgliedstaats zu erhalten, und zwar im gleichen Maße wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats;
  • das Recht, eine Petition an das Europäische Parlament zu richten, und das Recht, sich an den Bürgerbeauftragten zu wenden, der vom Europäischen Parlament ernannt wird, um Missstände in der Verwaltungstätigkeit der Organe und der Einrichtungen der Union festzustellen (beide nach Artikel 24 AEUV), wobei diese Verfahren in den Artikeln 227 und 228 AEUV geregelt sind (1.3.16 und 4.1.4);
  • das Recht, sich schriftlich in einer der Sprachen der Mitgliedstaaten an jedes Organ und an jede Einrichtung der Union zu wenden und eine Antwort in derselben Sprache zu erhalten (Artikel 24 Absatz 4 AEUV);
  • das Recht auf Zugang zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission vorbehaltlich bestimmter Bedingungen (Artikel 15 Absatz 3 AEUV).

C. Geltungsbereich

Die bislang verwirklichte Ausgestaltung der Unionsbürgerschaft ist in weiten Teilen (mit Ausnahme des Wahlrechts) lediglich eine Systematisierung bereits bestehender Rechte (insbesondere hinsichtlich der Freizügigkeit, des Aufenthaltsrechts und des Petitionsrechts), wobei nun eine primärrechtliche Festschreibung aufgrund einer politischen Vorstellung erfolgt ist.

Mit der Unionsbürgerschaft sind im Gegensatz zum Verfassungsverständnis in den europäischen Staaten seit der französischen Menschen- und Bürgerrechtserklärung von 1789 keine bestimmten Grundrechtsgewährleistungen verbunden. Aus Artikel 6 EUV geht zwar hervor, dass die Union die Rechte, die in der Charta niedergelegt sind, anerkennt und der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten beitritt, doch der Rechtsstatus der Unionsbürgerschaft wird darin nicht präzisiert.

Bislang beinhaltet die Unionsbürgerschaft trotz der entsprechenden Formulierung in Artikel 20 Absatz 2 AEUV keine Pflichten für die Unionsbürger, was einen ganz wesentlichen Unterschied zur Staatsbürgerschaft der Mitgliedstaaten darstellt.

In einem kürzlich ergangenen Urteil entschied der EuGH (in der Rechtssache C-689/21) jedoch, dass es Sache der einzelnen Mitgliedstaaten ist, die Voraussetzungen für den Erwerb und den Verlust der Staatsangehörigkeit festzulegen. In einem konkreten Fall stand das Unionsrecht dem dauerhaften Verlust z. B. der dänischen Staatsangehörigkeit und damit der Unionsbürgerschaft nicht entgegen. Dänemark durfte daher die Beibehaltung der dänischen Staatsangehörigkeit vom Bestehen einer echten Bindung zu diesem Land abhängig machen. Gesetzt den Fall, dass die betreffende Person jedoch nicht die Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaats der Union besitzt, ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebührend zu beachten.

Darüber hinaus hat der Gerichtshof nach dem „Brexit“ am 15. Juni 2023 entschieden, dass der Verlust des Status als Unionsbürger eine automatische Folge allein des vom Vereinigten Königreich souverän gefassten Beschlusses ist, aus der Union auszutreten, und nicht des Austrittsabkommens oder des Beschlusses des Rates, mit dem dieses Abkommen genehmigt wurde (Rechtssachen C-499/21 P, Silver u. a./Rat, C-501/21 P, Shindler u. a./Rat, und C-502/21 P, Price/Rat).

Die Kommission berichtet alle drei Jahre über die Anwendung der EU-Rechtsvorschriften im Bereich der Unionsbürgerschaft und der Nichtdiskriminierung. Der neue Bericht 2023 enthält eine Bestandsaufnahme der Entwicklungen in diesem Bereich seit dem letzten Bericht über die Unionsbürgerschaft im Jahr 2020, einschließlich der Entwicklungen am Gerichtshof der Europäischen Union.

D. Die Europäische Bürgerinitiative (4.1.5)

In Artikel 11 Absatz 4 EUV ist ein neues Recht für EU-Bürger verankert: „Unionsbürgerinnen und Unionsbürger, deren Anzahl mindestens eine Million betragen und bei denen es sich um Staatsangehörige einer erheblichen Anzahl von Mitgliedstaaten handeln muss, können die Initiative ergreifen und die Europäische Kommission auffordern, im Rahmen ihrer Befugnisse geeignete Vorschläge zu Themen zu unterbreiten, zu denen es nach Ansicht jener Bürgerinnen und Bürger eines Rechtsakts der Union bedarf, um die Verträge umzusetzen“. Die Bedingungen für die Einreichung einer solchen Bürgerinitiative und ihre Zulässigkeit sind in der Verordnung (EU) Nr. 211/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates verankert. Eine Übersicht über ihre wichtigsten Bestimmungen ist unter 4.1.5 abrufbar.

Rolle des Europäischen Parlaments

Mit der Direktwahl des Europäischen Parlaments nehmen die Unionsbürger eines der wesentlichen Rechte ihrer Unionsbürgerschaft wahr, nämlich die demokratische Beteiligung am politischen Entscheidungsprozess in Europa (Artikel 39 der Charta). Bezüglich der Modalitäten für die Wahl seiner Mitglieder hat das Parlament stets ein in sämtlichen Mitgliedstaaten einheitliches Wahlsystem gefordert. In Artikel 223 AEUV ist vorgesehen, dass das Parlament einen entsprechenden Vorschlag ausarbeitet („Entwurf der erforderlichen Bestimmungen für die allgemeine unmittelbare Wahl seiner Mitglieder nach einem einheitlichen Verfahren in allen Mitgliedstaaten oder im Einklang mit den allen Mitgliedstaaten gemeinsamen Grundsätzen“). Der Rat erlässt daraufhin die erforderlichen Bestimmungen (einstimmig und nach Zustimmung der Mehrheit der Mitglieder), die nach Billigung durch die Mitgliedstaaten im Einklang mit ihren jeweiligen verfassungsrechtlichen Vorschriften in Kraft treten (1.3.4).

Das Parlament wollte die Unionsbürgerschaft von Anfang an mit umfassenden Rechten ausstatten. Es sprach sich dafür aus, dass die Unionsbürgerschaft autonom durch die Union definiert wird, um den Unionsbürgern einen eigenständigen Status zu gewähren. Außerdem trat es von vornherein für die primärrechtliche Festschreibung von Grund- und Menschenrechten ein und forderte für die Unionsbürger das Recht auf Anrufung des EuGH im Falle der Verletzung dieser Rechte durch Organe der Union oder durch einen Mitgliedstaat (Entschließung vom 21. November 1991).

Nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU forderte das Europäische Parlament in seiner Entschließung vom 15. Januar 2020 in Bezug auf die von rund 3,2 Millionen Bürgern aus 27 Mitgliedstaaten, die im Vereinigten Königreich leben, erworbenen Rechte nachdrücklich, dass im Hinblick auf frühere „Erfahrungen und Zusicherungen“ für einen angemessenen Schutz der Rechte der Bürger gesorgt wird. In dem angenommenen Text werden auch die Regierungen der 27 EU-Mitgliedstaaten nachdrücklich aufgefordert, für die rund 1,2 Millionen britischen Bürger, die in der EU leben, großzügige Regelungen zu treffen.

Entsprechend den Forderungen des Europäischen Parlaments ist in Artikel 263 Absatz 4 AEUV vorgesehen, dass jede natürliche oder juristische Person gegen an sie gerichtete oder sie unmittelbar und individuell betreffende Handlungen sowie gegen Rechtsakte mit Verordnungscharakter, die sie unmittelbar betreffen und keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen, Klage erheben kann.

Bezüglich des Rechts auf Zugang zu Dokumenten nahm das Europäische Parlament am 17. Dezember 2009 eine Entschließung zu der notwendigen Überarbeitung des Rechtsrahmens für den Zugang zu Dokumenten nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon an. Darin bekräftigte es insbesondere, dass der Geltungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 auf alle Organe und Einrichtungen, die vom ursprünglichen Text nicht erfasst sind, ausgeweitet werden muss.

Die Organisatoren einer Europäischen Bürgerinitiative werden drei Monate nach der Einreichung der Initiative von Vertretern der Kommission empfangen und haben außerdem die Möglichkeit, ihre Initiative bei einer öffentlichen Anhörung im Europäischen Parlament vorzustellen. Die Anhörung wird von dem Ausschuss organisiert, der für den Gegenstand der Bürgerinitiative zuständig ist (Artikel 222 der Geschäftsordnung des Parlaments).

Das Europäische Parlament veranstaltete unter dem gemeinsamen Vorsitz mit dem Rat und der Kommission – wobei sie als gleichberechtigte Partner mit den Mitgliedstaaten agierten – die Konferenz zur Zukunft Europas. Sie sollte den europäischen Bürgern einen neuen Raum bieten, um über die Herausforderungen und Prioritäten Europas zu debattieren. Die Schlussfolgerungen der Konferenz und Empfehlungen für die Zukunft Europas wurden im Mai 2022 in einem Bericht des gemeinsamen Vorsitzes vorgelegt. Das Europäische Parlament hat sich verpflichtet, den Empfehlungen aus dem Bericht, die in seinen Zuständigkeitsbereich fallen, nachzukommen. Am 17. Juni 2022 veröffentlichte die Kommission eine Mitteilung mit dem Titel „Konferenz zur Zukunft Europas: Von der Vision zu konkreten Maßnahmen“.

Zu den umstrittenen „goldenen Pässen“, mit denen manche Mitgliedstaaten ihre Staatsbürgerschaft und somit auch die Unionsbürgerschaft verkaufen, um ausländische Investoren anzuziehen, stellte das Parlament in seiner Entschließung vom 16. Januar 2014 klar, dass die Werte und Errungenschaften der Unionsbürgerschaft kein „Preisschild“ tragen dürften. In einer am 10. Juli 2020 angenommenen Entschließung bekräftigte das Europäische Parlament seine an die Mitgliedstaaten gerichtete Forderung, alle bestehenden Programme, bei denen im Gegenzug zu Investitionen die Staatsbürgerschaft verliehen oder ein Aufenthaltsrecht gewährt wird, auslaufen zu lassen, da diese häufig mit Geldwäsche in Verbindung stehen und das gegenseitige Vertrauen und die Integrität des Schengen-Raums untergraben könnten. Am 29. September 2022 beschloss die Kommission, beim EuGH ein Verfahren gegen Malta wegen seiner Staatsbürgerschaftsregelung für Investoren, die auch als „goldener Pass“ bezeichnet wird, einzuleiten (Vertragsverletzungsverfahren beim EuGH nach Artikel 258 Absatz 2 AEUV). Die Kommission ist der Auffassung, dass die Gewährung der Staatsangehörigkeit – und damit der Unionsbürgerschaft – im Austausch gegen im Voraus bestimmte Zahlungen oder Investitionen ohne eine wirkliche Verbindung zu den betreffenden Mitgliedstaaten nicht mit dem in Artikel 4 Absatz 3 EUV verankerten Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit vereinbar ist. Ferner werde dadurch die Integrität des Status der Unionsbürgerschaft gemäß Artikel 20 AEUV untergraben. Am 9. März 2022 nahm das Parlament eine Entschließung zum Erwerb einer Staatsbürgerschaft oder von Aufenthaltsrechten im Gegenzug für Investitionen an, in der es die Kommission aufforderte, vor Ablauf ihres derzeitigen Mandats einen Vorschlag für eine Verordnung vorzulegen, mit dem verschiedene Aspekte von Aufenthaltsregelungen für Investoren umfassend geregelt werden, um Normen und Verfahren zu harmonisieren und die Bekämpfung von organisierter Kriminalität, Geldwäsche, Korruption und Steuerhinterziehung zu verstärken. Am 28. März 2022 nahm die Kommission im Zusammenhang mit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine eine Empfehlung zu unmittelbaren Schritten in Bezug auf Staatsbürgerschaftsregelungen und Aufenthaltsregelungen für Investoren an.

Diese Kurzdarstellung wurde von der Fachabteilung Bürgerrechte und konstitutionelle Angelegenheiten des Europäischen Parlaments erstellt.

 

Udo Bux / Mariusz Maciejewski