Die Erweiterung der Europäischen Union
Am 1. Juli 2013 trat Kroatien als 28. (jetzt 27.) Mitgliedstaat der Europäischen Union bei. Seither sind keine weiteren Länder der EU beigetreten und das Vereinigte Königreich hat die EU am 31. Januar 2020 verlassen. Mit Montenegro, Serbien und der Türkei wurden Beitrittsverhandlungen und Verhandlungskapitel eröffnet. Mit Albanien und Nordmazedonien wurden im Juli 2022 Beitrittsverhandlungen aufgenommen. Im März 2024 wurden mit Bosnien und Herzegowina Beitrittsverhandlungen aufgenommen. Das Kosovo stellte im Dezember 2022 einen Antrag auf Aufnahme in die EU. Im Dezember 2023 entschied die EU, Beitrittsverhandlungen mit Moldau und der Ukraine aufzunehmen und Georgien den Status eines Bewerberlandes einzuräumen (5.5.6 und 5.5.7).
Rechtsgrundlage
- In Artikel 49 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) ist festgelegt, welche Staaten einen Antrag auf Mitgliedschaft stellen können.
- In Artikel 2 EUV sind die Werte niedergelegt, auf die sich die EU gründet.
Ziele
Ziel der EU-Erweiterungspolitik ist es, die europäischen Länder in einem gemeinsamen politischen und wirtschaftlichen Projekt zu vereinen. Die Erweiterungen der EU gründen sich auf ihre Werte und unterliegen strengen Auflagen. Dadurch haben sie sich als eines der erfolgreichsten Instrumente zur Förderung politischer, wirtschaftlicher und sozialer Reformen und zur Konsolidierung von Frieden, Stabilität und Demokratie auf dem gesamten Kontinent erwiesen. Die Erweiterungspolitik stärkt zudem die Präsenz der EU auf internationaler Ebene.
Hintergrund
A. Beitrittsbedingungen
Jeder europäische Staat kann beantragen, Mitglied der Union zu werden, sofern er die gemeinsamen Werte der EU achtet und sich für deren Förderung einsetzt (Artikel 49 EUV). Die vom Europäischen Rat 1993 in Kopenhagen festgelegten Kopenhagener Kriterien sind für den Prozess der Integration in die EU für alle Bewerberländer und potenziellen Bewerberländer von grundlegender Bedeutung. Hierzu gehören:
- die institutionelle Stabilität als Garantie für die demokratische und rechtsstaatliche Ordnung, die Wahrung der Menschenrechte sowie die Achtung und den Schutz von Minderheiten;
- eine funktionsfähige Marktwirtschaft sowie die Fähigkeit, dem Wettbewerbsdruck und den Marktkräften innerhalb der EU standzuhalten;
- die Fähigkeit, die aus der Mitgliedschaft erwachsenden Verpflichtungen zu übernehmen und sich die Ziele der politischen Union sowie der Wirtschafts- und Währungsunion zu eigen zu machen und den die gemeinsamen Vorschriften, Normen und Maßnahmen umfassenden gemeinschaftlichen Besitzstand zu übernehmen.
Im Dezember 2006 einigte sich der Europäische Rat auf einen „neuen Erweiterungskonsens“, der auf Konsolidierung, Konditionalität und Kommunikation sowie auf der Fähigkeit der EU zur Integration neuer Mitglieder beruht.
B. Die Aufnahmefähigkeit der Europäischen Union: institutionelle Regelungen
Die einzelnen Erweiterungen waren ein wesentlicher Bestandteil der institutionellen Verhandlungen, die zur Verabschiedung des Vertrags von Lissabon führten. Die EU musste ihre Organe und Beschlussfassungsverfahren für die Aufnahme neuer Mitgliedstaaten anpassen und sicherstellen, dass die Erweiterung nicht zulasten einer effizienten, rechenschaftspflichtigen Politikgestaltung erfolgen würde. Mit dem Vertrag von Lissabon wurden tiefgreifende Änderungen an der Zusammensetzung und der Arbeit der wichtigsten EU-Organe vorgenommen. Mit einigen dieser Änderungen wurde der Notwendigkeit eines nachhaltigen Regelungsrahmens entsprochen, damit nicht bei jeder neuen Erweiterung neue Änderungen vorgenommen werden müssen.
C. Verfahren
Ein Land, das der EU beitreten möchte, richtet einen Antrag an den Rat. Dieser wiederum ersucht die Kommission um eine Stellungnahme. Das Parlament wird über den Antrag unterrichtet. Wenn die Stellungnahme der Kommission positiv ausfällt, kann der Europäische Rat (einstimmig) entscheiden, dem Land den Status eines Bewerberlandes zu gewähren. Im Anschluss an eine Empfehlung der Kommission entscheidet der Rat (wiederum einstimmig) darüber, ob Verhandlungen aufgenommen werden sollen. Die gesamten Rechtsvorschriften der EU (der gemeinschaftliche Besitzstand) sind in mehr als 30 Kapitel unterteilt. Vor Beginn der eigentlichen Verhandlungen legt die Kommission einen Bericht über eine Vorprüfung („Screening“) für jedes dieser Kapitel vor. Auf der Grundlage der Empfehlung der Kommission entscheidet der Rat einstimmig, ob weitere Verhandlungskapitel oder ganze Cluster eröffnet werden. Sobald der Fortschritt als zufriedenstellend eingestuft wird, kann die Kommission die vorläufige Schließung eines Verhandlungskapitels oder eines Clusters empfehlen. Auch hierüber entscheidet der Rat einstimmig unter Berücksichtigung der Gesamtfortschritte im Bereich der Rechtsstaatlichkeit. Nach dem Abschluss der Verhandlungen über sämtliche Kapitel oder Cluster werden die Bedingungen, einschließlich etwaiger Ausnahmeregelungen und Übergangsmaßnahmen, in einen Beitrittsvertrag zwischen den Mitgliedstaaten und dem Beitrittsland aufgenommen. Erst wenn das Parlament seine Zustimmung erteilt und der Rat ihn einstimmig gebilligt hat, kann der Beitrittsvertrag unterzeichnet werden. Anschließend wird er allen Vertragsstaaten, einschließlich dem Beitrittsland, in Übereinstimmung mit ihren verfassungsrechtlichen Vorschriften zur Ratifizierung vorgelegt (d. h. Ratifizierung durch das Parlament oder im Rahmen eines Referendums).
Bisherige Erweiterungen
Land | Mitgliedstaat seit | Besonderheiten |
---|---|---|
Belgien Frankreich Deutschland Italien Luxemburg Niederlande |
1958 | Ursprüngliche Unterzeichnerstaaten der Römischen Verträge von 1957 |
Dänemark Irland Vereinigtes Königreich[1] |
1973 | |
Griechenland | 1981 | Mit dieser Erweiterung wurde die Demokratie in Griechenland gefestigt. |
Portugal Spanien |
1986 | Mit dieser Erweiterung wurde die Demokratie in Portugal und Spanien gefestigt. |
Österreich Finnland Schweden |
1995 | |
Zypern Tschechien Estland Ungarn Lettland Litauen Malta Polen Slowakei Slowenien |
2004 | Diese Erweiterung sollte der Wiedervereinigung des Kontinents nach dem Fall der Berliner Mauer und dem Zusammenbruch der Sowjetunion dienen; sie wurde auf der Tagung des Europäischen Rates vom Dezember 1997 eingeleitet. Die Verhandlungen wurden auf der Grundlage eines einheitlichen Verhandlungsrahmens mit jedem Land getrennt geführt. |
Bulgarien Rumänien |
2007 | Aufgrund der Geschwindigkeit ihres Reformprozesses konnten Bulgarien und Rumänien 2004 noch nicht beitreten. Es wurde ein Kooperations- und Überprüfungsmechanismus für Schlüsselbereiche (Reform des Justizwesens, Korruptionsbekämpfung und im Fall Bulgariens außerdem die Bekämpfung des organisierten Verbrechens) eingeführt, mit dem die Fortschritte in diesen Bereichen auch nach dem Beitritt überwacht werden. |
Kroatien | 2013 | Die Beitrittsverhandlungen mit Kroatien unterlagen den strengeren Bedingungen, welche im Dezember 2006 mit dem neuen Erweiterungskonsens des Europäischen Rates eingeführt wurden. |
A. Westlicher Balkan
Die Beziehungen zu den Ländern des westlichen Balkans fallen in den Rahmen des 1999 eingeleiteten Stabilisierungs- und Assoziierungsprozesses. Dieser stützt sich auf bilaterale Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen.
Der EU-Beitritt Kroatiens am 1. Juli 2013 stellt einen wichtigen Anreiz für andere Länder der Region dar. Aufbauend auf der Erfahrung mit Kroatien schlug die Kommission in ihrer Erweiterungsstrategie 2011-2012 weitere Verbesserungen ihres Verhandlungsansatzes vor; unter anderem soll demnach der Schwerpunkt verstärkt auf Fragen der Rechtsstaatlichkeit gelegt werden. Dies bedeutet, dass die Verhandlungskapitel über Justizreformen und Grundrechte (Kapitel 23) und über Recht, Freiheit und Sicherheit (Kapitel 24) in allen künftigen Verhandlungen bereits in einem frühen Stadium eröffnet werden und die letzten Kapitel sind, die abgeschlossen werden. Dieser Ansatz wurde in der Mitteilung der Kommission vom 5. Februar 2020 mit dem Titel „Stärkung des Beitrittsprozesses – Eine glaubwürdige EU-Perspektive für den westlichen Balkan“, in der eine überarbeitete Methodik für die Erweiterung auf dem westlichen Balkan eingeführt wurde, bekräftigt und gestärkt. Er ist auch ein integraler Bestandteil des Wirtschafts- und Investitionsplans für den westlichen Balkan, der als Teil des Erweiterungspakets der Kommission aus dem Jahr 2020 veröffentlicht wurde. Am 8. November 2023 nahm die Kommission einen neuen Wachstumsplan im Wert von 6 Mrd. EUR für den westlichen Balkan an, welcher auf vier Säulen basiert und den Zeitraum 2024-2027 abdeckt. Der Plan soll einige der Vorteile einer EU-Mitgliedschaft bereits vor dem Beitritt in die Region bringen, die mit strengen Ex-ante-Bedingungen für Zahlungen einhergehen.
Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine und die Entscheidung der EU, Georgien, Moldau und der Ukraine den Status von Bewerberländern zu gewähren und Beitrittsverhandlungen mit Moldau und der Ukraine aufzunehmen, haben auch dazu geführt, dass die Integration in die EU der Bewerberländer und potenziellen Bewerberländer des westlichen Balkans erneut in den Mittelpunkt gerückt ist.
Bislang sind nach erfolgter Vorprüfung alle 33 Verhandlungskapitel mit Montenegro eröffnet worden; es wurden bisher jedoch nur drei davon vorläufig abgeschlossen. Mit Serbien wurden 22 von 35 Verhandlungskapiteln eröffnet, von denen zwei vorläufig abgeschlossen wurden. Trotz der beträchtlichen Zahl der eröffneten Kapitel sind die Reformen im Zusammenhang mit der EU-Integration in beiden Ländern in den letzten Jahren weitgehend zum Stillstand gekommen.
Im März 2020 gab der Rat schließlich grünes Licht für die Eröffnung der Beitrittsverhandlungen mit Albanien und Nordmazedonien (im Falle Albaniens vorbehaltlich bestimmter Bedingungen). Im Juli 2020 legte die Kommission den Mitgliedsstaaten den Entwurf des Verhandlungsrahmens vor – den ersten, in dem die überarbeitete Methodik für die Erweiterung auf dem westlichen Balkan berücksichtigt wurde. Die Beitrittsverhandlungen mit beiden Ländern wurden nach langen Verzögerungen, die hauptsächlich Problemen zwischen Nordmazedonien und Bulgarien in Bezug auf Identität, Sprache und Geschichte geschuldet waren, im Juli 2022 offiziell aufgenommen.
Das Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen zwischen der EU und Bosnien und Herzegowina ist am 1. Juni 2015 in Kraft getreten. Im Februar 2016 reichte Bosnien und Herzegowina seinen Beitrittsantrag ein. In ihrer Stellungnahme vom Mai 2019 führte die Kommission 14 Schlüsselprioritäten auf, die Bosnien und Herzegowina erfüllen muss, damit die Beitrittsverhandlungen aufgenommen werden. Obwohl Bosnien und Herzegowina die meisten dieser Prioritäten nicht umgesetzt hat, wurde ihm im Dezember 2022 der Status eines Bewerberlandes zuerkannt. Nach einer positiven Empfehlung der Kommission beschloss der Europäische Rat im März 2024, ohne weitere Vorbedingungen EU-Beitrittsverhandlungen mit Bosnien und Herzegowina aufzunehmen.
Das Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen zwischen der EU und dem Kosovo trat am 1. April 2016 in Kraft. Im Dezember 2022 stellte das Kosovo einen Antrag auf EU-Mitgliedschaft. Nach einer entscheidenden Abstimmung im Parlament im April 2023 gilt für das Kosovo ab Januar 2024 Visafreiheit für Einreisen in den Schengen-Raum. Das Kosovo führt darüber hinaus einen von der EU moderierten Dialog mit Serbien, der zu einem rechtsverbindlichen umfassenden Abkommen über die Normalisierung der Beziehungen der beiden Länder zueinander führen soll. Sowohl das Kosovo als auch Serbien müssen ihre Bemühungen zur Erfüllung ihrer Verpflichtungen verstärken, die aus einer überarbeiteten Vereinbarung von Anfang 2023 hervorgehen, welche die festgefahrenen Verhandlungen wiederbeleben sollte.
B. Türkei
Die Türkei stellte 1987 einen Antrag auf EU-Mitgliedschaft und wurde 1999 zum Bewerberland erklärt. Im Oktober 2005 wurden Verhandlungen aufgenommen. Acht Kapitel sind derzeit blockiert, und solange die Türkei das Zusatzprotokoll zum Assoziierungsabkommen von Ankara nicht auf Zypern anwendet, wird kein Kapitel vorläufig abgeschlossen. Einzelne Mitgliedstaaten haben sich gegen die Eröffnung weiterer Kapitel ausgesprochen. Nach mehr als drei Jahren des Stillstands wurde im November 2013 ein neues Verhandlungskapitel eröffnet. Ein weiteres wurde im Dezember 2015 eröffnet. Am 18. März 2016 bekräftigten die Türkei und die EU ihren Willen, den gemeinsamen Aktionsplan zur Eindämmung des Zustroms irregulärer Migranten in die EU umzusetzen und den Beitrittsprozess wiederzubeleben. Dies führte zu der Eröffnung eines weiteren Kapitels im Juni 2016, womit die Gesamtzahl der eröffneten Kapitel bei 16 von 35 lag, von denen eines bereits vorläufig geschlossen worden war. In Anbetracht dessen, dass sich die Lage im Bereich der Rechtsstaatlichkeit insbesondere infolge des Putschversuchs vom Juli 2016 dramatisch verschlechtert hat, liegt der Beitrittsprozess mit der Türkei derzeit allerdings de facto auf Eis. Die Beziehungen zwischen der EU und der Türkei sind zudem durch die außenpolitischen Entscheidungen der Türkei und ihre Befürwortung der „Zwei Staaten auf einer Insel“-Lösung in der Zypernfrage belastet.
Rolle des Europäischen Parlaments
Laut Artikel 49 EUV muss das Parlament seine Zustimmung zu jedem EU-Beitritt erteilen. Es spielt zudem eine wichtige Rolle in Bezug auf die finanziellen Aspekte des Beitritts: Durch seine Haushaltsbefugnisse hat es direkten Einfluss auf die Beträge, die dem Instrument für Heranführungshilfe zugewiesen werden.
Der Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten des Parlaments benennt ständige Berichterstatter für alle Bewerberländer und potenziellen Bewerberländer. Das Parlament legt seinen Standpunkt zur Erweiterung in Form von jährlichen Entschließungen zu den neuesten jährlichen Länderberichten der Kommission dar. Am 23. November 2022 nahm das Parlament Empfehlungen für eine neue Strategie der EU für die Erweiterung an, einschließlich der Empfehlung, Verhandlungen mit Beitrittsländern bis spätestens Ende des laufenden Jahrzehnts abzuschließen. Am 29. Februar 2024 nahm das Parlament eine Entschließung zu einer Vertiefung der EU-Integration mit Blick auf eine künftige Erweiterung an. Das Parlament unterhält über seine Delegationen, die regelmäßig mit ihren Amtskollegen Fragen erörtern, die für ihre jeweiligen Integrationspfade in die EU von Bedeutung sind, auch bilaterale Beziehungen zu den Parlamenten aller Erweiterungsländer. Es hat in allen Erweiterungsländern Wahlbeobachtungen durchgeführt, mit Ausnahme der Türkei, deren Einladung dafür noch aussteht.
André De Munter