Entwicklung bis zur Einheitlichen Europäischen Akte
Mit den wichtigsten Änderungen der Gründungsverträge wurden das System der Eigenmittel der Gemeinschaft etabliert, die Haushaltsbefugnisse des Parlaments gestärkt, die allgemeine unmittelbare Wahl zum Europäischen Parlament eingeführt und das Europäische Währungssystem (EWS) errichtet. Die Einheitliche Europäische Akte trat 1986 in Kraft und brachte wesentliche Änderungen des Vertrags von Rom mit sich: Durch die Schaffung eines umfangreichen Binnenmarkts wurde die Integration erheblich gestärkt.
Wichtige Erfolge in der Anfangsphase der Integration
Nach Artikel 8 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), auch bekannt als Vertrag von Rom, sollte ein gemeinsamer Markt geschaffen werden. Dafür war ein zwölfjähriger Übergangszeitraum in drei Phasen bis zum 31. Dezember 1969 vorgesehen. Das erste Ziel, die Zollunion, wurde schneller verwirklicht als geplant. Der Übergangszeitraum, in dem die Kontingente vergrößert und die Binnenzölle schrittweise abgeschafft werden sollten, dauerte nur bis zum 1. Juli 1968. Doch bestanden danach immer noch große Hindernisse für den freien Warenverkehr. Im gleichen Zeitraum führte die EWG einen gemeinsamen Außenzoll auf die Einfuhren aus Drittländern ein.
Ein weiterer bedeutender Baustein im europäischen Aufbauwerk war die Landwirtschaft. 1962 wurden die ersten Verordnungen zur Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) verabschiedet und der Europäische Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft geschaffen.
Erste Vertragsänderungen
A. Institutionelle Verbesserungen
Die erste institutionelle Änderung bewirkte der sogenannte Fusionsvertrag vom 8. April 1965, der 1967 in Kraft trat und Bestimmungen über die Verschmelzung der Exekutivorgane enthielt. Auf diesem Wege wurden ein gemeinsamer Rat und eine gemeinsame Kommission für die Europäischen Gemeinschaften (die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl, die EWG und die Europäische Atomgemeinschaft) begründet und der Grundsatz der Einheit des Haushaltsplans eingeführt.
B. Eigenmittel und Haushaltsbefugnisse
Mit dem Beschluss des Rates vom 21. April 1970 über die Ersetzung der Finanzbeträge der Mitgliedstaaten durch eigene Mittel der Gemeinschaften wurde anstelle der Finanzbeiträge der Mitgliedstaaten ein Eigenmittelsystem für die Gemeinschaft geschaffen (1.4.1).
- Im Vertrag von Luxemburg vom 22. April 1970 wurden dem Europäischen Parlament bestimmte Haushaltsbefugnisse übertragen (1.3.1).
- Mit dem Vertrag zur Änderung bestimmter Finanzvorschriften der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften und des Vertrages zur Einsetzung eines gemeinsamen Rates und einer gemeinsamen Kommission der Europäischen Gemeinschaften (dem Vertrag von Brüssel) vom 22. Juli 1975 erhielt das Parlament schließlich das Recht, den Haushaltsplan abzulehnen und die Kommission für den Haushaltsvollzug zu entlasten. Ferner wurde der Rechnungshof als Organ für die Rechnungsprüfung und die Finanzverwaltung der Gemeinschaft ins Leben gerufen (1.3.12).
C. Wahl
Der Akt vom 20. September 1976 verlieh dem Europäischen Parlament eine neue Legitimität und Autorität, da es von nun an in allgemeiner unmittelbarer Wahl gewählt wurde (1.3.4). Bei einer Überarbeitung des Aktes im Jahr 2002 wurden der allgemeine Grundsatz der Verhältniswahl und andere Rahmenbestimmungen für die nationalen Rechtsvorschriften zur Europawahl eingeführt.
D. Erweiterungen
Am 1. Januar 1973 traten das Vereinigte Königreich, Dänemark und Irland der EWG bei. Das norwegische Volk hatte zuvor in einem Referendum den Beitritt abgelehnt. Griechenland wurde 1981 Mitglied; Spanien und Portugal folgten 1986.
E. Gemeinschaftshaushalt
Nach den ersten Erweiterungen wurden Forderungen nach mehr Haushaltsdisziplin und einer Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik laut. 1979 einigte sich der Europäische Rat auf mehrere Zusatzmaßnahmen. Mit den Verträgen von Fontainebleau aus dem Jahr 1984 wurde eine tragfähige Lösung erreicht: Jeder Mitgliedstaat, der gemessen an seinem relativen Wohlstand eine zu große Haushaltslast trägt, konnte durch eine Korrektur seiner Beiträge entlastet werden.
Pläne für eine Vertiefung der Integration
Obwohl der Plan einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft im August 1954 gescheitert war, kam nach den ersten Erfolgen der Wirtschaftsgemeinschaft kam Anfang der 1960er-Jahre erneut der Wunsch auf, die Mitgliedstaaten auch politisch zu einigen.
A. Gescheiterter Versuch einer politischen Union
Auf dem Gipfel von Bonn 1961 beauftragten die Staats- und Regierungschefs der sechs Gründungsstaaten der Europäischen Gemeinschaft einen Regierungsausschuss unter der Leitung des französischen Botschafters Christian Fouchet, Vorschläge für ein politisches Statut einer Union der europäischen Völker auszuarbeiten. Dieser Ausschuss unternahm zwischen 1960 und 1962 zwei Versuche, den Mitgliedstaaten einen für alle annehmbaren Vertragsentwurf vorzuschlagen, jedoch ohne Erfolg, beruhte der Plan Fouchets doch auf der strikten Wahrung der Identität der Mitgliedstaaten und stand mithin einer föderalen Struktur entgegen.
Die fehlende politische Gemeinschaft sollte mit der Europäischen Politischen Zusammenarbeit (EPZ) ausgeglichen werden. Auf dem Gipfel von Den Haag im Dezember 1969 beschlossen die Staats- und Regierungschefs zu prüfen, wie sich die besten Fortschritte bei der politischen Einigung erreichen ließen. Der von den Außenministern im Oktober 1970 angenommene Davignon-Bericht, der später durch weitere Berichte ergänzt wurde, bildete bis zum Inkrafttreten der Einheitlichen Europäischen Akte (EEA) die Grundlage der EPZ.
B. Die Krise von 1966
In der dritten Phase des Übergangszeitraums löste das Vorhaben, im Rat über bestimmte Belange mit qualifizierter Mehrheit anstelle der Einstimmigkeit zu beschließen, eine schwere Krise aus. Frankreich widersetzte sich einer Reihe von Vorschlägen der Kommission, bei denen es unter anderem um die Finanzierung der Gemeinsamen Agrarpolitik ging, und verweigerte die Teilnahme an den wichtigsten Gemeinschaftssitzungen („Politik des leeren Stuhls“). Man einigte sich schließlich auf die sogenannte Luxemburger Vereinbarung (1.3.7), der zufolge die Ratsmitglieder bei Belangen, die wichtige Interessen eines oder mehrerer Länder berühren, nach Lösungen suchen, die für alle unter Wahrung der gegenseitigen Interessen annehmbar sind.
C. Durchsetzung der europäischen „Gipfel“
Obwohl die Konferenzen der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten außerhalb des institutionellen Rahmens der Gemeinschaften stattfanden, ging man dazu über, dort politische Leitlinien vorzugeben und Probleme zu lösen, die im Ministerrat nicht bewältigt werden konnten. Nach ersten Sitzungen 1961 und 1967 gewannen diese Konferenzen mit dem Gipfel von Den Haag am 1. und 2. Dezember 1969 an Bedeutung. Dort wurde beschlossen, Verhandlungen über die Erweiterung der Gemeinschaft aufzunehmen, und es wurde eine Einigung über das System der Gemeinschaftsfinanzen erzielt. Auf dem Gipfel von Fontainebleau (Dezember 1974) wurden weitere wichtige politische Entscheidungen getroffen, nämlich über die direkte Wahl des Europäischen Parlaments und das Beschlussfassungsverfahren im Rat. Außerdem beschlossen die Staats- und Regierungschefs, künftig dreimal jährlich im „Europäischen Rat“ zusammenzukommen, um über Gemeinschaftsfragen und die politische Zusammenarbeit zu beraten (1.3.6).
D. Institutionelle Reform und Währungspolitik
Ende der 1970er-Jahre unternahmen die Mitgliedstaaten verschiedene Versuche, ihre Wirtschafts- und Haushaltspolitik abzustimmen. Auf den Tagungen des Europäischen Rates von Bremen und Brüssel 1978 wurde das EWS eingeführt, das dem Problem der Währungsinstabilität und den schädlichen Auswirkungen dieser Instabilität auf die Gemeinsame Agrarpolitik und den Zusammenhalt der Mitgliedstaaten abhelfen sollte. Die Teilnahme war zwar freiwillig und zu unterschiedlichen Bedingungen möglich (das Vereinigte Königreich beschloss, nicht am Wechselkursmechanismus teilzunehmen), doch beruhte das EWS auf einer gemeinsamen Rechnungseinheit, dem ECU.
Die Außenminister Deutschlands und Italiens, Hans-Dietrich Genscher und Emilio Colombo, stellten bei der Londoner Tagung des Europäischen Rates 1981 den Entwurf einer „Europäischen Akte“ zu verschiedenen Themen vor: politische Zusammenarbeit, Kultur, Grundrechte, Harmonisierung der Gesetzgebung über die von den Gemeinschaftsverträgen abgedeckten Bereiche hinaus, Bekämpfung von Gewalt, Terrorismus und Kriminalität. Die Akte wurde in dieser Form zwar nie angenommen, doch einige Punkte daraus fanden sich in der „Feierlichen Erklärung über die Europäische Union“ wieder, die am 19. Juni 1983 in Stuttgart verabschiedet wurde.
E. Der Spinelli-Entwurf
Wenige Monate nach der ersten allgemeinen unmittelbaren Wahl zum Europäischen Parlament 1979 kam es zwischen dem Parlament und dem Rat zu einer schweren Krise wegen des Haushaltsplans für 1980. Auf Initiative des Abgeordneten Altiero Spinelli, Gründer der Europäischen Föderalistischen Bewegung und ehemaliges Kommissionsmitglied, traf sich im Juli 1980 eine Gruppe aus neun Mitgliedern des Parlaments, um über Möglichkeiten zur Verbesserung der Funktionsweise der Organe zu beraten. Im Juli 1981 setzte das Parlament einen institutionellen Ausschuss ein, dessen Berichterstatter und Koordinator Altiero Spinelli war und der Änderungen der bestehenden Verträge ausarbeiten sollte. Der Ausschuss beschloss, einen Entwurf für eine künftige Verfassung der Europäischen Union zu erarbeiten. Der Vertragsentwurf wurde am 14. Februar 1984 mit großer Mehrheit angenommen. Die Legislative sollte demnach in einem Zwei-Kammer-System nach dem Vorbild eines föderalen Staates organisiert werden[1]. Damit sollte ein Gleichgewicht zwischen dem Europäischen Parlament und dem Rat hergestellt werden. Der Entwurf wurde jedoch von den Mitgliedstaaten abgelehnt.
Die Einheitliche Europäische Akte
Der Europäische Rat setzte im Juni 1984 in Fontainebleau nach der Beilegung der Streitigkeiten der frühen 1980er-Jahre um den Gemeinschaftshaushalt einen Ad-hoc-Ausschuss aus persönlichen Vertretern der Staats- und Regierungschefs ein, der nach seinem Vorsitzenden „Dooge-Ausschuss“ genannt wurde. Der Ausschuss sollte Vorschläge zur Verbesserung der Funktionsweise des Gemeinschaftssystems sowie der politischen Zusammenarbeit ausarbeiten. Im Juni 1985 beschloss der Europäische Rat von Mailand jedoch in einem außerordentlichen Verfahren mehrheitlich (mit sieben zu drei Stimmen), eine Regierungskonferenz einzuberufen, die sich mit den Befugnissen der Organe, neuen Zuständigkeitsbereichen der Gemeinschaft und der Schaffung eines wirklichen Binnenmarkts befassen sollte.
Am 17. Februar 1986 unterzeichneten neun Mitgliedstaaten die EEA, später folgten Dänemark (nach einem Referendum), Italien und Griechenland am 28. Februar 1986. Nachdem die EEA von den Mitgliedstaaten im Laufe des Jahres 1986 ratifiziert worden war, trat sie am 1. Juli 1987 – mit sechsmonatiger Verspätung aufgrund der Klage einer Privatperson vor einem irischen Gericht – in Kraft. Die EEA war die erste wesentliche Änderung des Vertrags von Rom. Ihre wichtigsten Bestimmungen betrafen Folgendes:
A. Erweiterung der Zuständigkeiten der Union
1. Durch die Verwirklichung des Binnenmarktes
Bis zum 1. Januar 1993 sollte ein funktionsfähiger Binnenmarkt vollendet sein, womit die Idee des bereits 1958 angeregten gemeinsamen Marktes wieder aufgegriffen und weiter ausgebaut wurde (2.1.1).
2. Durch die Schaffung folgender neuer Zuständigkeitsbereiche:
- Währungspolitik,
- Sozialpolitik,
- wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt,
- Forschung und technologische Entwicklung,
- Umwelt und
- Zusammenarbeit in der Außenpolitik.
B. Verbesserung der Beschlussfähigkeit des Rates
In vier Zuständigkeitsbereichen der Gemeinschaft wurde die Einstimmigkeit durch die qualifizierte Mehrheit ersetzt: Änderung des gemeinsamen Zolltarifs, freier Dienstleistungsverkehr, freier Kapitalverkehr und gemeinsame See- und Luftverkehrspolitik. Die Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit galt auch für die neuen Zuständigkeitsbereiche Binnenmarkt, Sozialpolitik, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt, Forschung und technologische Entwicklung sowie Umweltpolitik. Die Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit führte schließlich zu einer Anpassung der Geschäftsordnung des Rates an eine Erklärung des Vorsitzes, wonach eine Abstimmung im Rat nicht nur vom Ratsvorsitz, sondern auch von der Kommission oder einem Mitgliedstaat beantragt werden konnte, wenn eine einfache Mehrheit der Ratsmitglieder dem zustimmt.
C. Stärkung der Rolle des Europäischen Parlaments
Die Befugnisse des Parlaments wurden gestärkt:
- Zu Erweiterungs- und Assoziierungsabkommen der Gemeinschaft war nunmehr seine Zustimmung erforderlich.
- Durch das Verfahren der Zusammenarbeit mit dem Rat (1.2.3) erhielt das Parlament eine echte, wenn auch begrenzte Rechtsetzungsbefugnis. Das Verfahren galt damals für etwa zehn Rechtsgrundlagen, stellte jedoch einen entscheidenden Schritt bei der Entwicklung des Parlaments zum Mitgesetzgeber dar.
Diese Kurzdarstellung wurde von der Fachabteilung Bürgerrechte und konstitutionelle Angelegenheiten des Europäischen Parlaments erstellt.
Mariusz Maciejewski