Das Europäische Parlament: Wahlverfahren
Die Wahl zum Europäischen Parlament wird sowohl durch europäische Rechtsvorschriften geregelt, die für alle Mitgliedstaaten gelten, als auch durch spezielle nationale Vorschriften, die von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedlich sind. In den gemeinsamen Vorschriften sind der Grundsatz des Verhältniswahlrechts, Bestimmungen über Sperrklauseln und bestimmte Aspekte, die mit dem Mandat als Mitglied des Europäischen Parlaments unvereinbar sind, festgelegt. Viele weitere wichtige Fragen, etwa wie das Wahlsystem genau ausgestaltet ist und wie viele Wahlkreise es gibt, sind im jeweiligen nationalen Recht geregelt.
Rechtsgrundlage
- Artikel 14 des Vertrags über die Europäische Union (EUV);
- Artikel 20, 22 und 223 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) und Artikel 39 der Charta der Grundrechte der EU;
- Akt vom 20. September 1976 zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Abgeordneten der Versammlung, zuletzt geändert durch den Beschluss (EU, Euratom) 2018/994 des Rates vom 13. Juli 2018.
Gemeinsame Vorschriften
A. Grundsätze
In den Gründungsverträgen (1.1.1) war vorgesehen, dass die Mitglieder des Europäischen Parlaments (MdEP) zunächst von den nationalen Parlamenten benannt, später aber durch allgemeine unmittelbare Wahlen bestimmt werden. Dies wurde vom Rat vor der ersten unmittelbaren Wahl im Jahr 1979 mit dem Akt vom 20. September 1976 zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Mitglieder des Europäischen Parlaments (Wahlakt aus dem Jahr 1976) umgesetzt. Durch diesen Akt änderte sich die institutionelle Stellung des Europäischen Parlaments grundlegend – daher gilt er als das Gründungsdokument einer demokratischeren Europäischen Union.
1992 wurde im Vertrag von Maastricht (1.1.3) festgelegt, dass die Wahl nach einem einheitlichen Verfahren zu erfolgen hat, das vom Rat auf der Grundlage eines vom Europäischen Parlament ausgearbeiteten Vorschlags einstimmig beschlossen wird. Da der Rat allerdings nicht in der Lage war, sich auf einen der Vorschläge zu verständigen, wurde mit dem Vertrag von Amsterdam die Möglichkeit eingeführt, stattdessen „gemeinsame Grundsätze“ anzunehmen. Mit dem Beschluss 2002/772/EG, Euratom, des Rates vom 25. Juni und 23. September 2002 wurde der Wahlakt aus dem Jahr 1976 entsprechend geändert. Es wurde der Grundsatz der Verhältniswahl eingeführt und festgelegt, dass bestimmte nationale Mandate mit einem europäischen Mandat nicht vereinbar sind.
Die jüngsten Änderungen des Wahlakts aus dem Jahr 1976 wurden mit dem Beschluss (EU, Euratom) 2018/994 des Rates vom 13. Juli 2018 angenommen, der Bestimmungen über verschiedene Möglichkeiten zur Stimmabgabe enthält (vorzeitige Stimmabgabe, elektronische Stimmabgabe, Stimmabgabe über das Internet und Briefwahl), sowie Vorschriften zu Sperrklauseln, dem Schutz personenbezogener Daten, Rechtsvorschriften auf nationaler Ebene zur Ahndung von doppelten Stimmabgaben, der Stimmabgabe in Drittstaaten und der Möglichkeit, die Namen oder Logos europäischer Parteien auf den Stimmzetteln aufzuführen.
Durch den Vertrag von Lissabon (1.1.5) wurden das aktive und passive Wahlrecht zu Grundrechten erklärt (Artikel 39 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union).
B. Anwendung: geltende gemeinsame Bestimmungen
1. Aktives und passives Wahlrecht von Nichtstaatsangehörigen
Nach Artikel 22 Absatz 2 AEUV „besitzt jeder Unionsbürger mit Wohnsitz in einem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er nicht besitzt, in dem Mitgliedstaat, in dem er seinen Wohnsitz hat, das aktive und passive Wahlrecht bei den Wahlen zum Europäischen Parlament“. Die Bestimmungen darüber, wie dieses Recht umzusetzen ist, wurden in Artikel 6 der Richtlinie 93/109/EG des Rates, zuletzt geändert durch die Richtlinie 2013/1/EU des Rates, festgelegt, wonach jeder Unionsbürger, „der seinen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat hat, ohne dessen Staatsangehörigkeit zu besitzen, und der nach dem Recht des Wohnsitzmitgliedstaats oder nach dem Recht seines Herkunftsmitgliedstaats infolge einer Einzelfallentscheidung einer Justizbehörde oder einer Einzelfallentscheidung einer Verwaltungsbehörde, die vor Gericht angefochten werden kann, des passiven Wahlrechts verlustig gegangen ist, [...] von der Ausübung dieses Rechts bei den Wahlen zum Europäischen Parlament im Wohnsitzmitgliedstaat ausgeschlossen“ ist.
2. Wahlsystem
Gemäß dem Wahlakt aus dem Jahr 1976 in der geänderten Fassung muss die Wahl zum Parlament nach dem Verhältniswahlsystem auf der Grundlage von Listen oder von übertragbaren Einzelstimmen erfolgen. Die Mitgliedstaaten können auch Vorzugsstimmen auf der Grundlage von Listen zulassen.
Zusätzlich zu der optionalen Mindestsperrklausel für die Sitzvergabe (bis zu 5 % der auf nationaler Ebene abgegebenen gültigen Stimmen) wurde mit der jüngsten Änderung des Wahlakts aus dem Jahr 1976 durch den Beschluss (EU, Euratom) 2018/994 des Rates für Mitgliedstaaten, in denen eine Listenwahl stattfindet – einschließlich der Mitgliedstaaten, die einen einzigen Wahlkreis bilden – eine verpflichtende Sperrklausel von 2 % bis 5 % in Wahlkreisen mit mehr als 35 Sitzen festgelegt. Die Mitgliedstaaten müssen diese Vorschrift spätestens bei der Wahl im Jahr 2024 umsetzen.
Nach diesem Beschluss können die Mitgliedstaaten auch die Stimmabgabe im Voraus, per Briefwahl sowie die elektronische Stimmabgabe und die Stimmabgabe über das Internet ermöglichen. In diesem Fall müssen sie Maßnahmen treffen, damit insbesondere die Verlässlichkeit der Ergebnisse, die Wahrung des Wahlgeheimnisses und der Schutz personenbezogener Daten sichergestellt sind.
3. Unvereinbarkeiten
Gemäß Artikel 7 der durch den Beschluss 2002/772/EG, Euratom des Rates geänderten Fassung des Wahlakts aus dem Jahr 1976 ist das Mandat als Mitglied des Europäischen Parlaments unvereinbar mit der Ausübung eines Amtes als Mitglied der Regierung eines Mitgliedstaats, als Mitglied der Kommission, als Richter, Generalanwalt oder Kanzler des Gerichtshofs, als Mitglied des Rechnungshofs oder des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses, als Mitglied von Ausschüssen oder von Gremien, die gemäß den Verträgen für die Verwaltung von Unionsmitteln oder für eine dauernde unmittelbare Verwaltungsaufgabe geschaffen wurden, als Mitglied des Verwaltungsrates oder des Direktoriums der Europäischen Investitionsbank bzw. als Bediensteter dieser Bank und ganz allgemein als Beamter oder Bediensteter bei den Organen und Einrichtungen der Europäischen Union oder den ihnen angeschlossenen Fachgremien. Unvereinbar mit einem Mandat als Mitglied des Europäischen Parlaments sind außerdem die Mitgliedschaft im Europäischen Ausschuss der Regionen (seit 1997) oder im Direktorium der Europäischen Zentralbank, das Amt des Bürgerbeauftragten der Europäischen Union und vor allem ein Mandat als Mitglied eines nationalen Parlaments (seit 2002).
Modalitäten in nationaler Zuständigkeit
Abgesehen von diesen gemeinsamen Regeln gelten für die Wahlmodalitäten einzelstaatliche Bestimmungen, die stark voneinander abweichen können. Das Wahlsystem kann daher als polymorphes Wahlsystem bezeichnet werden.
A. Wahlsystem und Sperrklauseln
Alle Mitgliedstaaten müssen ein Verhältniswahlsystem anwenden. Zusätzlich zu optionalen Sperrklauseln für die Sitzvergabe, der auf nationaler Ebene bei höchstens 5 % liegen darf, wurde mit dem Beschluss (EU, Euratom) 2018/994 des Rates eine verpflichtende Sperrklausel von 2 % bis 5 % in Wahlkreisen mit mehr als 35 Sitzen (einschließlich der einen einzigen Wahlkreis bildenden Mitgliedstaaten) festgelegt. Diese Vorschrift muss spätestens bei der Wahl im Jahr 2024 umgesetzt werden.
Zurzeit gelten in den folgenden Mitgliedstaaten Sperrklauseln: Belgien, Frankreich, Kroatien, Lettland, Litauen, Rumänien, Polen, Slowakei, Tschechien und Ungarn (5 %), Italien, Österreich, und Schweden (4 %), Griechenland (3 %) und Zypern (1,8 %). In den anderen Mitgliedstaaten gelten keine Sperrklauseln, obwohl Deutschland eine solchen einführen wollte. In zwei Entscheidungen von 2011 und 2014 erklärte das Bundesverfassungsgericht die damaligen deutschen Sperrklauseln (von zunächst 5 % und dann 3 %) für die Wahl zum Europäischen Parlament jedoch für verfassungswidrig.
B. Aufteilung in Wahlkreise
Bei der Wahl zum Europäischen Parlament bilden die meisten Mitgliedstaaten einen einzigen Wahlkreis. In vier Mitgliedstaaten (Belgien, Irland, Italien und Polen) wurde das nationale Hoheitsgebiet jedoch in mehrere regionale Wahlkreise unterteilt.
C. Stimmrecht
Das Wahlalter liegt in den meisten Mitgliedstaaten bei 18 Jahren – mit Ausnahme von Belgien, Deutschland, Malta und Österreich, wo man bereits mit 16 wählen darf, und Griechenland, wo man bereits mit 17 Jahren das Stimmrecht erlangt.
In vier Mitgliedstaaten (Belgien, Bulgarien, Luxemburg und Griechenland) besteht Wahlpflicht, die sowohl für Inländer als auch für registrierte EU-Ausländer gilt.
1. Aktives Wahlrecht von Nichtstaatsangehörigen in ihrem Aufnahmeland
Jeder Unionsbürger mit Wohnsitz in einem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er nicht besitzt, hat in dem Mitgliedstaat, in dem er seinen Wohnsitz hat, das aktive Wahlrecht bei den Wahlen zum Europäischen Parlament, wobei für ihn dieselben Bedingungen gelten wie für die Staatsangehörigen des betreffenden Mitgliedstaats (Artikel 22 AEUV). In Bezug auf das Konzept „Wohnsitz“ bestehen jedoch große Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten. In einigen Mitgliedstaaten (z. B. Deutschland, Estland, Frankreich, Polen, Rumänien und Slowenien) wird verlangt, dass die betreffenden Wahlberechtigten ihren Wohnort oder ihren üblichen Aufenthaltsort in dem entsprechenden Wahlgebiet haben müssen. Andere fordern, dass die Betreffenden auf Dauer in dem entsprechenden Staat ansässig sein müssen (z. B. Dänemark, Griechenland, Irland, Luxemburg, Slowakei, Schweden und Zypern) oder beim Einwohnermeldeamt gemeldet sind (z. B. Belgien und Tschechien). In einigen Mitgliedstaaten (z. B. Zypern) müssen Unionsbürger zudem eine Mindestwohnsitzdauer vorweisen, um an der Wahl teilnehmen zu können. In allen Mitgliedstaaten müssen sich Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten vor dem Wahltag in das Wählerverzeichnis eintragen lassen, um ihre Stimme abgeben zu können. Die Fristen hierfür unterscheiden sich von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat.
2. Wahlrecht von im Ausland ansässigen Staatsangehörigen in ihrem Herkunftsstaat
Fast alle Mitgliedstaaten räumen ihren Staatsangehörigen die Möglichkeit ein, bei den Wahlen zum Europäischen Parlament ihre Stimme aus dem Ausland abzugeben. In einigen Mitgliedstaaten müssen sich die Wähler im Voraus bei ihrer nationalen Wahlbehörde eintragen lassen, damit sie per Briefwahl oder in einer Botschaft oder einem Konsulat ihre Stimme abgeben können. In anderen Mitgliedstaaten ist die Briefwahl nur in Botschaften oder Konsulaten möglich. In einigen Mitgliedstaaten (z. B. Bulgarien und Italien) haben nur die Staatsangehörigen, die in einem anderen Mitgliedstaat der EU leben, das Recht, ihre Stimme im Ausland abzugeben. Die meisten Mitgliedstaaten treffen außerdem besondere Vorkehrungen für Diplomaten und Angehörige ihrer Streitkräfte, die ihren Dienst im Ausland leisten.
Da manche Personen sowohl als Nichtstaatsangehörige in ihrem Aufnahmestaat als auch als Staatsangehörige in ihrem Herkunftsstaat wählen können, ist Missbrauch möglich, insbesondere in Gestalt einer doppelten Stimmabgabe, die in manchen Mitgliedstaaten eine Straftat ist. Gemäß der jüngsten Änderung des Wahlakts aus dem Jahr 1976 durch den Beschluss (EU, Euratom) 2018/994 des Rates müssen die Mitgliedstaaten dafür sorgen, dass eine doppelte Stimmabgabe bei der Wahl zum Europäischen Parlament durch wirksame, verhältnismäßige und abschreckende strafrechtliche Sanktionen geahndet wird.
D. Passives Wahlrecht
Das Recht, in dem Mitgliedstaat, in dem man seinen Wohnsitz hat, für das Europäische Parlament zu kandidieren, auch wenn man nicht dessen Staatsangehörigkeit besitzt, ergibt sich aus der Anwendung des Grundsatzes des Verbots der Diskriminierung in Bezug auf inländische und ausländische Unionsbürger und aus dem Recht auf Freizügigkeit und die freie Wahl des Aufenthaltsortes innerhalb der EU. Unionsbürger, die nicht die Staatsangehörigkeit ihres Wohnsitzmitgliedstaats besitzen, aber die Bedingungen erfüllen, an die das passiven Wahlrecht in diesem Mitgliedstaat für dessen eigene Staatsangehörige geknüpft ist, besitzen das passive Wahlrecht bei den Wahlen zum Europäischen Parlament im Wohnsitzmitgliedstaat, solange sie dieses Rechts nicht verlustig gegangen sind (Artikel 3 der Richtlinie 93/109/EG des Rates).
Für das passive Wahlrecht gelten in jedem Mitgliedstaat unterschiedliche Bedingungen, jedoch mit einer allgemein geltenden Ausnahme: Die Person muss in jedem Fall die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen. Niemand kann bei einer Wahl in mehr als einem Mitgliedstaat als Kandidat aufgestellt werden (Artikel 4 der Richtlinie 93/109/EG des Rates). Das Mindestalter liegt in den meisten Mitgliedstaaten bei 18 Jahren. Ausnahmen sind Belgien, Bulgarien, Estland, Irland, Lettland, Litauen, Polen, die Slowakei, Tschechien und Zypern (21 Jahre), Rumänien (23 Jahre) sowie Italien und Griechenland (25 Jahre).
E. Aufstellung von Kandidaten
In einigen Mitgliedstaaten können nur Parteien und politische Organisationen Kandidaten aufstellen. In anderen Mitgliedstaaten können Kandidaten aufgestellt werden, sofern eine bestimmte Zahl von Unterschriften gesammelt wurde oder eine bestimmte Zahl von Wählern den entsprechenden Kandidaten befürwortet; in einigen Fällen muss zudem eine Kaution hinterlegt werden.
Mit dem Beschluss (EU) 2018/937 des Europäischen Rates vom 28. Juni 2018 über die Zusammensetzung des Europäischen Parlaments wurde festgelegt, wie die Sitze, die gemäß Artikel 14 Absatz 2 EUV vorgesehen sind, nach dem Prinzip der degressiven Proportionalität vergeben werden (1.3.3).
F. Zeitpunkt der Wahl
Gemäß Artikel 10 und 11 des Wahlakts aus dem Jahr 1976 in der geänderten Fassung findet die Wahl des Europäischen Parlaments zu dem von jedem Mitgliedstaat festgelegten Termin und zu den von ihm festgelegten Uhrzeiten statt, wobei der Termin in einen für alle Mitgliedstaaten gleichen Zeitraum von Donnerstagmorgen bis zu dem unmittelbar darauffolgenden Sonntag fällt. 1976 oblag es dem Rat, den Zeitraum, in dem die erste Wahl im Jahr 1979 stattfinden sollte, nach Anhörung des Europäischen Parlaments einstimmig zu beschließen. Die auf die Wahl im Jahr 1979 folgenden Wahlen fanden seitdem jeweils in dem entsprechenden Zeitraum des letzten Jahres der in Artikel 5 des Wahlakts genannten fünfjährigen Wahlperiode statt (1.3.1).
Die Wahl im Jahr 2014, die eigentlich im Juni hätte stattfinden sollen, wurde durch den Beschluss des Rates vom 14. Juni 2013 auf den 22. bis 25. Mai vorverlegt, um zu verhindern, dass sie sich mit den Pfingstfeiertagen überschnitt. Hierbei machte der Rat von folgender Bestimmung gemäß Artikel 11 Gebrauch: „Erweist es sich als unmöglich, die Wahlen während dieses Zeitraums [...] abzuhalten, so setzt der Rat mindestens ein Jahr vor Ablauf des in Artikel 5 genannten Fünfjahreszeitraums nach Anhörung des Europäischen Parlaments einstimmig einen anderen Zeitraum fest, der frühestens zwei Monate vor und spätestens einen Monat nach dem sich aus vorstehendem Unterabsatz ergebenden Zeitraum liegen darf.“ Die nächste Wahl wird voraussichtlich wieder in dem ursprünglich festgelegten Zeitraum des letzten Jahres der fünfjährigen Wahlperiode (und in Übereinstimmung mit Artikel 11 des Akts aus dem Jahr 1976) stattfinden. Dementsprechend wurde die Wahl 2019 in der Woche vom 23. bis 26. Mai abgehalten. Die Wahl zum Europäischen Parlament 2024 fand vom 6. bis 9. Juni statt.
G. Änderung der Reihenfolge der Listenkandidaten durch die Wähler
In den meisten Mitgliedstaaten können die Wähler die Reihenfolge der Namen auf der Liste durch Vorzugsstimmen verändern. In sechs Mitgliedstaaten (Deutschland, Frankreich, Portugal, Rumänien, Spanien und Ungarn) können die Listen jedoch nicht verändert werden (keine Vorzugsstimmen). In Malta und Irland führen die Wähler die Kandidaten in der gewünschten Reihenfolge auf (übertragbare Einzelstimme).
H. Nachrückverfahren während einer Wahlperiode
In einigen Mitgliedstaaten werden frei gewordene Sitze den nächstplatzierten nicht gewählten Kandidaten derselben Liste zuerkannt (ggf. nach einer Umstellung in Abhängigkeit von der Stimmenzahl, die die Kandidaten erhalten haben). In anderen Mitgliedstaaten werden die frei gewordenen Sitze an Ersatzkandidaten („Nachrücker“) vergeben. Gibt es keine Ersatzkandidaten, ist die Reihenfolge der Kandidaten auf den Listen das entscheidende Kriterium. In einigen Mitgliedstaaten können Mitglieder des Europäischen Parlaments ihr Mandat wieder aufnehmen, wenn der Grund für ihr Ausscheiden nicht mehr besteht.
Rolle des Europäischen Parlaments
Das Europäische Parlament hat seit den 1960er Jahren wiederholt zu Wahlrechtsfragen Stellung genommen und gemäß Artikel 138 des EG-Vertrags (inzwischen Artikel 223 AEUV) Vorschläge vorgelegt. Der Umstand, dass es kein wirklich einheitliches Verfahren für die Wahlen zum Europäischen Parlament gibt, zeigt, wie schwierig es ist, voneinander abweichende einzelstaatliche Traditionen miteinander in Einklang zu bringen. Durch die mit dem Vertrag von Amsterdam geschaffene Möglichkeit, gemeinsame Grundsätze zu verabschieden, ließ sich diese Schwierigkeit nur teilweise überwinden. Das in Artikel 223 AEUV gesetzte Ziel, ein einheitliches Verfahren zu beschließen, wozu das Europäische Parlament seine Zustimmung erteilen muss, wurde bislang nicht verwirklicht. 1997 wurde infolge der anhaltenden Bemühungen des Parlaments um eine Modernisierung und „Europäisierung“ des gemeinsamen Wahlverfahrens ein Vorschlag für ein einheitliches Wahlverfahren vorgelegt. Sein Inhalt fand Eingang in den Beschluss des Rates aus dem Jahr 2002. Am 11. November 2015 nahm das Europäische Parlament eine Entschließung zu der Reform des Wahlrechts der Europäischen Union an. Mit dieser Gesetzgebungsinitiative des Ausschusses für konstitutionelle Fragen wurden Änderungen des Wahlakts von 1976 vorgeschlagen, um die Wahlen zum Europäischen Parlament demokratischer zu gestalten und die Wahlbeteiligung zu erhöhen. Die Änderungsvorschläge des Parlaments wurden teilweise angenommen und in den Beschluss (EU, Euratom) 2018/994 des Rates vom 13. Juli 2018 aufgenommen. Der Rat konnte sich aber nicht darauf einigen, dem Vorschlag des Parlaments zuzustimmen, dass ein gemeinsamer Wahlkreis eingerichtet und Spitzenkandidaten für das Amt des Kommissionspräsidenten ernannt werden sollten.
Mit seiner Entschließung vom 7. Februar 2018 zur Zusammensetzung des Europäischen Parlaments sprach sich das Parlament dafür aus, die Zahl seiner Sitze nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU von 751 auf 705 zu verringern und einige der Sitze, die durch den Brexit frei wurden, unter den Mitgliedstaaten, die leicht unterrepräsentiert waren, neu zu verteilen (1.3.3). Am 13. September 2023 nahm das Parlament eine Entschließung an, in der es seine Zustimmung zum Entwurf eines Beschlusses des Rates erteilte. Dieser sieht eine Erhöhung der Zahl der Sitze im Europäischen Parlament für die Wahl im Jahr 2024 von 705 auf 720 vor.
Am 22. November 2012 nahm das Europäische Parlament eine Entschließung an, in der die europäischen politischen Parteien dazu aufgefordert wurden, im Rahmen der Wahl 2014 Kandidaten für das Amt des Präsidenten der Kommission zu nominieren, um die politische Legitimität des Parlaments und der Kommission zu stärken. Diese Bestimmungen wurden vor der Wahl im Jahr 2014 umgesetzt, für die zum ersten Mal Spitzenkandidaten aufgestellt wurden. Nach dieser Wahl wurde am 22. Oktober 2014 mit Jean-Claude Juncker einer dieser Kandidaten vom Europäischen Parlament zum Präsidenten der Kommission gewählt. In seinem Beschluss vom 7. Februar 2018 über die Überarbeitung der Rahmenvereinbarung über die Beziehungen zwischen dem Europäischen Parlament und der Europäischen Kommission erklärte das Parlament, dass es jeden Kandidaten für das Amt des Präsidenten der Kommission ablehnen werde, der im Vorfeld der Wahl zum Europäischen Parlament im Jahr 2019 nicht von einer europäischen politischen Partei als Spitzenkandidat aufgestellt worden war. Dennoch wurde nach der Europawahl 2019 Ursula von der Leyen, die nicht als Spitzenkandidatin aufgestellt worden war, zur Präsidentin der Kommission gewählt. Am 22. November 2023 stimmte das Plenum des Parlaments über Vorschläge zur Änderung der Verträge, einschließlich einer Überarbeitung der Art und Weise, wie die Kommission gewählt wird, ab.
2003 wurde ein System zur Finanzierung europäischer politischer Parteien geschaffen, das auch die Gründung politischer Stiftungen (1.3.3) auf EU-Ebene ermöglicht. Die Verordnung (EG) Nr. 2004/2003 wurde aufgehoben und durch die Verordnung (EU, Euratom) Nr. 1141/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2014 über das Statut und die Finanzierung europäischer politischer Parteien und europäischer politischer Stiftungen ersetzt. Die Verordnung aus dem Jahr 2014 wurde entsprechend der Entschließung des Europäischen Parlaments vom 15. Juni 2017 zur Finanzierung europäischer politischer Parteien und europäischer politischer Stiftungen geändert. In der Entschließung wurden Unzulänglichkeiten bei der Höhe der Kofinanzierung und in Zusammenhang mit der Möglichkeit für die Mitglieder des Parlaments, Mitglied in mehreren Parteien zu sein, hervorgehoben und eine ordnungsgemäße Verwendung öffentlicher Gelder zur Finanzierung europäischer Parteien und Stiftungen gemäß der Verordnung (EU, Euratom) 2018/673 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. Mai 2018 gefordert.
Die jüngsten Ereignisse haben gezeigt, welche Gefahren sich aus der Online-Kommunikation für Wahlprozesse und die Demokratie als Ganzes ergeben können (etwa durch die Manipulation von personenbezogenen Daten im Zusammenhang mit Wahlen). Zur Verhinderung einer unrechtmäßigen Verwendung von personenbezogenen Daten wurde anschließend eine neue Verordnung zur Änderung der Verordnung aus dem Jahr 2014 über das Statut und die Finanzierung europäischer politischer Parteien und europäischer politischer Stiftungen angenommen (Verordnung (EU, Euratom) 2019/493 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. März 2019 zur Änderung der Verordnung (EU, Euratom) Nr. 1141/2014 im Hinblick auf ein Überprüfungsverfahren für im Zusammenhang mit Wahlen zum Europäischen Parlament begangene Verstöße gegen Vorschriften zum Schutz personenbezogener Daten). Mit den von Parlament und Rat beschlossenen neuen Vorschriften soll das Wahlverfahren vor Desinformationskampagnen im Internet geschützt werden, bei denen Daten von Wählern missbräuchlich genutzt werden. Es können nun auch finanzielle Sanktionen gegen europäische Parteien und Stiftungen verhängt werden, die mithilfe von Verstößen gegen Datenschutzvorschriften gezielt die Ergebnisse der Wahlen zum Europäischen Parlament beeinflussen oder dies versuchen.
Im Anschluss an die Entschließung des Europäischen Parlaments vom 15. Juni 2017 zu Online-Plattformen und dem digitalen Binnenmarkt, in der es die Kommission aufforderte, die Möglichkeit eines legislativen Eingreifens zur Eindämmung der Verbreitung gefälschter Inhalte zu prüfen, veröffentlichte die Kommission im April 2018 außerdem eine Mitteilung mit dem Titel „Bekämpfung von Desinformation im Internet: ein europäisches Konzept“ und schlug einen europaweiten Verhaltenskodex vor, der im September 2018 von drei Online-Plattformen unterzeichnet wurde. Im Aktionsplan der Kommission gegen Desinformation vom Dezember 2018 wurden die Online-Plattformen unter anderem aufgefordert, die eingegangenen Verpflichtungen rasch und wirksam umzusetzen und sich auf Maßnahmen zu konzentrieren, die vor dem Hintergrund der Wahlen zum Europäischen Parlament dringend erforderlich sind, einschließlich der Löschung gefälschter Konten, der Kennzeichnung von durch „Bots“ verfasste Nachrichten und der Zusammenarbeit mit Faktenprüfern und Forschern, um Desinformation aufzudecken und die Verbreitung faktengeprüfter Inhalte zu fördern. Im Vorfeld der Wahl zum Europäischen Parlament im Mai 2019 forderte die Kommission die drei Plattformen, die den Verhaltenskodex unterzeichnet haben, auf, über ihre Maßnahmen zur Verbesserung der Kontrolle von Werbeplatzierungen, zur Sicherstellung der Transparenz von politischer und themenbezogener Werbung und zur Bekämpfung gefälschter Konten und der böswilligen Nutzung von Bots monatlich Bericht zu erstatten.
Das Parlament empfahl in seiner Entschließung vom 26. November 2020 zur Bestandsaufnahme zu den Wahlen zum Europäischen Parlament, insbesondere während der Konferenz zur Zukunft Europas, folgende Punkte zu prüfen, mit denen das Verfahren für Wahlen zum Europäischen Parlament verbessert werden könnte:
- neue Fernabstimmungsverfahren für die Unionsbürgerinnen und -bürger bei der Wahl zum Europäischen Parlament bei Vorliegen besonderer oder außergewöhnlicher Umstände,
- einheitliche Vorschriften für die Zulassung von Kandidatinnen und Kandidaten zur Wahl sowie einheitliche Wahlkampf- und Finanzierungsvorschriften,
- harmonisierte Vorschriften für das passive und aktive Wahlrecht in allen Mitgliedstaaten, einschließlich der Herabsetzung des Mindestalters für Wählerinnen und Wähler in allen Mitgliedstaaten auf 16 Jahre,
- Vorschriften für Abwesenheitszeiten der Mitglieder aufgrund von Mutterschaftsurlaub, Elternurlaub oder schwerer Krankheit.
Das Parlament forderte die Mitgliedstaaten auf, dafür zu sorgen, dass alle ihre wahlberechtigten Bürger – einschließlich Unionsbürgern, die außerhalb ihres Herkunftsstaats leben, sowie Obdachlosen und Gefängnisinsassen, denen dieses Recht gemäß den nationalen Rechtsvorschriften eingeräumt wird – dieses Recht auch ausüben können.
Im Anschluss an den Bericht des Untersuchungsausschuss zum Einsatz von Pegasus und ähnlicher Überwachungs- und Spähsoftware (PEGA-Ausschuss) vom 15. Juni 2023 nahm das Parlament seine Empfehlung an, in der es die Kommission aufforderte, eine spezielle Arbeitsgruppe unter Einbeziehung der nationalen Wahlkommissionen für den Schutz der Europawahlen 2024 in der gesamten EU einzurichten. Eine Antwort der Kommission auf diese Forderung blieb jedoch aus.
Reform des Europäischen Wahlakts
Das Parlament leitete mit seinem Standpunkt vom 3. Mai 2022 zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Mitglieder des Europäischen Parlaments eine Reform des Europäischen Wahlakts ein, mit der die 27 getrennten Wahlverfahren und ihre unterschiedlichen Regeln in eine einheitliche Europawahl mit gemeinsamen Mindestvorschriften umgewandelt werden sollen. Das Parlament schlug darin ein Zweistimmensystem für die Wahl zum Europäischen Parlament vor: eine Stimme für die Wahl der Abgeordneten in den Wahlkreisen der Mitgliedstaaten und eine weitere für einen EU-weiten Wahlkreis, in dem 28 zusätzliche Sitze vergeben werden. Um auf diesen Listen für geografische Ausgewogenheit zu sorgen, sollten die Mitgliedstaaten je nach ihrer Bevölkerungszahl in drei Gruppen eingeteilt werden. Die Listen sollten proportional mit Kandidaten aus diesen Gruppen besetzt werden. Unionsweite Kandidatenlisten sollten von europäischen Wahleinheiten, z. B. von Bündnissen einzelstaatlicher Parteien oder einzelstaatlicher Wählervereinigungen bzw. von europäischen Parteien eingereicht werden.
Weitere Vorschläge umfassen Folgendes:
- Festlegung eines gemeinsamen europäischen Wahltags am 9. Mai,
- passives Wahlrecht für alle Unionsbürger ab 18 Jahren,
- verbindliche Sperrklausel von 3,5 % für Wahlkreise, in denen mindestens 60 Sitze vergeben werden,
- gleicher Zugang zur Wahl für alle, auch für Menschen mit Behinderungen, und Ermöglichung der Briefwahl,
- verpflichtende Gleichstellung der Geschlechter durch die Verwendung von „Listen nach dem Reißverschlusssystem“ oder Quoten sowie
- das Recht der Unionsbürger darauf, den Kommissionspräsidenten nach dem Spitzenkandidatensystem über unionsweite Listen zu wählen.
Außerdem sollte eine neue Europäische Wahlbehörde eingerichtet werden, die das Verfahren überwacht und für die Einhaltung der neuen Vorschriften sorgt.
Wie in Artikel 223 AEUV festgelegt, müsste die Gesetzgebungsinitiative des Parlaments vom Rat einstimmig gebilligt werden. Danach würde sie wieder dem Parlament vorgelegt, damit die Mitglieder ihre Zustimmung erteilen können, und anschließend müsste sie von allen Mitgliedstaaten im Einklang mit ihrem jeweiligen Verfassungsrecht gebilligt werden. Die Verhandlungen mit dem Rat beginnen, sobald die Mitgliedstaaten ihre Standpunkte festgelegt haben.
Der Entwurf eines Rechtsakts wird zurzeit vom Rat „Allgemeine Angelegenheiten“ analysiert. Am 18. Oktober 2022 führte er eine erste Grundsatzdebatte über den Vorschlag durch. Einige Mitgliedstaaten äußerten Vorbehalte in Bezug auf die Vorschläge für einen EU-weiten Wahlkreis auf der Grundlage transnationaler Listen sowie in Bezug auf die Elemente des Vorschlags, die eine Harmonisierung des bei der Europawahl angewandten Wahlsystems bedeuten würden.
PABLO ABRIL MARTI / Mariusz Maciejewski