Verbraucherpolitik: Grundsätze und Instrumente
Eine wirksame Verbraucherschutzpolitik sorgt dafür, dass der Binnenmarkt ordnungsgemäß funktioniert. Sie gewährleistet den Schutz der Rechte der Verbraucher gegenüber Händlern sowie einen verstärkten Schutz von schutzbedürftigen Verbrauchern. Verbraucherschutzvorschriften können die Marktergebnisse insgesamt positiv beeinflussen. Mit ihnen werden gerechtere Märkte und – über bessere Verbraucherinformationen – umweltfreundlichere und sozialere Ergebnisse gefördert. Die Stärkung der Verbraucher und die Wahrung ihrer Interessen sind zentrale politische Ziele der EU.
Rechtsgrundlage
Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe f, Artikel 12, Artikel 114 und Artikel 169 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) sowie Artikel 38 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union.
Ziele
Um die Verbraucherinteressen zu fördern und einen hohen Schutz zu gewährleisten, muss die Union die Gesundheit, die Sicherheit und die wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher wahren. Darüber hinaus muss sie das Recht der Verbraucher auf Information und Bildung sowie ihr Recht fördern, sich zur Wahrung ihrer Interessen zu organisieren. Der Verbraucherschutz sollte in alle einschlägigen Politikbereiche der EU integriert werden.
Maßnahmen
A. Allgemein
Das Programm der EU-Maßnahmen im Bereich Verbraucherpolitik beruht auf der am 13. November 2020 angenommenen neuen Verbraucheragenda. Die Agenda enthält eine aktualisierte Vision der EU-Verbraucherpolitik im Zeitraum 2020-2025 mit dem Titel „Stärkung der Resilienz der Verbraucher/innen für eine nachhaltige Erholung“. Mit ihr sollen zudem die dringenden Probleme der Verbraucher im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie in Angriff genommen werden.
Die Agenda umfasst fünf Schwerpunktbereiche:
- grüner Wandel: Bewältigung der durch den grünen Wandel entstehenden neuen Herausforderungen im Bereich Verbraucherrechte und Nutzung der entstehenden Chancen im Hinblick auf eine Stärkung der Eigenverantwortung; Sicherstellung der Zugänglichkeit von nachhaltigen Produkten und Lebensweisen für alle Menschen unabhängig von ihrem Wohnort und Einkommen;
- digitaler Wandel: Schaffung eines besser abgesicherten digitalen Raums für Verbraucher, in dem ihre Rechte geschützt sind, sowie gleicher Wettbewerbsbedingungen, um Innovationen zugunsten neuer und besserer Dienstleistungen für alle Menschen in Europa zu ermöglichen;
- wirksame Durchsetzung und Rechtsschutz: Bewältigung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf die Verbraucherrechte und Vorgehen gegen irreführende umweltbezogene Aussagen und unlautere Geschäftspraktiken, die zur Beeinflussung und Personalisierung im Internet verwendet werden. Die Durchsetzung der Verbraucherrechte liegt zunächst und vor allem in der Verantwortung der einzelstaatlichen Behörden, doch die EU spielt eine wichtige Rolle bei der Koordinierung und Unterstützung auf der Grundlage der Verordnung über die Zusammenarbeit im Verbraucherschutz;
- Berücksichtigung besonderer Bedürfnisse von Verbrauchern: Berücksichtigung der Bedürfnisse von Verbrauchern, die in bestimmten Situationen schutzbedürftig sein können und zusätzliche Schutzvorkehrungen benötigen. Dies kann durch soziale Umstände oder durch bestimmte Merkmale einzelner Verbraucher oder Verbrauchergruppen bedingt sein;
- Verbraucherschutz im globalen Kontext: Gewährleistung der Sicherheit von Einfuhren und Schutz der Verbraucher in der EU vor unlauteren Praktiken, die von Anbietern aus Drittländern angewendet werden, durch Marktüberwachung und engere Zusammenarbeit mit den zuständigen Behörden in den EU-Partnerländern.
Die EU-Organe nutzen das Verbraucherbarometer, um die Verbraucherpolitik zu beobachten und die nationalen Bedingungen für Verbraucher in Bereichen wie Wissen, Vertrauen, Einhaltung von Vorschriften und Durchsetzung zu bewerten. Im Rahmen des Verbraucherbarometers wird anhand des Wachstums der grenzüberschreitenden Transaktionen und des grenzüberschreitenden elektronischen Handels auch die Integration des EU-Einzelhandelsmarkts untersucht. Durch Befragungen unter Personen, die kürzlich Einkäufe getätigt haben, wird damit die Leistung von über 40 Märkten anhand von Indikatoren wie Vertrauen, Vergleichbarkeit, Auswahl und Verbraucherzufriedenheit gemessen.
Darüber hinaus wurde am 28. April 2021 das Binnenmarktprogramm auf den Weg gebracht, um den Binnenmarkt zu stärken und Europas Erholung nach der COVID-19-Krise zu fördern. Mit Mitteln in Höhe von 4,2 Mrd. EUR für den Zeitraum 2021-2027 bietet es ein umfassendes Paket zur Verbesserung der Binnenmarkt-Governance, auch bezüglich Finanzdienstleistungen.
B. Branchenbezogene Maßnahmen (2.2.2)
1. Verbraucherverbände
Die EU-Organe legen Wert darauf, Gruppierungen zu beteiligen, die Verbraucherinteressen vertreten. Die Beratergruppe für Verbraucherpolitik (CPAG) ist das wichtigste Forum der Kommission für die Konsultation nationaler und europäischer Interessengruppen im Bereich Verbraucherpolitik im Hinblick auf die Umsetzung der neuen Verbraucheragenda.
Die Gruppe ergänzt andere bestehende Einrichtungen, die von der Kommission unterhalten werden, insbesondere die Gruppe für die Zusammenarbeit im Verbraucherschutz (CPC) und das Netzwerk für Verbraucherpolitik (CPN).
Sie ist Nachfolgerin der Europäischen beratenden Verbrauchergruppe (ECCG), die mit dem Beschluss 2009/705/EG der Kommission eingesetzt wurde und deren Mandat im Juli 2019 endete.
2. Verbraucheraufklärung
Die EU hat die Verbraucheraufklärung in die Lehrpläne der Grundschulen und weiterführenden Schulen aufgenommen. Ein Beispiel dafür ist „Consumer Classroom“ (Klassenzimmer für Verbraucher), eine mehrsprachige, europaweite Website für Lehrkräfte. Sie bietet eine umfangreiche Bibliothek zur Verbraucheraufklärung und Tools für den Austausch von Unterrichtseinheiten mit Schülern und Kollegen.
3. Verbraucherinformation
Eine bessere Kenntnis der Verbraucherrechte kann das Verbrauchervertrauen stärken. Für die Beratung zu grenzüberschreitenden Einkäufen und Beschwerden hat die EU die Europäischen Verbraucherzentren (das ECC-Net) eingerichtet. Dieses Netz informiert Verbraucher über ihre Rechte in der EU, berät sie diesbezüglich und hilft ihnen bei Streitigkeiten mit Händlern in anderen EU-Ländern. Das ECC-Net ist das Ergebnis des Zusammenschlusses von zwei bestehenden Verbraucherschutznetzen (EEJ-Net und „Euroguichets“) im Jahr 2005. Das FIN-NET befasst sich mit Beschwerden zu grenzüberschreitenden Finanzdienstleistungen. Die Kommission führt Informationskampagnen für Verbraucher durch und bietet praktische Leitfäden an. SOLVIT kümmert sich um die Beilegung von Streitigkeiten über Verstöße gegen EU-Recht.
Dem Portal „Ihr Europa“ kommt eine tragende Rolle dabei zu, Zugang zu besseren Informationen über Verbraucherpolitik zu ermöglichen und unterschiedliche Informationsquellen an einem Ort zu bündeln. Der Zugang zu Informationen hat sich mit der Schaffung eines einheitlichen digitalen Zugangstors verbessert (Verordnung (EU) 2018/1724).
Am 30. März 2022 veröffentlichte die Kommission im Rahmen des Pakets zur Kreislaufwirtschaft einen Vorschlag für eine Richtlinie hinsichtlich der Stärkung der Verbraucher für den ökologischen Wandel durch besseren Schutz gegen unlautere Praktiken und bessere Informationen. Das Hauptziel des Vorschlags besteht darin, die Verbraucher zu umweltfreundlichen Entscheidungen zu ermutigen, indem ihnen die erforderlichen Informationen zur Verfügung gestellt werden.
4. Durchsetzung von Verbraucherrechten
Genauso wichtig wie die Existenz von Verbraucherrechten ist ihre wirksame Durchsetzung. Mit der Richtlinie (EU) 2019/2161 werden die bessere Durchsetzung und Modernisierung der EU-Verbraucherschutzvorschriften sichergestellt. Für die Durchsetzung sind in erster Linie die nationalen Behörden zuständig. Durch die Verordnung (EU) 2017/2394 werden diese Behörden über ein EU-Netz verbunden und der Informationsaustausch und gemeinsame Maßnahmen bei Verstößen gegen das Verbraucherschutzrecht erleichtert. Dieses Netz führt koordinierte Untersuchungen wie z. B. Sweeps im Internet durch, um sicherzustellen, dass Websites den rechtlichen Anforderungen genügen. Darüber hinaus können Verbraucher den Schutz ihrer Kollektivinteressen in der EU durch Verbandsklagen einfordern, und zwar durch Klagen, die gemäß der Richtlinie (EU) 2020/1828 von repräsentativen Organisationen erhoben werden.
Rolle des Europäischen Parlaments
Das Parlament verbessert die EU-Verbraucherschutzvorschriften kontinuierlich. Der Verbraucherschutz hat sich von der bloßen technischen Standardisierung zur Förderung eines „Europas der Bürgerinnen und Bürger“ entwickelt. Seit dem 13. Juni 2014 setzen die Mitgliedstaaten nationale Rechtsvorschriften auf der Grundlage der Richtlinie über die Rechte der Verbraucher um, die mit überwältigender Mehrheit vom Parlament gebilligt wurde.
Am 12. Dezember 2017 billigte das Parlament die Verordnung (EU) 2017/2394 zur Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen den für die Durchsetzung der Verbraucherschutzgesetze zuständigen nationalen Behörden.
Im Anschluss an die „Neugestaltung der Rahmenbedingungen für die Verbraucher“ vonseiten der Kommission nahm das Parlament am 27. November 2019 die Richtlinie (EU) 2019/2161 zur besseren Durchsetzung und Modernisierung der Verbraucherschutzvorschriften der Union an. Am 28. März 2023 nahm der Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz (IMCO) seinen Bericht über die Stärkung der Verbraucher für den ökologischen Wandel durch besseren Schutz gegen unlautere Praktiken und bessere Informationen an.
Über die EU-Rechtsvorschriften hinaus nimmt das Parlament Initiativberichte an, die als Richtschnur für die Verbraucherschutzpolitik dienen. Es hat die Bedeutung umfangreicherer Haushaltsmittel für Maßnahmen für Verbraucher sowie für die Entwicklung von Verbrauchervertretungen herausgestrichen, insbesondere mit Bezug auf die seit 2004 beigetretenen Mitgliedstaaten. Am 13. September 2018 wurde eine Entschließung angenommen, in der festgestellt wird, dass zweierlei Qualität von Erzeugnissen im Binnenmarkt diskriminierend ist.
Am 25. November 2020 nahm das Parlament eine Entschließung zu einem nachhaltigen Binnenmarkt an, in der die Bedeutung der Langlebigkeit und Reparierbarkeit von Produkten sowie der Unterrichtung der Verbraucher, damit diese nachhaltige Entscheidungen treffen können, betont wird.
Während der COVID-19-Krise kam dem Verbraucherschutz bei Erstattungen für Dienstleistungen sowie der Bekämpfung von Fehlinformationen und des Verkaufs fehlerhafter medizinischer Ausrüstung entscheidende Bedeutung zu. Am 23. März 2020 forderte der IMCO-Ausschuss in einem Schreiben an EU-Amtsträger nachdrücklich Maßnahmen zur Bewältigung der COVID-19-Krise und unterstrich die Bedeutung der demokratischen Kontrolle. Am 9. November 2020 wurden in einem Webinar[1] für den IMCO-Ausschuss die Auswirkungen von COVID-19 auf den Binnenmarkt, die ergriffenen Maßnahmen und die künftigen Vorbeugungsmaßnahmen erörtert. Am 19. November stellte Kommissionsmitglied Didier Reynders dem IMCO-Ausschuss die Neue Verbraucheragenda vor, in der die Auswirkungen von COVID-19 auf die Verbraucher bewertet und langfristige politische Themen behandelt werden, darunter der ökologische und der digitale Wandel, die Schutzbedürftigkeit der Verbraucher, die Durchsetzung der Rechte und die internationale Zusammenarbeit.
Am 22. Februar 2021 wurde dem IMCO-Ausschuss eine umfassende Studie[2] zu den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf den Binnenmarkt vorgestellt. Darin werden die Folgen der Einschränkungen auf Ebene der Mitgliedstaaten und auf EU-Ebene für den freien Waren-, Dienstleistungs- und Personenverkehr erläutert. In der Studie werden politische Empfehlungen für den Umgang mit künftigen Krisen dargelegt, um die Freizügigkeit aufrechtzuerhalten, etwa die Bereitstellung von Mitteln für die Entwicklung und Beschaffung künftiger Impfstoffe und die kontinuierliche Koordinierung der einschlägigen Vorschriften auf EU-Ebene.
Die Verbraucherpolitik in den Bereichen digitale Dienste und Online-Dienste ist ein Schwerpunkt der Arbeit des Parlaments und insbesondere des IMCO-Ausschusses. Im Juni 2020 wurde in einer vom IMCO-Ausschuss in Auftrag gegebenen Studie[3] über die Moderation von illegalen Inhalten durch Internetplattformen festgestellt, dass es möglich ist, neben der Koregulierung durch die Internetplattformen den diesbezüglichen EU-Rechtsrahmen zu verstärken, um Verbraucher vor illegalen oder schädlichen Inhalten im Internet zu schützen. In einer im Juni 2021 veröffentlichten Studie wurde untersucht, wie sich personalisierte Werbung auf Werbetreibende, den Marktzugang und die Wahlmöglichkeiten der Verbraucher auswirkt.
Am 20. Oktober 2020 nahm das Europäische Parlament drei Entschließungen an, und zwar zum „Gesetz über digitale Dienste: Verbesserung der Funktionsweise des Binnenmarkts“, zum „Gesetz über digitale Dienste sowie über die Grundrechte betreffende Fragen“ und zum „Gesetz über digitale Dienste: Anpassung der handels- und zivilrechtlichen Vorschriften für online tätige Unternehmen“, und legte seinen Plan dar, wie ein funktionierender digitaler Binnenmarkt künftig sichergestellt werden soll, einschließlich eines stärkeren Verbraucherschutzes im Internet. Ein Großteil des Inhalts der Initiativberichte wurde in den Vorschlägen der Kommission berücksichtigt, die im Dezember 2021 im IMCO-Ausschuss geändert und erfolgreich angenommen wurden (2.1.7). Das Gesetz über digitale Märkte und das Gesetz über digitale Dienste, die am 14. September bzw. 19. Oktober 2022 von den gesetzgebenden Organen verabschiedet wurden, sind für den Verbraucherschutz im digitalen Umfeld von entscheidender Bedeutung.
Am 27. September 2021 führte der IMCO-Ausschuss eine Anhörung zum Thema Verbraucherschutz und Instrumente zur automatisierten Entscheidungsfindung durch. Dabei ging es um den Schutz der Verbraucher vor den Risiken künstlicher Intelligenz und die Verbesserung der Qualität der ihnen zur Verfügung gestellten Informationen. Vertreter von Verbrauchergruppen, Unternehmen, Hochschulen und Zertifizierungsstellen tauschten sich über den derzeitigen EU-Rahmen, erforderliche Änderungen und Herausforderungen bei der Durchsetzung aus. Die Mitglieder des IMCO-Ausschusses betonten, dass das Regelungsumfeld vertrauenswürdig sei. Im Mai 2022 führte der Ausschuss auch eine Anhörung zu digitalen Produktpässen durch, um die Transparenz und den Verbraucherschutz im digitalen Zeitalter zu erhöhen.
Am 7. April 2022 verabschiedete das Parlament eine Entschließung zum Recht der Verbraucher auf Reparatur, die auf langlebige und reparierbare Produkte abzielt.
Am 20. April 2022 erörterte der IMCO-Ausschuss die Rechte der Verbraucher beim Einkauf außerhalb der EU, wobei es um vorvertragliche Informationen und den Schutz vor unlauteren Praktiken und Bedingungen ging.
Weitere Informationen zu diesem Thema finden Sie auf der Website des Ausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherschutz.
Barbara Martinello