Gleichstellung von Männern und Frauen

Die Gleichstellung von Frauen und Männern ist eines der Ziele der Europäischen Union. Mit Rechtsvorschriften, der Rechtsprechung und Änderungen der Verträge ist es nach und nach gelungen, diesen Grundsatz zu festigen und ihn in der EU anzuwenden. Das Europäische Parlament hat sich seit jeher mit allem Nachdruck für den Grundsatz der Gleichstellung von Männern und Frauen starkgemacht.

Rechtsgrundlage

Seit 1957 ist der Grundsatz, dass Männer und Frauen gleiches Entgelt für gleiche Arbeit erhalten sollten, in den EU-Verträgen verankert (aktuell: Artikel 157 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV)). Gemäß Artikel 153 AEUV kann die EU generell auf dem Gebiet der Chancengleichheit und Gleichbehandlung im Bereich Beschäftigung tätig werden. Darüber hinaus sind innerhalb dieses Rahmens nach Artikel 157 AEUV positive Maßnahmen zur Stärkung der Rolle der Frau möglich. Ferner können gemäß Artikel 19 AEUV Rechtsvorschriften zur Bekämpfung jeglicher Form von Diskriminierung, unter anderem aufgrund des Geschlechts, erlassen werden. Auf der Grundlage der Artikel 79 und 83 AEUV wurden EU-Rechtsvorschriften zur Bekämpfung des Menschenhandels und insbesondere des Handels mit Frauen und Kindern erlassen. Mit dem Programm „Rechte, Gleichstellung und Unionsbürgerschaft“ werden unter anderem Maßnahmen finanziert, mit denen auf der Grundlage von Artikel 168 AEUV zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen beigetragen werden soll.

Ziele

Die EU gründet auf einer Reihe von Werten, darunter auch der Gleichheit, und fördert daher die Gleichstellung von Frauen und Männern (Artikel 2 und Artikel 3 Absatz 3 des Vertrags über die Europäische Union (EUV)). Diese Ziele sind zudem in Artikel 21 der Charta der Grundrechte verankert. Darüber hinaus soll die EU nach Artikel 8 AEUV bei allen ihren Tätigkeiten darauf hinwirken, Ungleichheiten zu beseitigen und die Gleichstellung von Männern und Frauen zu fördern (auch bekannt unter der Bezeichnung „Gender-Mainstreaming“). In der Erklärung Nr. 19, die der Schlussakte der Regierungskonferenz, auf der der Vertrag von Lissabon angenommen wurde, beigefügt ist, haben sich die EU und die Mitgliedstaaten verpflichtet, „jede Art der häuslichen Gewalt zu bekämpfen […], solche strafbaren Handlungen zu verhindern und zu ahnden sowie die Opfer zu unterstützen und zu schützen“.

Erfolge

A. Die wichtigsten Rechtsvorschriften

In diesem Zusammenhang wurden unter anderem folgende EU-Rechtsvorschriften angenommen, die meisten davon im Rahmen des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens:

  • Richtlinie 79/7/EWG des Rates vom 19. Dezember 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit;
  • Richtlinie 92/85/EWG des Rates vom 19. Oktober 1992 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz;
  • Richtlinie 97/81/EG des Rates vom 15. Dezember 1997 zu der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinigung über Teilzeitarbeit;
  • Richtlinie 2000/43/EG des Rates vom 29. Juni 2000 zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft. Die Richtlinie zur Gleichbehandlung ohne Unterschied der Rasse verbietet Diskriminierung aus Gründen der Rasse oder der ethnischen Herkunft in einer Vielzahl von Bereichen, darunter Beschäftigung, Sozialschutz und soziale Vergünstigungen, Bildung sowie Güter und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, wie Wohnraum;
  • Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf;
  • Richtlinie 2004/113/EG des Rates vom 13. Dezember 2004 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen.

Im Jahr 2006 wurden mehrere frühere Rechtsakte aufgehoben und durch folgende ersetzt:

  • Richtlinie 2006/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2006 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen (Neufassung);
  • Richtlinie 2010/18/EU des Rates vom 8. März 2010 zur Durchführung der überarbeiteten Rahmenvereinbarung über den Elternurlaub und zur Aufhebung der Richtlinie 96/34/EG;
  • Richtlinie 2010/41/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. Juli 2010 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen, die eine selbständige Erwerbstätigkeit ausüben, und zur Aufhebung der Richtlinie 86/613/EWG des Rates;
  • Richtlinie 2011/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2002/629/JI des Rates;
  • Richtlinie 2011/99/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über die Europäische Schutzanordnung;
  • Richtlinie 2012/29/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 über Mindeststandards für die Rechte, die Unterstützung und den Schutz von Opfern von Straftaten sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2001/220/JI des Rates;
  • Richtlinie (EU) 2019/1158 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für Eltern und pflegende Angehörige und zur Aufhebung der Richtlinie 2010/18/EU des Rates.

B. Fortschritte durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH)

Der EuGH spielte eine wichtige Rolle bei der Förderung der Gleichstellung von Männern und Frauen. Die wichtigsten Urteile waren:

  • Defrenne-II-Urteil vom 8. April 1976 (Rechtssache 43/75): Der EuGH erkannte die unmittelbare Geltung des Grundsatzes des gleichen Entgelts von Männern und Frauen an und urteilte, dass der Grundsatz nicht nur für den Bereich der öffentlichen Behörden gilt, sondern sich auch auf alle die abhängige Erwerbstätigkeit kollektiv regelnden Tarifverträge erstreckt.
  • Bilka-Urteil vom 13. Mai 1986 (Rechtssache C-170/84): Der EuGH entschied, dass eine Maßnahme, die Teilzeitbeschäftigte von der betrieblichen Altersvorsorge ausschließt, als „mittelbare Diskriminierung“ einen Verstoß gegen den ehemaligen Artikel 119 des Vertrags über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft darstellt, wenn sie wesentlich mehr Frauen als Männer betrifft, außer wenn nachgewiesen werden konnte, dass diese Situation auf Faktoren beruhte, die objektiv gerechtfertigt waren und nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun hatten.
  • Barber-Urteil vom 17. Mai 1990 (Rechtssache C-262/88): Der EuGH entschied, dass alle Formen von Betriebsrenten einem Entgelt im Sinne des ehemaligen Artikels 119 gleichzustellen sind und der Grundsatz der Gleichbehandlung daher auf sie anwendbar ist. Der EuGH leitete daraus den Grundsatz ab, dass Arbeitnehmer männlichen Geschlechts ihre Rechte in Bezug auf Alters- und Hinterbliebenenrenten im gleichen Alter wie ihre Kolleginnen geltend machen können.
  • Marschall-Urteil vom 11. November 1997 (Rechtssache C-409/95): Der EuGH erklärte, dass das Gemeinschaftsrecht keiner nationalen Regelung entgegensteht, nach der in Tätigkeitsbereichen, in denen Frauen weniger vertreten sind als Männer, vorrangig weibliche Bewerber zu fördern sind („positive Diskriminierung“), sofern dieser Vorteil nicht automatisch gewährt wird und den männlichen Bewerbern in jedem Einzelfall eine objektive Prüfung ihrer Bewerbung garantiert ist.
  • Test-Achats-Urteil vom 1. März 2011 (Rechtssache C-236/09): Der EuGH erklärte Artikel 5 Absatz 2 der Richtlinie 2004/113/EG des Rates für ungültig, weil er dem Grundsatz der Gleichbehandlung von Frauen und Männern beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen zuwiderläuft. Bei der Festlegung von Versicherungsbeiträgen und -leistungen müssen für Männer und Frauen dieselben versicherungsmathematischen Grundsätze zugrunde gelegt werden.
  • Korwin-Mikke-Urteil vom 31. Mai 2018 (Rechtssachen T-770/16 und T-352/17): Der EuGH entschied, dass die Sanktionen gegen den rechtsextremen polnischen Abgeordneten Janusz Korwin-Mikke aufzuheben sind.
  • Violeta-Villar-Láiz-Urteil vom 8. Mai 2019 (Rechtssache C-161/18): Der EuGH stellte fest, dass die spanischen Rechtsvorschriften über die Berechnung der Altersrente von Teilzeitbeschäftigten gegen EU-Recht verstoßen, wenn weibliche Arbeitskräfte dadurch besonders benachteiligt werden.
  • Praxair-Urteil vom 8. Mai 2019 (Rechtssache C-486/18): Der EuGH erklärte, dass die Berechnung der Entlassungsentschädigung und der Zuwendung für die Wiedereingliederung eines Arbeitnehmers, der während eines Elternurlaubs auf Halbzeitbasis arbeitet, auf der Grundlage des Vollzeitgehalts erfolgen muss. Widersprüchliche nationale Rechtsvorschriften führen zu einer mittelbaren Diskriminierung aufgrund des Geschlechts.
  • Safeway-Urteil vom 7. Oktober 2019 (Rechtssache C-171/18): Der EuGH entschied über die Angleichung der Rentenleistungen im Rahmen eines betrieblichen Rentensystems.
  • Ortiz-Mesonero-Urteil vom 18. September 2019 (Rechtssache C-366/18): Einem Vater wurde es verweigert, in festen Schichten zu arbeiten, um besser für seine Kinder sorgen zu können. Der EuGH entschied, dass die Richtlinien hier keine Anwendung finden und dass sie keine Bestimmung enthalten, die die Mitgliedstaaten verpflichten würde, einem Arbeitnehmer im Rahmen eines Antrags auf Elternurlaub ein Recht auf feste Arbeitszeiten einzuräumen, wenn dessen gewöhnlicher Arbeitsrhythmus Schichtarbeit mit variablen Arbeitszeiten vorsieht.
  • Hakelbracht-Urteil vom 20. Juni 2019 (Rechtssache C-404/18): Der EuGH entschied, dass, wenn eine Person geltend macht, aufgrund ihres Geschlechts diskriminiert zu werden, und eine Beschwerde einreicht, andere Arbeitnehmer, bei denen es sich nicht um diese Person handelt, geschützt werden sollten, da sie von ihrem Arbeitgeber aufgrund der Unterstützung, die sie dem Opfer der mutmaßlichen Diskriminierung formell oder informell entgegengebracht haben, benachteiligt werden könnten.
  • Tesco-Stores-Urteil vom 3. Juni 2021 (Rechtssache C-624/19): In seinem Urteil verwies der EuGH zunächst auf sein Urteil in der Rechtssache Praxair MRC (C-486/18), wonach sich das Verbot diskriminierender Ungleichbehandlung von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen auch auf Tarifverträge und Verträge zwischen Privaten zur Regelung des Entgelts erstreckt. Ferner verwies er auf seine sonstige ständige Rechtsprechung, die es Gerichten ermöglicht, andere geschlechtsspezifische Ungleichbehandlungen in Bezug auf das Entgelt auf der Grundlage der strittigen Regelung zu bewerten. Der EuGH kam zu dem Schluss, dass Artikel 157 AEUV dahin auszulegen ist, dass er in Rechtsstreitigkeiten zwischen Privaten, in denen ein Verstoß gegen den Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei „gleichwertiger Arbeit“ geltend gemacht wird, unmittelbare horizontale Wirkung entfaltet.
  • Gutachten 1/19 des Gerichtshofs vom 6. Oktober 2021 über den Beitritt zum Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Übereinkommen von Istanbul). In dem Gutachten des EuGH werden die Modalitäten des Beitritts der EU zum Übereinkommen von Istanbul und dessen Rechtsgrundlage präzisiert.

C. Jüngste Entwicklungen

Nachstehend wird eine Übersicht über die jüngsten Maßnahmen der EU auf dem Gebiet der Gleichstellung von Männern und Frauen gegeben:

Während der COVID-19-Pandemie nahm die geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen zu. Damit wurden die Ergebnisse langjähriger Forschung, wonach das Risiko häuslicher Gewalt in Krisenzeiten tendenziell zunimmt, bestätigt. Durch Maßnahmen der Ausgangsbeschränkung sollten die Menschen zu Hause geschützt werden, doch es stellte sich heraus, dass das Zuhause nicht für alle sicher ist. Diese Maßnahmen haben nachweislich dazu beigetragen, dass die Zahl der Meldungen von häuslicher Gewalt deutlich anstieg. Angesichts dieser Entwicklungen und unter Berücksichtigung des erwarteten Beitritts der EU zu dem Übereinkommen zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Übereinkommen von Istanbul) hat die Kommission im März 2022 einen Vorschlag für eine Richtlinie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt angenommen.

Am 5. März 2020 nahm die Kommission ihre Strategie für die Gleichstellung der Geschlechter 2020-2025 an. Damit wird ein ehrgeiziger Rahmen für die nächsten fünf Jahre geschaffen, um die Gleichstellung der Geschlechter in Europa und darüber hinaus voranzutreiben. Die Strategie beruht auf der Vision eines Europas, in dem die Bürgerinnen und Bürger in all ihrer Vielfalt frei von Gewalt und Stereotypen leben und die Möglichkeit haben, sich zu entwickeln und Führungsrollen zu übernehmen, und zwar unabhängig von ihrem Geschlecht.

Zu den ersten Ergebnissen der Strategie gehören die verbindlichen Maßnahmen zur Lohntransparenz, die die Kommission im März 2021 vorschlug. Sie legte einen Vorschlag für eine Richtlinie vor, um die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit durch mehr Lohntransparenz und Durchsetzungsmechanismen zu stärken. Im März 2021 nahm die Kommission einen Aktionsplan zur Umsetzung der europäischen Säule sozialer Rechte an, bei dem die Gleichstellung der Geschlechter im Mittelpunkt steht und mit dem ambitionierte Zielvorgaben für die Teilhabe von Frauen am Arbeitsmarkt und die Bereitstellung frühkindlicher Betreuung, Bildung und Erziehung festgelegt wurden. Neben anderen Zielen können angemessene Mindestlöhne dazu beitragen, das geschlechtsspezifische Lohngefälle zu verringern, da mehr Frauen als Männer den Mindestlohn beziehen. Daher legte die Kommission im Oktober 2020 einen Vorschlag für eine EU-Richtlinie vor, um sicherzustellen, dass Arbeitnehmer in der EU durch angemessene Mindestlöhne geschützt sind. Der Vorschlag wird derzeit im Ausschuss für die Rechte der Frauen und die Gleichstellung der Geschlechter (FEMM) und im Ausschuss für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten (EMPL) erörtert.

Die Kommission arbeitet derzeit auch an einer neuen Rechtsetzungsinitiative zu Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt. Eine öffentliche Konsultation zu der Initiative wurde im Februar 2021 eingeleitet. Zugleich bleibt der Beitritt der EU zum Übereinkommen von Istanbul eine der zentralen Prioritäten der Kommission. Im Jahr 2020 nahm sie ihre erste EU-Strategie für die Rechte von Opfern an, um stärker gegen geschlechtsspezifische Gewalt vorzugehen.

Der Mehrjährige Finanzrahmen (MFR) der EU für den Zeitraum 2021-2027

Nach der Zustimmung des Europäischen Parlaments nahm der Rat am 17. Dezember 2020 die Verordnung zur Festlegung des Mehrjährigen Finanzrahmens (MFR) der EU für den Zeitraum 2021-2027 an. Mit dem neuen MFR wird der durchgängigen Berücksichtigung der Gleichstellung der Geschlechter im EU-Haushalt höhere Priorität eingeräumt.

Zusammen mit dem Aufbauinstrument „NextGenerationEU“ in Höhe von 750 Mrd. EUR wird es der EU ermöglicht, über die nächsten Jahre beispiellose 1,8 Trillionen EUR bereitzustellen, um die Erholung von der COVID-19-Pandemie und die langfristigen Prioritäten der EU in verschiedenen Politikbereichen zu unterstützen. Der nächste langfristige Haushalt wird sieben Ausgabenbereiche umfassen. Er wird den Rahmen für die Finanzierung von fast 40 Ausgabenprogrammen der EU für die nächsten sieben Jahre bilden. Im Rahmen des Aufbauinstruments „NextGenerationEU“ wird auch besonderes Augenmerk auf die Gleichstellung der Geschlechter gerichtet. So sollte insbesondere in den nationalen Aufbau- und Resilienzplänen dargelegt werden, wie die im Rahmen der Aufbau- und Resilienzfazilität finanzierten Investitionen und Reformen voraussichtlich zur Förderung der Gleichstellung der Geschlechter und der Chancengleichheit für alle beitragen werden.

Im April 2021 nahmen der Rat und das Europäische Parlament die beiden Programme an, die als Teil des künftigen MFR für den Zeitraum 2021-2027 den EU-Fonds für Justiz, Rechte und Werte bilden. Mit den Programmen wird dazu beigetragen, die Justiz, die Rechte und die Werte der EU weiter zu fördern, zu stärken und zu schützen. Das Programm „Bürgerinnen und Bürger, Gleichstellung, Rechte und Werte“ (CERV) für den Zeitraum 2021-2027 sieht insbesondere die Zuweisung von Mitteln an Organisationen der Zivilgesellschaft vor, die sich dafür einsetzen, die Gleichstellung der Geschlechter zu fördern und gegen Gewalt gegen Frauen und Mädchen in der EU vorzugehen. Das CERV-Programm wird mit einem Gesamthaushalt von bis zu 1,55 Mrd. EUR ausgestattet (wobei sich der Haushalt auf 641,7 Mio. EUR beläuft mit zusätzlichen Mittelzuweisungen von bis zu 912 Mio. EUR). Der Haushalt des Programms „Justiz“ wird sich auf 305 Mio. EUR belaufen.

Beitritt der EU zum Übereinkommen des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Übereinkommen von Istanbul)

Das Übereinkommen von Istanbul, das 2014 in Kraft trat, ist das erste internationale rechtsverbindliche Instrument für die Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen auf internationaler Ebene. Mit ihm wird ein umfassendes Rahmenwerk rechtlicher und strategischer Maßnahmen zur Verhütung von Gewalt gegen Frauen, zur Unterstützung der Opfer und zur Bestrafung der Täter eingeführt.

Der Rat der Europäischen Union beschloss, dass der Entwurf eines Beschlusses über die Unterzeichnung des Übereinkommens in zwei Beschlüsse unterteilt werden sollte, von denen der eine die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen und der andere das Thema Asyl und den Grundsatz der Nichtzurückweisung zum Gegenstand hatte. Nach der Annahme dieser beiden Beschlüsse im Rat im Mai 2017 unterzeichnete das Mitglied der Kommission mit Zuständigkeit für Justiz, Verbraucher und Gleichstellung am 13. Juni 2017 im Namen der EU das Übereinkommen von Istanbul.

Die Unterzeichnung ist der erste Schritt im Prozess des Beitritts der EU zum Übereinkommen. Um diesen abzuschließen, müssen nun Beschlüsse des Rates angenommen werden. Im Rat wird im Rahmen der Gruppe „Grundrechte, Bürgerrechte und Freizügigkeit“ (FREMP) über Legislativvorschläge in diesem Bereich beraten. In den Aussprachen ging es vorrangig um einen Verhaltenskodex, mit dem festgelegt wird, wie die EU und die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung des Übereinkommens zusammenarbeiten werden.

In seiner Entschließung vom 4. April 2019 ersuchte das Europäische Parlament den EuGH um ein Gutachten zur Vereinbarkeit der Vorschläge für den Beitritt der EU zum Übereinkommen von Istanbul mit den Verträgen und über das Verfahren für diesen Beitritt. Der EuGH entschied, dass die „Verträge [...] es dem Rat nicht [verbieten], vor dem Erlass des Beschlusses über den Abschluss des Übereinkommens von Istanbul durch die Union die ,einstimmige Entscheidung‘ der Mitgliedstaaten abzuwarten“. Er stellte ferner fest, dass „dieser Rechtsakt [...] in zwei gesonderte Beschlüsse aufgespalten werden [kann], wenn dafür eine objektive Notwendigkeit besteht“.

Rolle des Europäischen Parlaments

Das Europäische Parlament spielt nach wie vor eine sehr wichtige Rolle in der Politik zur Chancengleichheit, vor allem durch seinen FEMM-Ausschuss. Für Gleichbehandlung auf dem Arbeitsmarkt setzt sich das Europäische Parlament auf der Grundlage des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens (Mitentscheidung) ein. Beispiele hierfür sind:

  • die Richtlinie (EU) 2019/1158 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für Eltern und pflegende Angehörige und zur Aufhebung der Richtlinie (EU) 2010/18 des Rates, die vom Europäischen Parlament und vom Rat im Juni 2019 angenommen wurde. Die Richtlinie musste von den EU-Mitgliedstaaten bis zum 1. August 2021 umgesetzt werden;
  • der Standpunkt des Europäischen Parlaments zu dem Vorschlag für eine Richtlinie zur Stärkung der Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit durch Lohntransparenz und Durchsetzungsmechanismen (2021/0050(COD));
  • der Vorschlag für eine Richtlinie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (COM(2022)0105), der von der Kommission im März 2022 angenommen wurde.

In Bezug auf die Richtlinie zur Stärkung der Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit durch Lohntransparenz und Durchsetzungsmechanismen wird der Standpunkt des Europäischen Parlaments in der ersten Lesung des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens erwartet. Außerdem trägt das Parlament durch seine Initiativberichte, Workshops und Anhörungen generell zur Entwicklung der Gleichstellungspolitik bei und lenkt die Aufmerksamkeit der anderen Organe auf spezifische Problemstellungen. Beispiele:

  • Im Mai 2022 berichtete der FEMM-Ausschuss über die Trilogverhandlungen zum Thema „Ausgewogene Vertretung von Frauen und Männern unter den nicht geschäftsführenden Direktoren/Aufsichtsratsmitgliedern börsennotierter Gesellschaften“.
  • Das Europäische Parlament hat seinen Standpunkt in erster Lesung zu diesem Vorschlag am 20. November 2013 angenommen. Bis der Rat seinen Standpunkt zu dem Vorschlag festgelegt hat, verging ein Jahrzehnt.
  • Die Situation änderte sich, als der französische Ratsvorsitz eine allgemeine Ausrichtung zu dem Text vorschlug, die am 14. März 2022 vom Rat angenommen wurde. Dies ebnete den Weg für die interinstitutionellen Verhandlungen.
  • Darüber hinaus veranstaltete der FEMM-Ausschuss gemeinsam mit dem Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE) im Mai 2022 eine öffentliche Anhörung zum Thema „Bekämpfung von geschlechtsspezifischer Gewalt im Internet“. Die geschlechtsspezifische Gewalt im Internet ist eine ungehemmte Fortsetzung der zunehmenden Gewalt in unserer Gesellschaft, bei der die Täter meist anonym bleiben. Von Cyberkriminalität, Einschüchterungsversuchen, Mobbing, Stalking, Doxing, Belästigung und anderen Gewalttaten, die über das Internet, soziale Netzwerke und Sofortnachrichtenanwendungen begangen werden, sind hauptsächlich Frauen und Mädchen betroffen.
  • Die Ausschüsse FEMM und LIBE setzen sich seit Langem dafür ein, diese Probleme auf alle möglichen Weisen anzugehen. Vor der Prüfung des genannten Entwurfs einer Richtlinie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt wurde diese neue gemeinsame Anhörung veranstaltet, um die Überlegungen der Mitgliedstaaten einfließen zu lassen und Wege und Mittel zur weiteren Verbesserung des bestehenden Rechtsrahmens vorzuschlagen.
  • Das Europäische Parlament ist auch intern bei der Tätigkeit all seiner Ausschüsse um die Integration der Geschlechterfrage bemüht[1]. Zu diesem Zweck wurden zwei Netzwerke für die Integration der Geschlechterfrage gegründet, die vom FEMM-Ausschuss koordiniert werden. Im Rahmen des Netzwerks der Vorsitzenden und stellvertretenden Vorsitzenden für die Integration der Geschlechterfrage kommen Mitglieder des Europäischen Parlaments zusammen, die sich für die Einführung einer geschlechtsspezifischen Dimension bei der Tätigkeit ihrer Ausschüsse einsetzen. Sie werden von einem Netzwerk von Verwaltungsräten, die für die Integration der Geschlechterfrage zuständig sind, unterstützt. Dem Netzwerk gehören Verwaltungsräte aus allen Ausschusssekretariaten an. Die Hochrangige Gruppe für die Gleichstellung der Geschlechter fördert Schulungs- und Sensibilisierungsmaßnahmen zur Integration der Geschlechterfrage für die Bediensteten des Europäischen Parlaments und der Fraktionen.

 

[1]Entschließung des Europäischen Parlaments vom 13. März 2003 zu Gender Mainstreaming im Europäischen Parlament (ABl. C 61E vom 10.3.2004, S. 384).

Martina Schonard