Bankenunion
Die Bankenunion wurde als Reaktion auf die Finanzkrise geschaffen und besteht derzeit aus zwei Teilen, dem Einheitlichen Aufsichtsmechanismus (SSM) und dem Einheitlichen Abwicklungsmechanismus (SRM). Der SSM überwacht die größten und wichtigsten Banken im Euro-Währungsgebiet unmittelbar auf europäischer Ebene, während es Aufgabe des SRM ist, ausfallende Banken in geordneter Weise und mit minimalen Kosten für die Steuerzahler und die Realwirtschaft abzuwickeln. Ein drittes Element, ein europäisches Einlagenversicherungssystem (EDIS), wurde als legislative Priorität für 2021 akzeptiert, was jedoch 2022 wieder rückgängig gemacht wurde.
Rechtsgrundlage
Artikel 114 und Artikel 127 Absatz 6 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV).
Ziele
Die Bankenunion ist eine wesentliche Ergänzung der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) und des Binnenmarkts, durch die die Verantwortung für die Aufsicht, Abwicklung und Finanzierung auf EU-Ebene zusammengeführt wird und die Banken im gesamten Euro-Währungsgebiet gezwungen werden, sich an dieselben Regeln zu halten. Insbesondere wird durch diese Vorschriften sichergestellt, dass die Banken nur mäßige Risiken eingehen und dass ausfallende Banken geordnet und mit möglichst geringen Auswirkungen auf die Realwirtschaft und die öffentlichen Finanzen der teilnehmenden EU-Länder abgewickelt werden können.
Ergebnisse
A. Fahrplan für die Bankenunion
Im Dezember 2012 entwarf der Präsident des Europäischen Rates in enger Zusammenarbeit mit den Präsidenten der Europäischen Kommission, der Europäischen Zentralbank (EZB) und der Euro-Gruppe einen spezifischen Fahrplan mit Terminvorgaben für die Errichtung einer echten WWU. Einer der wesentlichen Punkte dieses Fahrplans war die Schaffung eines stärker integrierten Finanzrahmens, d. h. der Bankenunion.
B. Einigung über den SSM
Im März 2013 erzielten das Parlament und der Rat eine politische Einigung über die Errichtung des ersten Pfeilers der Bankenunion, des einheitlichen Aufsichtsmechanismus (SSM), der alle Banken im Euro-Währungsgebiet umfasst. Die Mitgliedstaaten, die nicht dem Euro-Währungsgebiet angehören, können sich freiwillig am SSM beteiligen. Der SSM, der seit November 2014 im Einsatz ist, wurde der EZB zugeordnet und ist für die direkte Aufsicht über die größten und bedeutendsten Bankenkonsortien zuständig, während alle anderen Banken weiterhin von den nationalen Aufsichtsbehörden – unter der letztendlichen Verantwortlichkeit der EZB – beaufsichtigt werden. Die Kriterien für die Feststellung, ob Banken systemrelevant sind – und somit unter die direkte Beaufsichtigung durch die EZB fallen –, sind in der SSM-Verordnung und der SSM-Rahmenverordnung festgelegt und beziehen sich auf die Größe, die wirtschaftliche Bedeutung, die grenzüberschreitende Tätigkeit und den Bedarf an direkter staatlicher Unterstützung einer Bank. Im Einklang mit der Entwicklung dieser Kriterien ändert sich die Anzahl der Banken, die tatsächlich direkt von der EZB beaufsichtigt werden, somit im Laufe der Zeit; die EZB kann außerdem jederzeit entscheiden, eine Bank als systemrelevant einzustufen, falls das erforderlich ist, um dafür zu sorgen, dass hohe Aufsichtsstandards konsequent angewandt werden.
Um einen potenziellen Interessenkonflikt zu vermeiden, werden die organisatorische und die operative Trennung der Funktionen der EZB in den Bereichen Aufsicht und Geldpolitik durch klare Vorschriften geregelt.
C. Umfassende Bewertung
Vor der Übernahme ihrer Aufsichtsfunktionen hat die EZB eine „Prüfung der finanziellen Gesundheit“ der Banken durchgeführt, die als umfassende Bewertung bezeichnet wird und eine Überprüfung der Aktiva-Qualität und Stresstests umfasste. Das Ziel dieses Verfahrens bestand darin, für größere Transparenz der Bilanzen der Banken zu sorgen, um einen verlässlichen Ausgangspunkt zu erhalten. Die im Oktober 2014 veröffentlichten Ergebnisse zeigten, dass 25 der 130 teilnehmenden Banken eine unzureichende Kapitalausstattung aufwiesen.
Für alle Banken wird ein ähnliches Gutachten zu ihrer „finanziellen Gesundheit“ erstellt, wenn sie erstmals unter die direkte Beaufsichtigung fallen. Nachdem Bulgarien beispielsweise um eine enge Zusammenarbeit zwischen der EZB und der bulgarischen Nationalbank ersucht hatte, führte die EZB eine umfassende Bewertung von sechs bulgarischen Banken durch, deren Ergebnisse sie im Juli 2019 veröffentlichte. Im Juli 2021 schloss die EZB eine umfassende Bewertung von zwei italienischen Banken, einer estnischen und einer litauischen Bank, ab.
D. SRM
Im März 2014 wurde zwischen dem Parlament und dem Rat eine politische Einigung über die Errichtung des zweiten Pfeilers der Bankenunion, des einheitlichen Abwicklungsmechanismus (SRM), erzielt. Mit dem SRM soll in erster Linie dafür gesorgt werden, dass ausfallende Banken in der Bankenunion effizient und mit minimalen Kosten für die Steuerzahler und die Realwirtschaft abgewickelt werden. Falls ein Eingreifen erforderlich ist, übernimmt eine zentrale Behörde – der Ausschuss für einheitliche Abwicklung (SRB) – die Verantwortung für die Entscheidung, die Abwicklung einer Bank einzuleiten, während die Entscheidung operativ in Zusammenarbeit mit den nationalen Abwicklungsbehörden umgesetzt wird. Der SRB hat seine Arbeit als unabhängige Einrichtung der EU im Januar 2015 aufgenommen und ist seit Januar 2016 uneingeschränkt einsatzfähig.
Im Juni 2017 traf der SRB seine erste Abwicklungsentscheidung im Fall der Banco Popular. Der SRB beschloss jedoch, im Juni 2017 in Bezug auf die Banca Popolare di Vicenza und die Veneto Banca, im Februar 2018 in Bezug auf die ABLV Bank AS und ihre Tochtergesellschaft ABLV Bank Luxembourg S.A. und im August 2019 in Bezug auf die AS PNB Banka keine Abwicklungsmaßnahmen zu ergreifen.
E. SRF
Mit den Regeln der Bankenunion wird bezweckt, dass eine Abwicklung zunächst von der betreffenden Bank und ihren Anteilseignern und, falls notwendig, teilweise auch von den Gläubigern der Bank finanziert wird. Allerdings steht jetzt noch eine weitere Finanzierungsquelle zur Verfügung, auf die zurückgegriffen werden kann, wenn die Beiträge der Anteilseigner und der Gläubiger der Bank nicht ausreichen, nämlich der einheitliche Abwicklungsfonds (SRF). Die Beiträge zum SRF werden von den Banken über einen Zeitraum von acht Jahren eingezahlt. Als Zielgröße für den SRF ist 1% der gedeckten Einlagen bis Ende 2023 festgelegt. Im Juli 2021 belief sich der SRF auf rund 52 Mrd. EUR. Unter Berücksichtigung des derzeitigen jährlichen Wachstums der gedeckten Einlagen wird sich der Fonds am Ende auf fast 70 Mrd. EUR belaufen. Im November 2020 vereinbarte die Euro-Gruppe, die gemeinsame Letztsicherung für den SRF (eine Kreditlinie des ESM für den Bedarfsfall) auf Anfang 2022 vorzuziehen.
F. BRRD
Die neuen Vorschriften zur Lastenteilung, die bei einer Bankenabwicklung Anwendung finden, sind in der Richtlinie über die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten (BRRD) festgelegt, die vom Parlament im April 2014 angenommen wurde. In der Richtlinie sind Möglichkeiten vorgesehen, notleidende Banken abzuwickeln, ohne dass Rettungen durch die Steuerzahler erforderlich sind; dabei wird der Grundsatz umgesetzt, dass Verluste vorrangig von den Anteilseignern und Gläubigern zu tragen sind und erst dann durch den Rückgriff auf staatliche Mittel. Gesetzgebungsverfahren zur Anpassung der BRRD, insbesondere um internationale Normen zu Verlustabsorptions- und Rekapitalisierungsfähigkeiten einzubinden, wurden vom Parlament im April 2019 angenommen (siehe Abschnitt G).
G. CRD/CRR
Durch Mindestkapitalanforderungen wird festgelegt, wie viel Kapital eine Bank halten muss, damit man davon ausgehen kann, dass sie sicher arbeiten und allein mit operativen Verlusten fertig werden kann. Während der Finanzkrise ist deutlich geworden, dass die vorherigen regulatorischen Mindestkapitalanforderungen für den Fall einer größeren Krise zu niedrig waren. Daher wurde auf internationaler Ebene vereinbart, die jeweiligen Mindestschwellen zu erhöhen (Basel-III-Grundsätze). Im April 2013 hat das Parlament zwei Rechtsakte angenommen, mit denen die Eigenkapitalanforderungen für Banken in europäisches Recht umgesetzt werden, die vierte Eigenkapitalrichtlinie (CRD) und die Eigenkapitalverordnung (CRR). Die CRD und die CRR sind im Januar 2014 in Kraft getreten.
Die Gleichheit der Wettbewerbsbedingungen im Binnenmarkt wird durch ein einheitliches Regelwerk für alle Banken in der EU gestärkt. In den vom Parlament angenommenen Rechtsakten mussten noch einige technische Einzelheiten abschließend geregelt werden. Der Kommission wurde daher die Befugnis übertragen, ergänzende Rechtsakte (sogenannte Maßnahmen der Stufe 2) zu erlassen, in denen die fehlenden technischen Einzelheiten festgelegt werden.
Im November 2016 stellte die Kommission ein umfassendes Reformpaket zur Änderung der Bestimmungen der CRD und der CRR vor. Die zwei Legislativvorschläge zur Änderung der CRD und der CRR wurden im Parlament parallel verhandelt. Im Juni 2018 verabschiedete der Ausschuss für Wirtschaft und Währung des Parlaments seinen vollständigen Bericht zu den Änderungsvorschlägen. Im Juni 2019 wurden die geänderte Eigenkapitalrichtlinie (CRD V) und Eigenkapitalverordnung (CRR II) im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht.
H. Europäisches Einlagenversicherungssystem (EDIS)
Im November 2015 legte die Kommission einen Legislativvorschlag vor, mit dem die Bankenunion um ein weiteres Element ergänzt werden soll, nämlich das europäische Einlagenversicherungssystem (EDIS). Der ursprüngliche Vorschlag der Kommission baute auf den bestehenden nationalen Einlagensicherungssystemen auf und empfiehlt die schrittweise Einführung des EDIS. Der Vorschlag wurde als insgesamt kostenneutral für den Bankensektor konzipiert (auch wenn Banken mit höheren Risiken höhere Beiträge als risikoärmere Banken zahlen müssen). Zudem werden ergänzende Sicherungsmechanismen und Maßnahmen zur Verringerung von Risiken im Bankgeschäft vorgeschlagen.
Die Berichterstatterin des Europäischen Parlaments veröffentlichte ihren Entwurf eines Berichts über das EDIS im November 2016. Die anschließenden Erörterungen im Parlament und im Rat offenbarten in der Endphase unterschiedliche Standpunkte hinsichtlich der Ausgestaltung des Systems. Um Fortschritte zu erleichtern, veröffentlichte die Kommission im Oktober 2017 eine zusätzliche Mitteilung, in der sie einige Optionen für die Gestaltung des EDIS vorschlug. Im Dezember 2020 einigten sich die drei EU-Organe in dem entsprechenden Arbeitsdokument auf die legislativen Prioritäten für 2021, einschließlich des EDIS. Auf dem Euro-Gipfel im Juni 2021 bekräftigen die Führungsspitzen ihr uneingeschränktes Engagement für die Vollendung der Bankenunion und ersuchen die Euro-Gruppe, unverzüglich einen mehrstufigen und an Fristen geknüpften Arbeitsplan zu vereinbaren. Gemäß der Erklärung zur Zukunft der Bankenunion vom 16. Juni 2022 hat sich die Euro-Gruppe jedoch darauf geeinigt, den Schwerpunkt zunächst auf die Stärkung des gemeinsamen Rahmens für das Bankenkrisenmanagement und die nationalen Einlagensicherungssysteme zu legen. Alle verbleibenden Elemente zur Stärkung und Vollendung der Bankenunion würden erst zu einem späteren Zeitpunkt überprüft.
Rolle des Europäischen Parlaments
Als Reaktion auf den Fahrplan hin zu einer echten WWU hat das Parlament am 20. November 2012 eine Entschließung mit dem Titel „Auf dem Weg zu einer echten Wirtschafts- und Währungsunion“ angenommen, die Empfehlungen an die Kommission zur Errichtung einer echten Bankenunion enthält. Durch die Annahme von Rechtsakten zu SSM, SRM, DGS, BRRD und CRD IV in den Jahren 2013 und 2014 hat das Parlament wesentlich zur Schaffung einer echten Bankenunion beigetragen.
Durch diese Rechtsakte erhält das Parlament eine Kontrollfunktion über die neu eingerichteten Institutionen. Die EZB ist in ihrer Rolle als Aufsichtsorgan (d. h. innerhalb des SSM) dem Parlament und dem Rat gegenüber rechenschaftspflichtig. Einzelheiten hinsichtlich der Rechenschaftspflicht gegenüber dem Parlament sind in einer Interinstitutionellen Vereinbarung (IIV) zwischen dem Parlament und der EZB festgelegt.
Bisher haben im Ausschuss für Wirtschaft und Währung 23 ordentliche öffentliche Anhörungen des Vorsitzes des SSM stattgefunden (März 2014, November 2014, März 2015, Oktober 2015, März 2016, Juni 2016, November 2016, März 2017, Juni 2017, November 2017, März 2018, Juni 2018, November 2018, März 2019, September 2019, Dezember 2019, Mai 2020, Oktober 2020, März 2021, Juli 2021, Oktober 2021, März 2022 und Juni 2022).
Das gleiche Verfahren findet beim Ausschuss für einheitliche Abwicklung Anwendung, dessen Vorsitz sich mindestens einmal in jedem Kalenderjahr einer Anhörung über die Durchführung der Abwicklungsaufgaben vor dem zuständigen Ausschuss des Parlaments stellen muss. Bisher haben im Ausschuss für Wirtschaft und Währung 20 öffentliche Anhörungen des SRB stattgefunden (Juni 2015, Januar 2016, Juli 2016, Dezember 2016, März 2017, Juli 2017, Dezember 2017, März 2018, Juli 2018, Dezember 2018, April 2019, Juli 2019, Dezember 2019, Mai 2020, Oktober 2020, März 2021, Juli 2021, Dezember 2021, März 2022 und Juli 2022).
Einzelheiten hinsichtlich der Rechenschaftspflicht des SRB gegenüber dem Parlament und der damit zusammenhängenden praktischen Modalitäten sind in einer Interinstitutionellen Vereinbarung zwischen dem Parlament und dem SRB festgelegt, die am 24. Dezember 2015 veröffentlicht wurde.
Marcel Magnus