Geschichte eines einzigartigen Parlaments
Die Geschichte des Parlaments geht bis in die Anfänge der europäischen Gemeinschaft zurück, wenngleich es nicht von Beginn an den Namen "Europäisches Parlament" trug. Geprägt ist die nun über 55jährige Geschichte von einem stetigen Zuwachs an Rechten und Kompetenzen der direkt gewählten Abgeordneten
Von der Versammlung zum Parlament
Am Anfang stand eine Versammlung mit 78 Parlamentarier*inenn, die 1952 mit der Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) geschaffen wurde. Sie trug den Namen "Gemeinsame Versammlung" und hatte ausschließlich beratende Funktionen. Die Mitglieder*innen wurden nicht direkt gewählt, sondern von den nationalen Parlamenten entsandt.
Als mit den Römischen Verträgen von 1957 die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft und die Europäische Atomgemeinschaft gegründet wurden, wurden die beratenden Aufgaben der Versammlung auch auf diese Organisationen ausgedehnt. Die Zahl der Mitglieder wurde von 78 auf 142 erhöht. Im Jahr 1962 entschieden die Abgeordneten, der Versammlung den Namen "Europäisches Parlament" zu geben. Diese Bezeichnung ging aber erst 1986 mit der Einheitlichen Europäischen Akte (EEA) formal in die Verträge ein.
Ein wichtiger Wendepunkt für die Kompetenzen des Parlaments war 1971: Die Abgeordneten wurden am Haushaltsverfahren der Gemeinschaften beteiligt. Im Jahr 1975 wurden diese Kompetenzen noch ausgeweitet.
Ein multinationales Parlament - direkt gewählt
1979 fanden die ersten Direktwahlen des Parlaments statt. Dies war ein entscheidender Schritt für die demokratische Legitimation des Parlaments. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund hat das Parlament in den achtziger Jahren auf eine Erweiterung seiner Kompetenzen hingewirkt. Die Einheitliche Europäische Akte von 1986, die erste umfassende Vertragsreform nach Gründung der Europäischen Gemeinschaft, führte zu einem wesentlichen Ausbau der parlamentarischen Rechte. Das Parlament erhielt in einigen Bereichen über das Verfahren der Zusammenarbeit legislative Kompetenzen, etwa bei der Gesetzgebung zur Einrichtung des Binnenmarktes. Für die Außenpolitik war es bedeutsam, dass dem Parlament ein Zustimmungsrecht zu Beitritts- und Assoziierungsverträgen eingeräumt wurde.
Mehr Integration, mehr parlamentarische Rechte
Der nächste Meilenstein parlamentarischer Stärkung war der Maastrichter Vertrag von 1992. Dieser Vertrag begründete die Europäische Union, die verbindliche Umsetzung der Währungsunion, eine engere Zusammenarbeit der Mitgliedsländer bei Außen- und Sicherheitspolitik sowie bei der Innen- und Justizpolitik. Die Rechte des Parlaments wurden mit Erweiterung des Mitentscheidungsverfahrens stark ausgebaut und die Inauguration der Kommission von der Zustimmung des Parlaments abhängig gemacht.
Der Vertrag von Amsterdam, der 1999 in Kraft trat, dehnte das Mitentscheidungsverfahren auf weitere Politikbereiche aus und stärkte die parlamentarische Rolle bei der Einsetzung des Kommissionspräsidenten bzw. der -präsident*in. Diese wichtige Personalentscheidung bedarf seither der Zustimmung des Parlaments. Auch wurden folgende Bereiche der Innen- und Justizpolitik in den Kompetenzbereich der EU überführt: Freier Personenverkehr, Kontrolle der Außengrenzen, Asyl und Einwanderung und Schutz der Rechte von Staatsangehörigen dritter Länder sowie die Justitielle Zusammenarbeit in Zivilsachen.
Der Vertrag von Nizza war seit seinem Inkrafttreten 2003 bis zum Vertrag von Lissabon 2009 die Rechtsgrundlage der EU. Der Vertrag regelte das institutionelle Gefüge der Union nach der Osterweiterung, unter anderem die neue Zusammensetzung des Parlaments. Des Weiteren wurde am Ende der Vertragsverhandlungen von Nizza eine "Erklärung zur Zukunft der Union" angenommen. Mit dieser Erklärung wurde ein Prozess eingeleitet, um die Vertragsgrundlagen der Union mit dem Ziel größerer demokratischer Legitimation, Transparenz und Effizienz grundlegend zu reformieren.
Dieser Prozess mündete 2004 im Vertrag über eine Verfassung für Europa. Doch nach den gescheiterten Referenden in den Niederlanden und Frankreich, musste der Verfassungsvertrag zunächst beiseite gelegt werden. Auf der abschließenden EU-Gipfelkonferenz der deutschen Ratspräsidentschaft im Juni 2007 wurde dann ein Mandat für eine Regierungskonferenz von Juli bis Oktober 2007 beschlossen, die einen Reformvertrag entwickeln sollte, um die bestehenden EU Verträge um die notwendigen Änderungen zu ergänzen.
Als Ergebnis dieses Prozesses ist am 1. Dezember 2009 der Vertrag von Lissabon in Kraft getreten und ist damit die aktuelle Rechtsgrundlage der Europäischen Union. Dieser Vertrag stärkt noch einmal massiv die Rechte des Europäischen Parlaments: Das Mitentscheidungsverfahren ist das gängige oder auch "ordentliche Gesetzgebungsverfahren" geworden, das Rat und Parlament gleichberechtigt Gesetze beschließen lässt. Gesetze ohne Mitsprache des Parlaments sind damit die Ausnahme. Auch bei internationalen Handelsabkommen muss das Parlament jetzt zustimmen. Als weiteres demokratisches Element wird die "Europäische Bürgerinitiative" als direkte Möglichkeit für Bürgerbeteiligung eingeführt und die Europäische Grundrechtecharta wird verbindlich.