Das war die Bürgerpreisveranstaltung 2022 im Europäischen Haus Berlin
Europäischer Bürgerpreis 2022 an ApplicAid: Ein Schritt der Chancengleichheit auf dem Weg ins Berufsleben
Am Montag, den 19. September, hat das Europäische Parlament dem Verein ApplicAid im Europäischen Haus Berlin die Europäische Bürgerpreismedaille 2022 überreicht. Im Anschluss diskutierten ApplicAid-Gründer, Backtosch Mustafa und Caroline Breit, Vorstandsmitglied bei ApplicAid, mit der Europaabgeordneten Katrin Langensiepen und der Bundestagsabgeordneten Gyde Jensen über Bildung und Chancen(un)gleichheit in unserer Gesellschaft. Das Fazit: „Bildungsgerechtigkeit (...) ist essentiell für eine gerechte, demokratische und inklusive Gesellschaft.“
Anlässlich der Verleihung des Europäischen Bürgerpreises präsentierten die Vertreter*innen des Gewinnerprojekts 2022 für Deutschland, Caroline Breit und Backtosch Mustafa ihre Organisation ApplicAid. Bei dieser unterstützen erfolgreiche Stipendiat*innen junge Bildungsaufsteiger*innen auf ihrem Weg zu einem Stipendium. „Wir agieren auf drei Ebenen“, erklärte Backtosch Mustafa, selbst einst Stipendiat, vor rund 70 Besuchern im Europäischen Haus in Berlin.
ApplicAid informiere, motiviere und konkret begleite der Verein die jungen Leute bei ihren Bewerbungen auf dem Weg zu einem Stipendium. Die in Deutschland mittlerweile knapp 50 ehrenamtlichen Mitglieder der Organisation bündeln die vielen Informationen Tausender bestehender Stipendien, beraten, organisieren Workshops und bieten ein digitales Mentoring an, um die Kandidaten, wie Backtosch Mustafa betont, „optimal auf die Bewerbung vorzubereiten“.
So erlangte die Organisation für Menties insgesamt bereits ein Fördervolumen von über 700.000 Euro. Dadurch soll die Auslandsmobilität bildungsbenachteiligter Gruppen gesteigert und der Zugang für alle, die bei der Suche benachteiligt sind, gerechter gestaltet werden.
Mustafa gründete noch während seines Medizinstudiums die Organisation. Der Kerngedanke von ApplicAid sei die Überzeugung, dass jeder Mensch Talent und Potenzial habe, aber nicht alle die gleichen Chancen am Start erhielten, dieses zu realisieren. Leistungsgerechtigkeit ja, aber eben nur wenn die Prämisse der Chancengerechtigkeit vorhanden sei, so Backtosch Mustafa.
„Verdienstmedaille Europas“
Für ihren Einsatz für mehr Chancengleichheit erhalten die Mitglieder von ApplicAid nun den Europäischen Bürgerpreis 2022. „Die Verdienstmedaille Europas“, beschrieb der Leiter des Verbindungsbüros des Europäischen Parlaments in Deutschland, Georg Pfeifer, den Preis in seiner Begrüßungsrede. Die Arbeit dieser jungen Leute, so Pfeifer, füge sich gut ins Europäische Jahr der Jugend. Außerdem habe das Projekt sogar schon einen Bezug zum Europäischen Jahr 2023, das, wie Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in ihrer Rede zur Lage der Europäischen Union am 14. September ankündigte, dem Thema Aus- und Weiterbildung gewidmet werden soll.
„Im Europäischen Jahr der Jugend könnte es für mich keinen passenderen Gewinner geben“, so auch die Europaabgeordnete Katrin Langnsiepen in ihrer Laudatio. Sie überreichte den Siegern die Medaille feierlich und unter der musikalischen Begleitung des Duos Orchestra Nueva.
Gleiche Chancen auf eine Ausbildung, einen Studiengang, egal welchen Hintergrund man hat
Der sozialpolitischen Sprecherin der Grünen-Fraktion Langensiepen, deren Steckenpferd die Chancengleichheit auf dem Weg in den Beruf und ins Studium ist, unterstrich noch einmal, dass Bildungsgerechtigkeit, d.h. die gleiche Chance auf eine Ausbildung, einen Studiengang, egal welchen Hintergrund man habe, „essentiell für eine gerechte, demokratische und inklusive Gesellschaft“ sei. Doch sei auch klar, dass die Realität oft anders aussehe.
„Oft sind Wege vorgegeben von sozioökonomischem Hintergrund, dem Herkunftsland der Eltern, Familiengeschichte, die Adresse und der Hautfarbe, dadurch werden sie meistens bestimmt.“ Unsere Gesellschaft stecke immer noch im festen Schuh, in Schubladen und das sei ungerecht. Langensiepen, die eine der wenigen Abgeordneten des Europäischen Parlaments mit sichtbarer Behinderung ist, habe das selbst oft genug in ihrem Leben erfahren.
„Deutschland und andere europäische Bildungssysteme benachteiligen immer noch unterschiedliche Gruppen, und Deutschland ist laut UN hier on the top, wenn es um Diskriminierung im Bildungsbereich geht" so Langensiepen. Hier sei es Aufgabe der Politik entgegenzuschreiten. Doch oft sei es so, „dass engagierte Bürger*innen und Organisationen dort nachhelfen, wo die Politik nicht ausreichend gehandelt hat.“ ApplicAid, bei der Bürgerpreisverleihung vertreten durch Backtosch Mustafa und Caroline Breit, versuchten genau diese Gerechtigkeitslücken zu schließen.
Strukturell mehr Bildungsgerechtigkeit schaffen, aber wie?
Auf dem anschließenden Podium diskutierten Backtosch Mustafa und Caroline Breit mit der Europaabgeordneten Katrin Langensiepen und der Bundestagsabgeordneten Gyde Jensen darüber, wie man auch strukturell mehr Bildungsgerechtigkeit in unserem Land - und europaweit - schaffen könne.
Obwohl das Thema Bildung in Deutschland vor allem Länderaufgabe sei und damit auf 16 unterschiedliche Strukturen abziele, seien die Chancen auch davon abhängig, wie innovativ die Schule sei und ob die Schule die Zeit freimachen könne, zu informieren, betonte die FDP-Abgeordnete im Deutschen Bundestag, Gyde Jensen.
Sie plädierte dafür, den Schulen mehr Autonomie zu geben. Bildungseinrichtungen sollten mehr Möglichkeiten haben, dort etwas umzusetzen, wo sie den Bedarf haben, so Jensen.
Es sei falsch zu sagen, dass es nur wenige Plätze für Stipendien gebe und man mit der großen Masse sowieso keine Chance habe. Es sei genau umgekehrt: „Es gibt so viele verschiedene Angebote, die häufig gar nicht richtig genutzt werden.“ Die zur Verfügung stehenden Gelder müssten auch abgeschöpft werden.
Deshalb sollte schon in den Schulen mit der Stipendienberatung begonnen werden, sind sich die Diskutant*innen einig. Caroline Breit weiß, es gehe auch darum die Hürden im Kopf abzubauen. Genau da helfen die Angebote von ApplicAid. Die meisten Mitglieder von ApplicAid, die Beratungen durchführen, so Caroline Breit, hätten selber einen bildungsbenachteiligten Hintergrund und könnten deshalb auch sehr empathisch auf die verschiedenen Situationen und die Schwierigkeiten und Unsicherheiten, die existierten, reagieren.
Was sich Caroline für die Zukunft wünschen würde, wird sie von der Moderatorin Clara Drammeh gefragt. Carolines Antwort: „Bildungsgerechtigkeit braucht so viel Förderung und Aufmerksamkeit, dass es ApplicAid nicht mehr braucht!“
Die Gäste hätten noch lange zum Thema weiterdiskutieren wollen - im Bereich Bildung und Chancengleichheit bleiben noch viele Fragen offen - umso erfreulicher sei es, so der Tenor vor Ort, dass sich das Europäische Jahr 2023 dem Thema Aus- und Weiterbildung widme.