Soziales Europa: Die Sozialpolitik der EU

Sozialpolitik betrifft alle Bürger, in allen Etappen ihres Lebens. Mehr über die Kompetenzen und Maßnahmen der EU.

Silhouette eines kleinen Mädchens im Sonnenschein © AP images/European Union – EP
EU-Sozialpolitik © AP images/European Union – EP

Zahlreiche Herausforderungen

Das Niveau des sozialen Schutzes in Europa ist das höchste weltweit und was Lebensqualität und Wohlstand anbelangt, rangiert Europa ganz vorne. Europa steht jedoch vor einer Reihe von Herausforderungen.

Die Auswirkungen der Krise sind in vielen EU-Mitgliedstaaten immer noch stark zu verspüren und selbst wenn sich die Lage in vielen Ländern bereits verbessert hat, bleiben große Unterschiede in der EU bestehen: Die Arbeitslosenquoten gehen insgesamt zurück, unterscheiden sich europaweit jedoch erheblich.

Niedrige Geburtenraten und eine alternde Bevölkerung stellen ebenfalls eine Herausforderung für die Tragfähigkeit der Sozialsysteme dar.

Der technologische Fortschritt, die Globalisierung und der Zuwachs des Dienstleistungssektors bewirken zudem große Änderungen in den Strukturen unseres Arbeitslebens. Die neuen Geschäftsmodelle der Sharing Economy mit flexibleren Arbeitsformen gewinnen zunehmend an Bedeutung.

Die COVID-19-Pandemie hatte ebenfalls erhebliche Auswirkungen auf die Sozialpolitik und veranlasste die EU, eine Reihe von Maßnahmen zu ergreifen, um die Folgen der Krise zu bewältigen.

Kompetenzen im Bereich Soziales: EU vs. nationale Regierungen

Die Kompetenzen der Europäischen Union im sozialen Bereich sind begrenzt.

In erster Linie sind die nationalen Regierungen der Mitgliedstaaten für die Beschäftigungs- und Sozialpolitik zuständig. Das bedeutet zum Beispiel, dass jede Regierung, und nicht die EU, über Lohnregelungen (inkl. Mindestlohn), die Rolle von Kollektivverhandlungen, Rentensysteme und Renteneintrittsalter sowie Arbeitslosenunterstützung entscheidet.

Dennoch ist die soziale Dimension der EU im Laufe des europäischen Integrationsprozesses schrittweise gewachsen. Die EU entwickelte eine Reihe von Instrumenten. Dazu zählen Rechtsvorschriften in bestimmten Bereichen und Fonds sowie Mittel, um die Sozialpolitik der Mitgliedstaaten besser zu koordinieren und zu verfolgen. Die EU legt den Mitgliedstaaten nahe, bewährte Verfahren („Best Practices“) bei Themen wie Renten, sozialer Eingliederung und Armutsbekämpfung untereinander auszutauschen.

Bereits der Vertrag von Rom (1957) umfasst grundlegende Prinzipien wie gleiches Entgelt für Frauen und Männer oder das Recht der Arbeitnehmer auf Freizügigkeit innerhalb der EU. Um diese Mobilität möglich zu machen, wurden weitere Regeln erlassen. Diese umfassen zum Beispiel Bestimmungen, mit denen die gegenseitige Anerkennung von Abschlüssen, das Recht von Patienten auf ärztliche Behandlung im Ausland oder die Beibehaltung bereits erworbener Rentenansprüche bei einem Jobwechsel ins Ausland sichergestellt werden.

Außerdem gibt es EU-Vorschriften über Arbeitsbedingungen (wie Arbeitszeiten oder Teilzeitarbeit), zur Bekämpfung von Diskriminierung am Arbeitsplatz oder für die Sicherheit und Gesundheit von Arbeitnehmern.

Die EU unterstützt und ergänzt die Bemühungen der Mitgliedstaaten, die Gesundheitsversorgung sicherzustellen und die Gesundheit der Europäer allgemein zu verbessern. Sie stellt Finanzmittel bereit und verabschiedet Rechtsvorschriften in verschiedensten Bereichen wie Gesundheitsprodukte und -dienste, saubere Luft, gesunde Lebensmittel und sichere Arbeitsplätze.

Im November 2017 wurde die europäische Säule sozialer Rechte vom Europäischen Parlament, der Kommission und dem Rat proklamiert, um neue und wirksamere Rechte für alle Bürger sicherzustellen und faire und gut funktionierende Arbeitsmärkte und Sozialsysteme zu fördern. Die Säule basiert auf 20 Grundprinzipien und umfasst eine Reihe von (Rechts-)Initiativen in drei Hauptbereichen: Chancengleichheit und Zugang zum Arbeitsmarkt, faire Arbeitsbedingungen sowie angemessener und nachhaltiger Sozialschutz.

Bereits in den Anfangsphasen des europäischen Integrationsprozesses machte sich das EU-Parlament für eine aktivere Politik im sozialen Bereich stark und unterstützte Vorschläge der EU-Kommission.

Soziale Rechte für Europäer im Ausland

Indem die Sozialversicherungssysteme koordiniert werden, stellt die EU sicher, dass „mobile“ EU-Bürger ihren Sozialschutz nicht verlieren, wenn sie in ein anderes EU-Land reisen oder sich dort niederlassen.

Das Parlament billigte 2019 die Entscheidung zur Einrichtung einer europäischen Arbeitsbehörde. Sie soll sicherstellen, dass die EU-Vorschriften über die Arbeitskräftemobilität und die Koordinierung der Sozialversicherungssysteme gerecht und kohärent angewendet werden.

Im Jahr 2018 wurden neue Regeln zur Entsendung von Arbeitnehmern verabschiedet, um für gleiches Entgelt für gleiche Arbeit am gleichen Ort zu sorgen.

Unterstützung für Arbeitslose und junge Menschen

Der Europäische Sozialfonds wurde 1957 eingerichtet. Der Fonds ist das Hauptinstrument der EU, um Beschäftigung und soziale Eingliederung zu fördern. Er half bereits Millionen von Menschen dabei, sich neue Qualifikationen anzueignen und einen Job zu finden.

Im Juni 2021 verabschiedete das Europäische Parlament im Zuge der Pandemie neue Regeln zur Bekämpfung von Arbeitslosigkeit und Armut in der EU. Der erneuerte und vereinfachte Europäische Sozialfonds Plus konzentriert sich auf Kinder und Jugendliche.

Er fasst eine Reihe bestehender Fonds und Programme zusammen und bündelt ihre Ressourcen.

Europäischer Sozialfonds Plus: Hilfe für die Ärmsten

Der Europäische Fonds für die Anpassung an die Globalisierung unterstützt Arbeitnehmer, wenn sie aufgrund von Veränderungen des Welthandelsgefüges, wie zum Beispiel der Schließung von großen Unternehmen oder der Verlagerung von Produktionsstätten in Länder außerhalb der EU, ihren Job verlieren. Im Jahr 2021 verabschiedeten die Abgeordneten des Europäischen Parlaments neue Regelungen, die den Anwendungsbereich des Fonds erweitern, um Unterstützung bei größeren Umstrukturierungen im Zusammenhang mit Digitalisierung, Automatisierung und dem Übergang zu einer emissionsarmen Wirtschaft zu bieten.

Das Europäische Jobnetzwerk EURES bietet Arbeitssuchenden und Arbeitgebern Informationen, Beratung und Hilfestellungen bei der Vermittlung und Einstellung.

Die Jugendgarantie soll Jugendarbeitslosigkeit verringern helfen. Die Mitgliedstaaten einigten sich 2013 auf diese EU-Initiative. Sie soll sicherstellen, dass junge Menschen unter 25 Jahren innerhalb von vier Monaten ab dem Zeitpunkt, an dem sie arbeitslos geworden sind oder eine formale Ausbildung abgeschlossen haben, ein qualitativ hochwertiges Angebot einer Arbeitsstelle, einer Fortbildung, eines Ausbildungsplatzes oder eines Praktikums erhalten.

Das Europäische Solidaritätskorps, das Ende 2016 offiziell gestartet wurde, zielt darauf ab, für junge Menschen Möglichkeiten zu schaffen, um an Freiwilligen- oder Beschäftigungsprojekten teilzunehmen, die Gemeinschaften in ganz Europa zugutekommen. Im Jahr 2021 dehnten die Abgeordneten des Europäischen Parlaments den Anwendungsbereich des Europäischen Solidaritätskorps auf die humanitäre Arbeit aus, wodurch es zu einem eigenständigen Freiwilligenprogramm mit eigenem Budget wurde.

Arbeitsbedingungen

Die EU will, dass alle Arbeitnehmer einen angemessenen Lebensstandard haben. Die Abgeordneten verabschiedeten im September 2022 neue Regeln, mit denen sichergestellt werden sollen, dass die nationalen Mindestlöhne angemessen sind.

2019 billigte das Europäische Parlament Regeln zur Einführung von Mindestrechten in Hinblick auf Arbeitsbedingungen zum Schutz aller Arbeitnehmer in der EU, einschließlich Arbeitender mit atypischen Verträgen und in Nicht-Standard-Jobs (wie in der Gig-Economy).

Immer mehr Menschen arbeiten für digitale Plattformen, wo der Grat zwischen Selbständigkeit und einem prekären Job ohne soziale Absicherung schmal ist. Die Abgeordneten arbeiten an Regeln, mit denen die Rechte der in der Gig-Wirtschaft Beschäftigten gestärkt und die Arbeitsbedingungen verbessert werden sollen.

Das Arbeiten von zu Hause aus hat im Zuge der COVID-19-Pandemie stark zugenommen, aber diese Praxis in Verbindung mit der Entwicklung digitaler Arbeitswerkzeuge hat die Trennung zwischen Berufs- und Privatleben verwischt. Die Abgeordneten drängen auf klare Regeln, mit denen das Grundrecht der Arbeitnehmer auf Nichtereichbarkeit außerhalb der Arbeitszeiten gestärkt werden würde.

Die Abgeordneten aktualisieren regelmäßig die EU-Vorschriften zum Schutz von Arbeitnehmern am Arbeitsplatz, beispielsweise durch die Festlegung strengerer Expositionsgrenzwerte für schädliche chemische Stoffe.

Gleichstellung der Geschlechter

Die EU hat Rechtsvorschriften erlassen und Empfehlungen und bewährte Verfahren („Best Practices“) zur Verbesserung der Geschlechtergleichstellung herausgegeben, sei es am Arbeitsplatz, in der Politik oder in anderen Bereichen. Mit seinem ständigen Ausschuss für die Rechte der Frau und Gleichstellung der Geschlechter war das Europäische Parlament schon immer ein starker Verfechter der Sache. Zum Internationalen Frauentag werden jedes Jahr verschiedene Veranstaltungen organisiert, die Bewusstsein schaffen sollen.

Das Parlament möchte auch für eine ausgewogene Work-Life-Balance sorgen. 2019 wurden neue Regeln vom Parlament verabschiedet, um die Vereinbarkeit von Familien- und Berufsleben zu verbessern und die Rechte von Eltern und pflegenden Angehörigen zu stärken. Im Jahr 2021 verabschiedeten die Abgeordneten die EU-Strategie für die Gleichstellung der Geschlechter und forderten die Kommission auf, einen ehrgeizigen neuen Aktionsplan zur Verringerung des geschlechtsspezifischen Lohngefälles innerhalb der nächsten fünf Jahren aufzustellen und klare Ziele für die EU-Länder zu setzen.

Mit seinen Entschließungen weist das Parlament auch darauf hin, dass spezifische Formen der Gewalt gegen Frauen, wie sexuelle Belästigung oder Cyberstalking, bekämpft und die Kohärenz der Gleichstellungspolitik und anderer Politiken wie Handel, Entwicklung oder Migration verbessert werden müssen.

Das Parlament ist ein Befürworter der gleichberechtigten Vertretung von Frauen und Männern in der Politik. Mit 8 Vizepräsidentinnen und 10 weiblichen Ausschussvorsitzenden ist der Anteil der Frauen in hochrangigen Positionen in der laufenden 9. Wahlperiode höher als in der vorangegangenen Wahlperiode.

Verbesserung der öffentlichen Gesundheit

Die EU reguliert die Zulassung und Kennzeichnung von Arzneimitteln über das Europäische Netzwerk der Arzneimittelregulatoren. Nachdem Arzneimittel auf den Markt gebracht wurden, obliegen sie auch weiterhin Kontrolle und Überprüfung.

Die Rechtsvorschriften der EU legen Mindestnormen zum Schutz der Sicherheit und Gesundheit von Arbeitnehmern fest. Dazu zählen spezifische Vorschriften über die Verwendung von Geräten, den Schutz von Schwangeren und jungen Arbeitnehmern sowie Schutzbestimmungen bezüglich der Exposition gegenüber bestimmten Stoffen wie Karzinogenen und Mutagenen.

Die EU verfügt zudem über Bestimmungen, mit denen die Lebensmittelsicherheit in allen Phasen der Herstellungs- und Vertriebsabläufe gewahrt werden kann.

2018 wurde eine neue Tierarzneimittel-Verordnung verabschiedet, um die Verwendung von Antibiotika in der Landwirtschaft zu drosseln und die Übertragung resistenter Bakterien von Tier auf Mensch zu verhindern.

Die Badegewässer der EU werden im Rahmen der Badegewässerrichtlinie auf Bakterien untersucht.

Die Europäische Krankenversicherungskarte stellt sicher, dass Unionsbürger während eines vorübergehenden Aufenthalts in allen EU-Ländern Zugang zu medizinisch notwendiger, staatlich erbrachter Gesundheitsversorgung haben.

Im Jahr 2021 wurde das neue Programm EU4Health für den Zeitraum 2021–2027 eingeführt, das es der EU ermöglicht, sich besser auf größere internationale Gesundheitsbedrohungen vorzubereiten sowie erschwingliche Arzneimittel und Medizinprodukte leichter verfügbar zu machen.

Ein inklusiver Arbeitsmarkt

Ein Initiativbericht des Parlaments schlägt eine Reihe von Maßnahmen vor, um einen besseren Übergang von einem Krankenstand zurück ins Arbeitsleben zu schaffen und chronisch Kranke und Menschen mit Behinderungen besser in den Arbeitsmarkt einzubinden.

Die EU-Abgeordneten nahmen 2019 den europäischen Rechtsakt zur Barrierefreiheit an, um Produkte und Dienste wie Smartphones, Computer oder Geldautomaten für Menschen mit Behinderungen und ältere Menschen besser zugänglich zu machen.

Im Anschluss an die Empfehlungen des Parlaments hat die Europäische Kommission eine Strategie für die Rechte von Menschen mit Behinderungen 2021–2030 angenommen.