Brexit: Auswirkungen auf Irland

Irland ist vermutlich der Mitgliedstaat, der vom EU-Austritt des Vereinigten Königreichs am stärksten betroffen ist. Das Parlament will die Auswirkungen auf beide Teile der Insel mindern.

Es gibt rund 275 (Land-)Grenzübergangsstellen zwischen Nordirland und der Republik Irland. Zum Vergleich: An der gesamten Ostgrenze der Europäischen Union, also von Finnland bis Griechenland, zählt man nur 137 Grenzübergänge. Das Brexit-Votum des Vereinigten Königreichs bedeutet, dass diese 500 Kilometer lange Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland bald zu einer EU-Außengrenze werden könnte. Die Grenzfrage ist eines der Schlüsselthemen, die in den Brexit-Verhandlungen behandelt werden müssen.

Die Unterhändler des Vereinigten Königreichs und der EU einigten sich im November 2018 auf den Entwurf eines Austrittsabkommens und eine politische Erklärung. Beide Dokumente wurden jedoch nicht ratifiziert.

Das Abkommen beinhaltete die Backstop-Klausel, die als Rückversicherung wirken sollte, um eine harte Grenze auf der Insel zu verhindern, die das Karfreitagsabkommen in Gefahr bringen könnte. Die Backstop-Lösung hätte ein gemeinsames Zollgebiet EU-Vereinigtes Königreich geschaffen und Maßnahmen eingeführt, um gleiche Wettbewerbsbedingungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich zu gewährleisten. Der Backstop wäre nur dann aktiviert worden, wenn bis Ende der Übergangsphase keine andere Lösung gefunden worden wäre.

Der Backstop war im Vereinigten Königreich umstritten, da einige Kritiker befürchteten, er könnte dazu genutzt werden, das Land auf unbestimmte Zeit in der Zollunion der EU zu halten. 2019 verhandelte der neue britische Premierminister Boris Johnson das Austrittsabkommen neu, welches nun ein überarbeitetes Protokoll zu Irland und Nordirland enthält. Dieses muss noch vom Vereinigten Königreich und dem Europäischen Parlament gebilligt werden.


Auswirkungen auf Irland


Ein Brexit ohne Abkommen wäre für die EU und das Vereinigte Königreich schädlich. Offizielle Zahlen zeigen, dass der wirtschaftliche Schaden das Vereinigte Königreich überproportional stärker treffen würde. Auf EU-Seite wiederum wäre Irland stark betroffen. Derzeit werden viele Produkte aus dem Vereinigten Königreich in die Republik Irland eingeführt. Die Preise vieler Produkte könnten aufgrund von Zöllen steigen. Die Lieferketten wären zudem gefährdet. Darüber hinaus gäbe es auch Auswirkungen auf die Exporte. 2018 machten die ins Vereinigte Königreich ausgeführten Waren rund 11,5 Prozent der gesamten irischen Warenexporte aus. Abgesehen davon bestünde die Gefahr, dass die Spannungen in Nordirland zunehmen.

Irland könnte von verschiedenen Maßnahmen der EU profitieren, um die Folgen eines ungeregelten Brexit zu mindern. Die Finanzierung bilateraler Friedensprogramme in Nordirland würde bis mindestens 2020 fortgesetzt, um den mit dem Karfreitagsabkommen eingeleiteten Friedens- und Aussöhnungsprozess zu unterstützen.

Unmittelbar nachdem das Vereinigte Königreich Artikel 50 im März 2017 aktiviert hatte, brachte das Europäische Parlament seine Besorgnis über die Auswirkungen des Brexit auf den Norden und den Süden der irischen Insel zum Ausdruck. Die Abgeordneten betonten auch, dass das Karfreitagsabkommen geschützt werden müsse. Das Abkommen hatte das Ende des drei Jahrzehnte dauernden gewaltsamen Konflikts in Nordirland gebracht und war von den Wählern der gesamten irischen Insel 1998 bestätigt worden. Das EU-Parlament bekräftigte seine Besorgnis in einer Entschließung, die im September 2019 verabschiedet wurde.


Keine "harte Grenze"


Die EU-Abgeordneten hoben in Entschließungen wiederholt hervor, dass eine "harte Grenze" vermieden werden müsse. Nach zwei Jahrzehnten relativen Friedens in Irland sind die Wachtürme und militärischen Checkpoints abgebaut und zehntausende Menschen pendeln jeden Tag über die offene Grenze. Weder Irland noch das Vereinigte Königreich sind Teil des Schengen-Raums: Es gibt aber ein "einheitliches Reisegebiet" zwischen den beiden Ländern.

Patienten aus der Republik Irland erhalten ihre Chemotherapie in Nordirland und kranke Kinder aus Belfast ihre Herz-OP in Dublin. Rund ein Drittel der in Nordirland produzierten Milch wird in der Republik Irland verarbeitet, während 40 Prozent des im Süden hergestellten Hühnerfleischs im Norden verarbeitet werden.

Das berühmte Guinness-Bier wird in Dublin gebraut, doch jenseits der Grenze in Flaschen und Dosen gefüllt, bevor es wieder vom Süden aus exportiert wird. Außerdem gibt es auf der Insel einen einheitlichen Strommarkt.


"Wir werden nicht zulassen, dass Irland leidet"


Der Brexit-Koordinator des Europäischen Parlaments, Guy Verhofstadt, sprach am 21. September 2017 vor dem irischen Parlament in Dublin. Er betonte, dass die Grenze, "Chaos, Hass und Gewalt gesät hatte". Dass sie zu einer "bloßen Linie auf der Landkarte gemacht wurde, ist eine entscheidende Errungenschaft", so Verhofstadt bei seiner Ansprache. Er fügte hinzu: "Wir werden nicht zulassen, dass Irland unter der britischen Austrittsentscheidung leidet."

Alle in Nordirland geborenen Bürger haben Anrecht auf die irische Staatsbürgerschaft und somit die Unionsbürgerschaft. In der Entschließung vom 3. Oktober 2017 wird hervorgehoben, dass "keine Hindernisse oder Hürden geschaffen werden sollten", die die Menschen in Nordirland daran hindern, von ihrem Recht auf die EU-Bürgerschaft Gebrauch zu machen. Außerdem sei eine "einzigartige Lösung" erforderlich, um eine "harte Grenze" zu vermeiden.


Die Rolle des Europäischen Parlaments


Die EU betonte, dass in drei bestimmten Bereichen entscheidende Fortschritte erzielt werden müssten, bevor die Verhandlungen über die künftigen Beziehungen aufgenommen würden. Diese drei Hauptpunkte sind: BürgerrechteFinanzverpflichtungen und Irland. Das EU-Parlament muss einem jeglichen Austrittsabkommen zustimmen.

In einer am 18. September 2019 angenommenen Entschließung bekräftigten die Abgeordneten, dass sie einem Austrittsabkommen ohne Backstop nicht zustimmen würden. Sie sagten jedoch, dass sie bereit seien, auf den ursprünglichen Vorschlag der EU für eine auf Nordirland beschränkte Backstop-Lösung zurückzukommen. Sie seien auch offen, andere Lösungen zu begutachten, sofern diese rechtlich umsetzbar und funktionsfähig seien und den Grundsätzen der EU entsprächen.


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