Europäische Bürgerinitiative: "Jede abgelehnte Initiative schafft eine Million Euroskeptiker"

Die Europäische Bürgerinitiative wurde mit dem Vertrag von Lissabon eingeführt. EU-Bürger können sich unmittelbar an der EU-Politik beteiligen und mithilfe einer Million Unterschriften die EU-Kommission auffordern, einen Rechtsakt vorzuschlagen. Bisher führte keine Initiative zu einem Gesetzesvorschlag. Das Konzept soll nun überarbeitet werden. Das EU-Parlament hat bereits am 28.10. seine Vorschläge verabschiedet. Wir haben den Berichterstatter György Schöpflin (EVP) aus Ungarn interviewt.

Interview with rapporteur György SCHÖPFLIN
Interview mit dem Berichterstatter György Schöpflin (EVP, HU)

Die Europäische Bürgerinitiative wurde vor drei Jahren ins Leben gerufen. Man ging davon aus, dass sie die EU-Bürger enger in die Entscheidungsprozesse der Europäischen Union einbinden wird. Ist dies eingetroffen?


Nach meinem Wissensstand wurden bisher 51 Bürgerinitiativen gestartet. Keine hat jedoch ihr Ziel erreicht - einen Gesetzesvorschlag durch die EU-Kommission. Ich habe mit zahlreichen Vertretern der Zivilgesellschaft gesprochen und sie alle sagen, dass die Bürgerinitiative im Grunde nutzlos ist. Sie vertreten die Ansicht, es handle sich hierbei um Manipulation, da die EU-Kommission niemals eine Bürgerinitiative aufgreifen wird. Zugleich gibt es die nüchterne Sichtweise, dass die EU-Kommission ihre Aufgaben nicht zufriedenstellend erledigt. Schließlich besteht jedoch Hoffnung, dass mithilfe des EU-Parlaments, mit meinem Bericht, die Bürgerinitiative letztendlich noch gerettet werden kann.


Die EU-Kommission hat bisher von einem rechtlichen Standpunkt ausgehend agiert, und nicht von einem politischen. Ich denke, die Kommission ist sich nicht bewusst, dass durch die Bürgerinitiative EU-Bürger eingebunden werden können. Es ist zeitaufwendig, eine Million Unterschriften zu sammeln. Auf gewisse Weise engagiert sich somit eine Million Menschen. Das Ablehnen einer Bürgerinitiative, die eine Million Unterschriften erhalten hat, schafft eine Million Euroskeptiker.


Wie kann das Verfahren verbessert werden? Es wird von Problemen mit den Datenerfassungsanforderungen in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten berichtet; andere behaupten, der Zeitraum von einem Jahr sei zu kurz, um eine Million Unterschriften zu sammeln.


Ich bin durchaus offen für die Kritik am vorgegebenen Zeitraum. Leider sind diese Kriterien, wie auch die Anzahl einer Million Unterschriften, vertraglich festgeschrieben und können nicht geändert werden. Ich glaube, man wollte auch bewusst einige Hindernisse schaffen. Man befürchtete, dass sonst zahlreiche nicht ernst gemeinte Europäische Bürgerinitiativen gestartet werden.


Die Bürgerinitiative ist kein problemloses Instrument, doch wir können daran arbeiten, dass sie funktioniert . Das grundlegende Problem sind die Kosten. Eine Bürgerinitiative zu starten kostet mehr, als man gedacht hatte. Manche Initiativen wurden finanziell unterstützt. Hier ergibt sich jedoch die Befürchtung, dass Großunternehmen Einfluss nehmen.

 

Mehr Neuigkeiten aus dem Europäischen Parlament erfahren Sie hier


Was ist die Aufgabe des EU-Parlaments? Sollten Initiativen stärker unterstützt oder mehr Druck auf die EU-Kommission ausgeübt werden?


Ich vertrete die Ansicht, dass für jede Bürgerinitiative, die eine Million Unterschriften erzielt hat, eine Anhörung stattfinden soll. Werden nur 150 000 Unterschriften gesammelt, dann nicht. Ein zweiter Punkt ist die Frage, welcher Ausschuss diese Anhörung veranstalten soll. Der Ausschuss, dessen Arbeit die Bürgerinitiative betrifft, zeigt möglicherweise eine eher ablehnende Haltung.


Die parlamentarischen Ausschüsse sollten die Initiativen neutral und objektiv beurteilen. Eine Million Menschen, die ein Gesetz fordert, sollte ernst genommen werden, auch wenn sich die Initiative auf ein Thema bezieht, dass viele Menschen ablehnen. Das politische Element kommt hier ins Spiel. Es gibt Bürgerinitiativen, die "links" und solche, die "rechts" ausgerichtet sind. Ich glaube, wir sollten hier nicht eine Vorauswahl treffen. Wenn die Bürgerinitiativen die Kriterien erfüllen, dann sollen sie auch behandelt werden.


Ein spezieller Fall ist die Bürgerinitiative "Stop TTIP". Über eine Million Unterschriften wurde gesammelt. Die EU-Kommission sagt jedoch, dass die Initiative die Kriterien nicht erfüllt. Was halten Sie davon?


Von einem rechtlichen Standpunkt aus gesehen, liegt die EU-Kommission richtig. Die derzeitigen Bestimmungen besagen, dass ein laufendes Verfahren nicht Gegenstand einer Bürgerinitiative sein darf. Zweitens - und hier wird es komplizierter - kann eine Bürgerinitiative ein Gesetz weder stoppen noch rückgängig machen. Das sollte meiner Meinung nach geändert werden. Es sollte möglich sein, dass durch eine Bürgerinitiative ein bestehendes Gesetz gekippt werden kann.

Welche Kriterien muss eine Europäische Bürgerinitiative erfüllen?

  • Die Bürgerinitiative muss von mindestens 1 Million EU-Bürgern unterstützt werden (per Unterschrift)
  • Die Unterzeichner müssen aus mindestens einem Viertel der EU-Mitgliedstaaten (derzeit 7 aus 28) stammen
  • Pro EU-Mitgliedstaat wird eine Mindestanzahl an Unterschriften benötigt
  • Die Bürgerinitiative muss sich auf einen Bereich beziehen, der in den Zuständigkeitsbereich der EU fällt

Links