Memorial – 2009, Russland

Die Organisation „Memorial“ wurde gegründet, um die Erinnerung an die Massenunterdrückung unter Stalin zu bewahren. Sie tritt für die Achtung der Menschenrechte ein und schützt die Opfer von Menschenrechtsverletzungen in Russland und den Nachfolgestaaten der UdSSR.

Oleg Orlow, Sergei Kowaljow und Ljudmila Alexejewa erhielten 2009 stellvertretend für die Organisation „Memorial" und alle übrigen Menschenrechtsverteidiger in Russland den Sacharow-Preis.

Memorial wurde in den späte 80er-Jahren in der UdSSR mit dem ursprünglichen Ziel gegründet, durch Forschungsarbeit und öffentliche Veranstaltungen die Massenunterdrückung unter der Herrschaft Stalins aufzudecken und die Erinnerung an die Opfer wachzuhalten. Nach der Auflösung der UdSSR wurde die Organisation international tätig und unterhält Zweigstellen und nichtstaatliche Partnerorganisationen in den Nachfolgestaaten der UdSSR und anderswo. Sie hat ihre Ziele auf die Überwachung und Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen und auf den Einsatz für deren Opfer und die Bereitstellung von Rechtsbeistand für sie ausgeweitet. Zu den Gründern der Organisation gehörte Andrei Sacharow. Memorial setzt sich aus zahlreichen Einzelorganisationen in Russland und elf weiteren Ländern zusammen. Ende 2021, in demselben Jahr, in dem in Russland und im Ausland Sacharows 100. Geburtstag gefeiert, ordneten russische Gerichte die Auflösung der von ihm mitgegründeten Organisation an. Die Mitglieder von Memorial sind jedoch entschlossen, ihre Tätigkeit fortzusetzen.

Oleg Orlow gehört zu den Gründungsmitgliedern und seit 1994 als Vorsitzender des Menschenrechtszentrums Memorial und Mitglied des Vorstands der internationalen Sektion zur Führungsspitze der Organisation. Er hat in den beiden Tschetschenienkriegen und später im Konflikt in der Ostukraine Beweise Entführungen dokumentiert und Beweise für sie gesammelt.

Sergei Kowaljow, der langjährige Vorsitzende der russischen Sektion von Memorial, war Dissident, politischer Gefangener, Menschenrechtsaktivist und Politiker. 1991 arbeitete er am Entwurf des Artikels über Menschenrechte in der neuen russischen Verfassung mit. 1995 verhandelte er über die Freilassung von 2 000 Menschen, die tschetschenische Rebellen in einem Krankenhaus in der Stadt Budjonnowsk als Geiseln genommen hatten. Kowaljow kritisierte die autoritären Tendenzen der Präsidenten Yeltsin und Putin. Er sprach sich öffentlich gegen die Kriege Russlands in Tschetschenien, die Invasion Georgiens und die Annexion der Krim aus. Er starb im August 2021, nur wenige Monate, bevor Memorial aufgelöst wurde.

Ljudmila Alexejewa war eine sowjetische Dissidentin und Historikerin. Bekannt dafür, sich für faire Gerichtsverfahren gegen Dissidenten einzusetzen, war sie 1977 gezwungen, aus Russland zu fliehen, und kehrte erst 1993 zurück. Später, als Leiterin der Moskauer Helsinki-Gruppe, weigerte sie sich, die Gruppe als „ausländischen Agenten" registrieren zu lassen, und zog es vor, ihre Menschenrechtsarbeit ohne ausländische Mittel fortzusetzen. 2012 trat sie aus dem Menschenrechtsrat des Präsidenten zurück, da dieser keinen nennenswerten Einfluss hatte. Sie kritisierte Rechtsvorschriften über „ausländische Agenten", die Arbeitsweise der Gerichte und Menschenrechtsverletzungen in Gefängnissen und sprach sich gegen die Annexion der Krim durch Russland im Jahr 2014 aus. Ljudmila Alexejewa verstarb 2018 im Alter von 91 Jahren in Moskau.

Im Laufe der Jahre sind Aktivisten der Organisation Memorial bedroht, inhaftiert, entführt und sogar ermordet worden. 2014 wurde Memorial als „ausländischer Agent" eingestuft. Die Organisation focht die Bezeichnung an, hatte damit jedoch keinen Erfolg. In den letzten Jahren hat die Einführung immer strengerer Gesetze über „ausländische Agenten", „unerwünschte Organisationen" und sehr breit ausgelegten „Extremismus" den russischen Behörden ermöglicht, alle missliebigen Organisationen der Zivilgesellschaft aufzulösen.

Der Druck auf Memorial hat insbesondere seit 2018, als Ojub Titijew, der Leiter der tschetschenischen Sektion von Memorial, aufgrund fingierter Vorwürfe zu drei Jahren Haft verurteilt wurde, zugenommen. Im Jahr 2020 wurde Juri Dmitrijew, der Leiter der karelischen Sektion von Memorial, ebenfalls aufgrund fingierter Vorwürfe zu 13 Jahren Haft verurteilt. Die russischen Gerichte begannen mit der Verhängung zahlreicher Geldstrafen gegen verschiedene Sektionen von Memorial.

Ungeachtet der internationalen Proteste, einschließlich der Forderungen des Europäischen Parlaments, ordnete der Oberste Gerichtshof Russlands am 28. Dezember 2021 wegen Verstößen gegen das Gesetz über ausländische Agenten die Auflösung der internationalen Organisation Memorial und ihrer regionalen Zweigstellen an. Am nächsten Tag schloss das Gericht der Stadt Moskau das Menschenrechtszentrum Memorial. Memorial legte gegen diese Entscheidungen Rechtsmittel ein.