Die demokratische Opposition in Belarus - 2020, Belarus
Der Sacharow-Preis 2020 wurde der demokratischen Opposition in Belarus verliehen, die durch den Koordinierungsrat vertreten wird, eine Initiative der mutigen Frauen Swjatlana Zichanouskaja, Swetlana Alexijewitsch, Maryja Kalesnikawa, Wolha Kawalkowa und Weranika Zapkala sowie von Persönlichkeiten aus Politik und Zivilgesellschaft wie Sjarhej Zichanouski, Ales Bjaljazki, Sjarhej Dyleuski, Szjapan Puzila und Mikalaj Statkewitsch.
Im August 2020 gelang es der demokratischen Opposition in Belarus, die dortige Gesellschaft in noch nie dagewesener Weise zu friedlichen Massendemonstrationen für Demokratie in einem Land zu mobilisieren, das lange Zeit als letzte Diktatur Europas galt. Die Proteste begannen nach einer Wahl, die von groß angelegtem Wahlbetrug überschattet war und in deren Folge Aljaksandr Lukaschenka für sich in Anspruch nahm, seine sechste Amtszeit als Präsident antreten zu dürfen. Die vereinigte Opposition beharrte darauf, dass Swjatlana Zichanouskaja, ihre Spitzenkandidatin, bereits im ersten Wahlgang einen überzeugenden Sieg errungen hatte. Die Opposition forderte Lukaschenka auf, Verhandlungen über die Machtübergabe aufzunehmen, und gründete zu diesem Zweck einen Koordinierungsrat.
In den folgenden Wochen fanden in Minsk Massendemonstrationen statt, zu denen über 200 000 Menschen auf die Straße gingen. Menschen aus allen Gesellschaftsschichten und Berufen forderten den Rücktritt Lukaschenkas. Das Regime reagierte mit einem beispiellosen Ausmaß an Gewalt und Repression.
Mutige Frauen wie Swjatlana Zichanouskaja, Swetlana Alexijewitsch, Maryja Kalesnikawa und Wolha Kawalkowa, die dem Präsidium des Koordinierungsrats angehören, und die politisch engagierte Bürgerin Weranika Zapkala wurden zu einem Symbol der Opposition und verliehen der belarussischen Bevölkerung neue Hoffnung. Sie wurden von Dissidenten, weiteren politisch engagierten Bürgern, Menschenrechtsverfechtern, Oppositionspolitikern und Anführern der Jugend unterstützt, etwa von Sjarhej Zichanouski, Ales Bjaljazki, Sjarhej Dyleuski, Szjapan Puzila und Mikalaj Statkewitsch.
Die Anführerin des Koordinierungsrats, Swjatlana Zichanouskaja, wurde zum Sinnbild der friedlichen Revolution in Belarus. Obwohl sie bislang über keine politische Erfahrung verfügte, trat sie als unabhängige Präsidentschaftskandidatin an die Stelle ihres Ehemannes Sjarhej Zichanouski, eines Bloggers und Dissidenten, der aufgrund frei erfundener Anklagepunkte festgenommen und zu einer Haftstrafe verurteilt wurde. Zwei Tage nach der Wahl wurde Swjatlana Zichanouskaja von belarussischen Beamten an eine Grenzübergangsstelle verbracht, damit sie das Land verlässt. Auch im Exil ist sie die Stimme der belarussischen Bürgerinnen und Bürger in ganz Europa. Bei ihren Besuchen im Europäischen Parlament erklärte Zichanouskaja, Belarus habe eine demokratische Revolution erlebt, und die Bevölkerung wolle die Demokratie einführen und ihr Schicksal in die eigene Hand nehmen. Im Jahr 2022 gründete sie unter ihrem Vorsitz eine Exilregierung, das Vereinigte Übergangskabinett.
Zu den genannten mutigen Frauen zählt auch Weranika Zapkala, eine Geschäftsfrau und engagierte Bürgerin, die ihren Ehemann Waleryj Zepkala, nachdem ihm die Registrierung als Präsidentschaftskandidat verweigert worden war, bei den Wahlkampfkundgebungen von Swjatlana Zichanouskaja vertrat. Sie musste das Land mit den gemeinsamen Kindern verlassen. Zu nennen ist auch Maryja Kalesnikawa, eine Musikerin, engagierte Bürgerin und Mitglied des Koordinierungsrats. Sie leitete den Wahlkampf des Präsidentschaftskandidaten Wiktar Babaryka bis zu dessen Verhaftung, unterstützte anschließend Swjatlana Zichanouskaja und ist derzeit aus politischen Gründen in Haft, also eine politische Gefangene.
Führende Mitglieder des Koordinierungsrats sind außerdem Swetlana Alexijewitsch, Literaturnobelpreisträgerin 2015, Wolha Kawalkowa, die Swjatlana Zichanouskaja vertrat, als der Rat gegründet wurde, und Sjarhej Dyleuski, der Anführer des Streikkomitees im Traktorenwerk Minsk.
Die Staatsorgane von Belarus ließen alle mit vollem Engagement für die Demokratie eintretenden namhaften Bürgerinnen und Bürger inhaftieren. Dazu zählen Sjarhej Zichanouski, der Ehemann von Swjatlana Zichanouskaja, Ales Bjaljazki, dem 2022 der Friedensnobelpreis verliehen wurde, und Mikalaj Statkewitsch, ein sehr bekannter und einer der am längsten politisch aktiven Vertreter der Opposition. Viele andere wurden gezwungen, ins Exil zu gehen, etwa Szjapan Puzila, der Gründer von NEXTA, einem Informationskanal, der Nachrichten über die Proteste in Belarus verbreitete und der Weltöffentlichkeit das gewaltsame Vorgehen der Staatsmacht gegen die Bürgerinnen und Bürger vor Augen führte.
Das Europäische Parlament verurteilte in seinen Entschließungen, die es seit 2020 zu Belarus angenommen hat, das Verhalten der belarussischen Staatsorgane und forderte Sanktionen der EU gegen die Personen, die für die Fälschung des Wahlergebnisses und die gewaltsame Unterdrückung verantwortlich sind, darunter auch Lukaschenka selbst. Die Mitglieder betonten, dass die Wahl unter eklatanten Verstößen gegen sämtliche international anerkannten Standards durchgeführt wurde und das Europäische Parlament Aljaksandr Lukaschenka nach Ablauf seiner Amtszeit, d. h. ab dem 5. November 2020, nicht mehr als Präsidenten von Belarus anerkennen wird.
Das Parlament forderte außerdem, dass vor einem transparenten und alle Seiten einbeziehenden Verfahren zur Reform der Verfassung eine freie und faire Wahl stattfindet. Die Mitglieder würdigten den Koordinierungsrat für seine Offenheit gegenüber allen politischen und gesellschaftlichen Interessenträgern und als legitime Vertretung der Bevölkerung, die einen demokratischen Wandel und Freiheit in Belarus einfordert, und sie bestanden darauf, dass das belarussische Regime mit dem Koordinierungsrat in einen Dialog tritt.
Während der Preisverleihung, die ausnahmsweise in Brüssel stattfand, sagte Präsident Sassoli: „Die ganze Welt weiß genau, was in Ihrem Land geschieht. Wir sehen, mit welchem Mut Sie alle handeln. Wir sehen, mit welchem Mut gerade die Frauen handeln. Wir sehen, welchem Leid Sie ausgesetzt sind. Wir sehen, welch entsetzliche Missstände bei Ihnen herrschen. Wir sehen, mit welcher Gewalt gegen Sie vorgegangen wird. Doch Ihr Wunsch und Ihre Entschlossenheit, in einem demokratischen Land zu leben, sind eine Inspiration für uns."
Bei der Entgegennahme des Preises erklärte Swjatlana Zichanouskaja: „Jede Belarussin und jeder Belarusse, der sich an den friedlichen Protesten gegen Gewalt und Gesetzlosigkeit beteiligt, ist ein Held. Jeder dieser Menschen ist ein Vorbild, das Mut, Mitgefühl und Würde zeigt."
„Seit der Wahl am 9. August sind die Belarussinnen und Belarussen jede Woche auf die Straße gegangen. Sie demonstrieren für ihre Zukunft und für die Zukunft derjenigen, die ihren Protest nicht kundtun können. Sie demonstrieren für die Freiheit und Würde der Belarussinnen und Belarussen, der Europäerinnen und Europäer, ja, für Ihre und unsere Freiheit. Ohne ein freies Belarus ist auch Europa nicht völlig frei."