Entschließungsantrag - B7-0248/2012Entschließungsantrag
B7-0248/2012

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG zu Schweizer Quoten bei der Anzahl der Aufenthaltsgenehmigungen, die Staatsangehörigen von Polen, Litauen, Lettland, Estland, Slowenien, der Slowakei, der Tschechischen Republik und Ungarn erteilt werden

21.5.2012 - (2012/2661(RSP))

eingereicht im Anschluss an die Anfragen zur mündlichen Beantwortung B7‑0115/2012 und B7‑0116/2012
gemäß Artikel 115 Absatz 5 der Geschäftsordnung

Rafał Trzaskowski, Andreas Schwab, Simon Busuttil, Csaba Őry, José Ignacio Salafranca Sánchez-Neyra, Elmar Brok, Jacek Saryusz-Wolski, Lena Kolarska-Bobińska, Marian-Jean Marinescu, Romana Jordan, Róża Gräfin von Thun und Hohenstein, Ildikó Gáll-Pelcz, Małgorzata Handzlik, Othmar Karas, Danuta Jazłowiecka, Hubert Pirker im Namen der PPE-Fraktion
Ioan Enciu, Evelyne Gebhardt, Olga Sehnalová, Marek Siwiec im Namen der S&D-Fraktion
Sarah Ludford, Jürgen Creutzmann, Robert Rochefort, Kristiina Ojuland, Renate Weber, Marielle de Sarnez, Marian Harkin, Ramon Tremosa i Balcells, Jan Mulder im Namen der ALDE-Fraktion
Heide Rühle, Judith Sargentini, Tatjana Ždanoka, Franziska Keller im Namen der Verts/ALE-Fraktion
Milan Cabrnoch, Adam Bielan, Roberts Zīle, Janusz Wojciechowski im Namen der ECR-Fraktion

Verfahren : 2012/2661(RSP)
Werdegang im Plenum
Entwicklungsstadium in Bezug auf das Dokument :  
B7-0248/2012

B7‑0248/2012

Entschließung des Europäischen Parlaments zu Schweizer Quoten bei der Anzahl der Aufenthaltsgenehmigungen, die Staatsangehörigen von Polen, Litauen, Lettland, Estland, Slowenien, der Slowakei, der Tschechischen Republik und Ungarn erteilt werden

(2012/2661(RSP))

Das Europäische Parlament,

–   unter Hinweis auf das Freihandelsabkommen vom 22. Juli 1972 zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Schweizerischen Eidgenossenschaft[1],

–   unter Hinweis auf das Abkommen vom 21. Juni 1999 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit, insbesondere dessen Anhang I zur Freizügigkeit und Anhang III zur Ankerkennung der Berufsqualifikationen[2],

–   unter Hinweis auf das Protokoll vom 26. Oktober 2004 zu dem Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit im Hinblick auf die Aufnahme der Tschechischen Republik, der Republik Estland, der Republik Zypern, der Republik Lettland, der Republik Litauen, der Republik Ungarn, der Republik Malta, der Republik Polen, der Republik Slowenien und der Slowakischen Republik als Vertragsparteien infolge ihres Beitritts zur Europäischen Union[3],

–   unter Hinweis auf das Protokoll vom 27. Mai 2008 zu dem Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit im Hinblick auf die Aufnahme der Republik Bulgarien und Rumäniens als Vertragsparteien infolge ihres Beitritts zur Europäischen Union,

–   unter Hinweis auf seine Entschließung vom 7. September 2010 zu dem Thema „EWR-Schweiz: Hindernisse für die vollständige Verwirklichung des Binnenmarktes“[4],

–   unter Hinweis auf die Schlussfolgerungen des Rates vom 14. Dezember 2010 zu den Beziehungen der EU zu EFTA-Staaten,

–   unter Hinweis auf die Entscheidung des Schweizer Bundesrates vom 18. Mai 2012, in Bezug auf acht EU-Mitgliedstaaten die Schutzklausel anzuwenden,

–   unter Hinweis auf die Anfrage vom 14. Mai 2012 an die Kommission zu dem Thema „Schweizer Quoten bei der Anzahl der Aufenthaltsgenehmigungen, die Staatsangehörigen von Polen, Litauen, Lettland, Estland, Slowenien, der Slowakei, der Tschechischen Republik und Ungarn erteilt werden“ (O 000113/2012 – B7 0115/2012),

–   gestützt auf Artikel 115 Absatz 5 und Artikel 110 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung,

A. unter Hinweis darauf, dass der Bundesrat der Schweiz beschlossen hat, zum 1. Mai 2012 zahlenmäßige Beschränkungen in Bezug auf Aufenthaltserlaubnisse der Kategorie B für Aufenthalte bis zu fünf Jahren einzuführen, die Staatsangehörigen von Polen, Litauen, Lettland, Estland, Slowenien, der Slowakei, der Tschechischen Republik und Ungarn gewährt werden;

B.  unter Hinweis darauf, dass sich die schweizerischen Staatsorgane bei dieser Entscheidung auf eine sogenannte Schutzklausel berufen haben, die in Artikel 10 des Abkommens von 1999 enthalten ist und ihnen die Möglichkeit gibt, solche zeitweiligen restriktiven Maßnahmen einzuführen, wenn die Zahl der gewährten Aufenthaltsgenehmigungen in einem bestimmten Jahr den Durchschnittswert der vorangehenden Jahre um mindestens 10 % übersteigt; unter Hinweis darauf, das die schweizerischen Staatsorgane erklärt haben, diese Situation sei im Fall von Staatsangehörigen der acht Mitgliedstaaten der Europäischen Union eingetreten;

C. unter Hinweis darauf, dass die von den schweizerischen Staatsorganen angerufene Schutzklausel in Artikel 10 des Abkommens von 1999 keine Differenzierung anhand der Nationalität für den Fall vorsieht, dass Obergrenzen für Aufenthaltsgenehmigungen oder Quoten für deren Anzahl festgelegt werden sollen, und dass darin „Arbeitnehmer und Selbständige der Europäischen Gemeinschaft“ erwähnt werden;

D. unter Hinweis darauf, dass in Bezug auf die Staatsangehörigen von acht der Mitgliedstaaten, die 2004 der EU beigetreten sind, durch die Schweiz bis zum 30. April 2011 zahlenmäßige Beschränkungen angewandt wurden, wie sie das Protokoll von 2004 zulässt; unter Hinweis darauf, dass am Ende dieser Übergangszeit Artikel 10 Absatz 4 des Abkommens von 1999 Anwendung findet;

E.  in der Erwägung, dass diese Sachlage in einem größeren Zusammenhang zu sehen ist, weil die schweizerischen Staatsorgane Maßnahmen treffen, die die mit der Durchführung der bilateralen Abkommen bereits erreichten Fortschritte gefährden, und gegen die das Parlament bereits in seiner Entschließung vom September 2010 seine Bedenken geäußert hat;

F.  unter Hinweis darauf, dass die Schweiz mehrere sogenannte flankierende Maßnahmen in Bezug auf das Abkommen über den freien Personenverkehr getroffen hat, die die Erbringung von Dienstleistungen durch EU-Unternehmen – insbesondere kleine und mittlere Unternehmen (KMU) – in der Schweiz behindern können, und dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs einige dieser Begleitmaßnahmen nur hinnehmbar sind, wenn sie im Einklang mit der Verhältnismäßigkeit ein allgemeines Interesse schützen, das im Herkunftsstaat der Erbringer der Dienstleistungen nicht bereits geschützt wird;

G. in der Erwägung, dass ein Teil dieser flankierenden Maßnahmen in einem Missverhältnis zu den angestrebten Zielen steht, etwa die Verpflichtung zur vorherigen Meldung mit achttägiger Wartefrist, die Pflicht zur Entrichtung von Beiträgen zu den Vollzugskosten von Dreiparteienkommissionen und die Verpflichtung für ausländische Unternehmen, die länderübergreifende Dienstleistungen erbringen, eine Garantie für finanzielle Bonität zu stellen; in der Erwägung, dass diese Maßnahmen für KMU, die in der Schweiz Dienstleistungen erbringen wollen, besonders belastend ist;

H. unter Hinweis darauf, dass die schweizerischen Staatsorgane in Verletzung des Abkommens über den freien Personenverkehr entschieden haben zu verbieten, dass deutsche und österreichische Taxis an Schweizer Flughäfen Fahrgäste übernehmen;

I.   unter Hinweis darauf, dass diese Probleme mehrfach in dem durch das Abkommen über den freien Personenverkehr geschaffenen Gemeinsamen Ausschuss mit der Schweiz erörtert worden ist; in der Erwägung, dass der Gemeinsame Ausschuss sie nicht hat lösen können;

J.   in der Erwägung, dass nur begrenzte Änderungen des Abkommens über den freien Personenverkehr zwecks Anpassung an die Entwicklung des EU-Rechts im Bereich des freien Personenverkehrs zulässig sind; in der Erwägung, dass das Abkommen nicht über einen wirksamen Überwachungs- und Rechtskontrollmechanismus verfügt, wie sie innerhalb der EU und im EWR üblich sind;

Schweizer Quoten bei der Anzahl der Aufenthaltsgenehmigungen für EU-Staatsangehörige

1.  bedauert mit Nachdruck, dass die schweizerischen Staatsorgane entschieden haben, zahlenmäßige Beschränkungen der langfristigen Aufenthaltsgenehmigungen für EU-Bürger wiedereinzuführen, die Staatsangehörige von acht der Mitgliedstaaten sind, die der EU 2004 beigetreten sind, wodurch der freie Personenverkehr, den das Abkommen von 1999 mit der EU vorsieht, eingeschränkt wird;

2.  betrachtet die genannte Entscheidung insofern als diskriminierend und unrechtmäßig, als es keine Rechtsgrundlage in den geltenden Verträgen zwischen der Schweiz und der EU für derartige Differenzierung nach Staatsangehörigkeit gibt; legt den schweizerischen Staatsorganen dringend nahe, ihre Entscheidung zu überprüfen und darauf zu verzichten, sich +auf die Schutzklausel zu berufen;

3.  weist darauf hin, dass die Voraussetzungen für die Anwendung von Artikel 10 Absatz 4 des Abkommens von 1999, ergänzt durch das Protokoll von 2004, nicht erfüllt sind;

4.  begrüßt die rechtzeitige, kritische Erklärung der Hohen Vertreterin / Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, in der sie ihre Dienststellen angewiesen hat, alle erforderlichen Schritte zu unternehmen, um die schweizerischen Staatsorgane um den Widerruf ihrer Entscheidung zu ersuchen;

5.  weist darauf hin, dass die Schweiz 2008 im Protokoll II die Rechte des freien Personenverkehrs auf Bulgarien und Rumänien ausgedehnt hat; bedauert jedoch, dass das Abkommen Übergangszeiten von bis zu sieben Jahren vorsieht; bedauert es, dass die Regierung der Schweiz im Mai 2011 entschieden hat, die Übergangszeit für Bulgaren und Rumänen bis zum 31. Mai 2014 zu verlängern;

6.  vertritt die Auffassung, dass beide Seiten statt der Einführung restriktiver Maßnahmen im gegenwärtigen Rahmen auf die Konzipierung eines angemesseneren, wirkungsvolleren und flexibleren Systems der Zusammenarbeit hinarbeiten sollten, um den freien Personenverkehr zusätzlich zu erleichtern; fordert die Kommission auf, dieses Thema möglichst frühzeitig gegenüber den schweizerischen Staatsorganen zur Sprache zu bringen und es auf die Tagesordnung der nächsten Sitzung des durch das Abkommen geschaffenen Gemeinsamen Ausschusses zu setzen;

Hindernisse für die vollständige Verwirklichung des Binnenmarkts

7.  fordert die Kommission auf, darzulegen, welche Maßnahmen seit der Annahme seiner Entschließung vom 7. September 2010 getroffen worden sind, um die Probleme der flankierenden Maßnahmen zu lösen, die die Erbringung von Dienstleistungen durch KMU der EU in der Schweiz erschweren, und den Staatsorganen der Schweiz nahezulegen, Regelungen aufzuheben, die ausländische Unternehmen, welche länderübergreifend Dienstleistungen erbringen, zur Hinterlegung einer Garantie für finanzielle Bonität verpflichten;

8.  erklärt sich besorgt über die Entscheidung des Schweizer Bundesrats, zusätzliche flankierende Maßnahmen zu prüfen;

9.  gibt erneut seinen Bedenken gegen die Situation an Schweizer Flughäfen Ausdruck, wo in Folge ablehnender Bescheide Schweizer Behörden deutsche und österreichische Taxis keine Passagiere aufnehmen dürfen, und fordert die Kommission auf, die Verträglichkeit dieser Entscheidung mit dem Abkommen über den freien Personenverkehr zu prüfen;

10. bedauert es, dass das Abkommen nicht der Richtlinie 2004/38/EG über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, Rechnung trägt; verlangt eine dynamischere Anpassung der Abkommen auf binnenmarktbezogenen Gebieten an die Entwicklung des EU-Rechts;

11. betrachtet es als entscheidend für den weiteren Ausbau der Teilhabe der Schweiz am Binnenmarkt, dass durch Rechtsregeln ein transparenteres und berechenbareres Umfeld für Wirtschaftsakteure beider Seiten geschaffen wird;

12. verlangt zusätzliche Fortschritte in dem Bemühen um horizontale Lösungen für Probleme, die mit der Notwendigkeit einer dynamischen Anpassung von Abkommen an die Fortentwicklung des EU-Rechts zusammenhängen, eine homogene Auslegung der Abkommen, unabhängige Überwachungs- und Rechtsdurchsetzungsmechanismen, einen Streitbeilegungsmechanismus, der nicht mit Fragmentierung verbunden ist, Transparenz in den Entscheidungsverfahren und Kommunikation zwischen den Gemeinsamen Ausschüssen;

13. betont, dass Mechanismen zur Konformitätskontrolle, die über rein einzelstaatliche Möglichkeiten hinausgehen, für das gute Funktionieren des Binnenmarkts wichtig sind;

14. erklärt seine Bereitschaft, eine Vertiefung der Beziehungen zwischen der EU und der Schweiz zu fördern, um die Herausforderungen, vor denen beide Seiten stehen, zu überwinden;

15. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission, den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedstaaten sowie der Regierung und dem Parlament der Schweiz zu übermitteln.