BERICHT über die Sekten in der Europäischen Union

11. Dezember 1997

Ausschuß für Grundfreiheiten und innere Angelegenheiten
Berichterstatterin: Frau Maria Berger

Mit Schreiben vom 18. Februar 1997 beantragte der Ausschuß für Grundfreiheiten und innere Angelegenheiten die Genehmigung zur Vorlage eines Berichts über die Sekten in der Europäischen Union.

In der Sitzung vom 14. März 1997 gab der Präsident des Europäischen Parlaments bekannt, daß dem Ausschuß die Genehmigung erteilt worden ist, über das genannte Thema Bericht zu erstatten.

In seiner Sitzung vom 22. April 1997 hatte der Ausschuß Frau Maria Berger als Berichterstatterin benannt.

Der Ausschuß prüfte den Entwurf eines Berichts in seinen Sitzungen vom 8. Juli 1997, 29. September 1997, 28. Oktober 1997, 4. November 1997 und 8. Dezember 1997.

In der letztgenannten Sitzung nahm er den Entschließungsantrag mit 15 Ja-Stimmen, 7 Gegenstimmen und 3 Enthaltungen an.

Bei der Abstimmung beteiligten sich die Abgeordneten: d'Ancona, Vorsitzende; Reding, stellvertretende Vorsitzende; Wiebenga, stellvertretende Vorsitzende; Berger, Berichterstatterin; Bontempi; Caccavale (in Vertretung d. Abg. Schaffner); De Luca; Deprez; Ford; Goerens; Gomolka (in Vertretung d. Abg. Posselt); Hallam (in Vertretung d. Abg. Crawley gemäß Artikel 138 Abs. 2 der Geschäftsordnung), Lambrias (in Vertretung d. Abg. Colombo Svevo); Lindperg; Marinho; Mohamed Ali, Nassauer, Oostlander (in Vertretung d. Abg. Cederschiöld); Pailler (in Vertretung d. Abg. Vinci); Pirker; Pradier; Schmid, G.; Schulz; Van Lancker (in Vertretung d. Abg. Terron I Cusi) und Zimmermann.

Der Bericht wurde am 11. Dezember 1997 eingereicht.

Die Frist für die Einreichung von Änderungsanträgen wird im Entwurf der Tagesordnung für die Tagung angegeben, auf der der Bericht geprüft wird.

A. ENTSCHLIESSUNGSANTRAG

Entschließung zu den Sekten in der Europäischen Union

Das Europäische Parlament,

- unter Hinweis auf die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten,

- unter Hinweis auf die UN-Erklärung vom 25. November 1981 über die Abschaffung aller Formen von Intoleranz und Diskriminierung auf Grund von Religion oder Glauben,

- unter Hinweis auf die UN-Konvention über die Rechte des Kindes,

- unter Hinweis auf die Empfehlung der parlamentarischen Versammlung des Europarates vom 5. Februar 1992 über die Sekten und die neuen religiösen Bewegungen,

- unter Hinweis auf den Untersuchungsbericht der französische Nationalversammlung vom 20. Dezember 1995 über die Sekten in Frankreich,

- unter Hinweis auf den Untersuchungsbericht des belgischen Abgeordneterhaus vom 28. April 1997 über die Bekämpfung der illegalen Praktiken von Sekten und der Gefahr, die diese für die Gesellschaft und einzelne Personen, insbesondere Minderjährige, darstellen,

- unter Hinweis auf den Zwischenbericht der Enquete-Komission "Sogenannte Sekten und Psychogruppen" des deutschen Bundestages,

- unter Hinweis auf den Vertrag über die Europäische Union, insbesondere auf Titel VI, Artikel F, Artikel 129a , usw.

- unter Hinweis auf seine Entschließung vom 22. Mai 1984 zu einem gemeinsamen Vorgehen der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft im Hinblick auf verschiedene Rechtsverletzungen neuerer Organisationen, die im Schutz der Religionsfreiheit arbeiten[1],

- unter Hinweis auf seine Entschließung vom 8. Juli 1992 über eine Europäischen Charta der Rechte des Kindes[2],

- unter Hinweis auf seine Entschließung vom 29. Februar 1996 zu den Sekten in Europa[3],

- unter Hinweis auf seine Entschließung vom 8. April 1997 zu den Menschenrechten in der Union[4],

- in Kenntnis von Artikel 148 seiner Geschäftsordnung,

- in Kenntnis des Berichts des Ausschusses für Grundfreiheiten und innere Angelegenheiten (A4-0000/97),

A. in der Erwägung, daß die gemeinsame Sitzung des Ausschusses für Grundfreiheiten und innere Angelegenheiten mit den Vertretern der nationalen Parlamente vom 21. November 1996 jene Informationen bestätigte und aktualisierte, die dem Europäischen Parlament anläßlich seiner Entschließungen vom 22. Mai 1984 und vom 29. Februar 1996 vorlagen, und verschiedene Handlungsempfehlungen vorschlug.

B. in der Erwägung, daß die in diesen Entschließungen an den Rat und die Kommission gerichteten Empfehlungen gemäß der vom Rat und der Kommission übermittelten Informationen nicht weiter verfolgt wurden,

C. in der Erwägung, daß der Begriff "Sekten" juristisch nicht definiert ist, mit ihm so wie in der Entschließung vom 29. Februar 1996 auch in dieser Entschließung kein Werturteil verbunden ist, daß die Rechtslage der Mitgliedstaaten hinsichtlich der staatlichen Anerkennung von religiösen Gruppen und Sekten sehr unterschiedlich ist und daß die Bildung von Sekten zu den grundlegenden Rechten der Religions-, Gewissens-, Meinungs- Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit gehört,

D. in der Erwägung, daß Handlungsempfehlungen somit ausschließlich die problematischen Aspekte und die mit den Tätigkeiten verschiedener Sekten ggf. zusammenhängenden Risiken betreffen müssen, wenn sie die körperliche und geistige Unverletztheit oder die gesellschaftliche und wirtschaftliche Stellung eines Bürgers in Mitleidenschaft ziehen, und in der Erwägung, daß derartige Verhaltensweisen auch Gegenstand von Interventionen gegenüber allen anderen Arten von Religionsgemeinschaften und nicht religiösen Gemeinschaften sein müssen,

E. in der Erwägung, daß aus den unter C. und D. genannten Gründen und aufgrund des raschen Auftretens und Verschwindens von Gruppen vom Europäischen Parlament keine Auflistung von Sekten vorgenommen werden sollte,

F. in der Erwägung, daß die in den genannten Entschließungen an die Mitgliedstaaten gerichteten Empfehlungen in einigen der Mitgliedstaaten gemeinsam mit innerstaatlichen Entwicklungen zu verstärkten Informations-, Aufklärungs- und Beratungsaktivitäten geführt haben und in drei Mitgliedstaaten auf nationaler parlamentarischer Ebene ausführliche Untersuchungen durchgeführt wurden und werden, über die Berichte und ein Zwischenbericht vorliegen,

G. in der Erwägung, daß die staatlichen Behörden das Auftreten von Sekten erst dann als problematisch betrachten können, wenn diese eine Bedrohung für die öffentliche Ordnung und/oder die klassischen Bürgerrechte darstellen, und daß die Vertreter der nationalen Parlamente der Mehrzahl der Mitgliedstaaten das Auftreten und die Aktivitäten von Sekten in ihrem Mitgliedstaat als unbedeutend oder unproblematisch eingestuft haben,

H. in der Erwägung, daß nur für einen Mitgliedstaat eine repräsentative Umfrage über die Mitgliedschaft oder ein Naheverhältnis zu Sekten vorliegt und diese Umfrage sehr niedrige Werte ergeben hat, von denen anzunehmen ist, daß sie in keinem der anderen Mitgliedstaaten signifikant überschritten werden,

I. in der Erwägung, daß in allen Mitgliedstaaten der Wahrung der Grundrechte der Religions-, Gewissens- und Glaubensfreiheit sowie der Meinungsfreiheit und der Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit ein zentraler Stellenwert zukommt und die Lösung von Konflikten mit anderen Grundrechten Aufgabe des Gesetzgebers und der Gerichte ist,

J. in der Erwägung, daß in manchen Mitgliedstaaten die besorgniserregende Tendenz zu beobachten ist, Sektenmitgliedern die Aufnahme in den öffentlichen Dienst zu erschweren oder zu verbieten,

K. in der Erwägung, daß in der überwiegenden Anzahl der Mitgliedstaaten das bestehende rechtliche Instrumentarium als ausreichend empfunden wird, und in der gemeinsamen Sitzung eine spezifische Antisektengesetzgebung einhellig abgelehnt wurde, daß aber in der gemeinsamen Sitzung auch darauf hingewiesen wurde, daß das bestehende rechtliche Instrumentarium nicht hinreichend zur Bekämpfung von kriminellen Tätigkeiten oder Verstößen gegen die Sozial- und Steuergesetzgebung genutzt wird,

L. in der Erwägung, daß die Attraktivität von Sekten auch als Symptom eines tiefen sozialen, moralischen und gesellschaftlichen Unbehagens und im Lichte eines Verlangens nach einem Lebenssinn und -erklärung zu sehen ist, die in der heutigen wissenschaftlich-technisch orientierten und von Individualismus und dem Verfall des traditionellen sozialen Geflechts gekennzeichneten Gesellschaft und von den traditionellen Kirchen für einige nicht mehr ausreichend befriedigt werden kann,

M. in der Erwägung, daß die Anforderungen der modernen Berufswelt den Angeboten zur Überwindung von empfundenen individuellen Leistungs- und Persönlichkeitsdefiziten Auftrieb geben,

N. in der Erwägung, daß die potentiell von manchen Sekten ausgehenden Gefährdungen hauptsächlich den Einzelnen u.a. die Jugendlichen, treffen können, insb. ihre psychische und physische Integrität sowie seine soziale und wirtschaftliche Stellung beeinträchtigen können und daß zum gegebenen Zeitpunkt und aufgrund der vorliegenden Informationen eine unmittelbare Gefährdung der in allen Mitgliedstaaten gefestigten demokratischen und rechtsstaatlichen Institutionen nicht zu befürchten ist,

0. unter Hinweis jedoch auf die tragischen Vorfälle im unmittelbaren Umfeld von Sekten, die sich in verschiedenen Ländern zugetragen haben, vor allem in Frankreich, der Schweiz, Kanada und Japan, und wo es zu Fällen von Massenselbstmord von Männern und Frauen mit ihren Kindern kam, und in der Erwägung, daß diese Vorfälle nicht geleugnet werden können,

P. in der Erwägung, daß daher der Schutz des Einzelnen auch in seiner Eigenschaft als Verbraucher durch Information, Aufklärung und Beratung in den Mittelpunkt zu stellen ist,

Q. in der Erwägung, daß eine objektive Information über problematische Praktiken einzelner Sekten notwendig ist, insb. auch in den Schulen, daß sich aber staatliche Stellen oder staatlich gefördert Stellen bei dieser Informations-, Aufklärungs- und Beratungstätigkeit gemäß den jeweiligen nationalen verfassungsrechtlichen Vorgaben einer inhaltlichen Parteinahme enthalten sollten und dem Einzelnen eine informierte, freie Entscheidung und Hilfe beim gegebenenfalls angestrebten Ausstieg aus einer Sekte ermöglichen sollten,

R. in der Erwägung, daß die inhaltliche Auseinandersetzung und kritische Diskussion der von Sekten vertretenen Lehren, Anschauungen und der angewandten Methoden, soweit diese nicht rechtswidrig sind, eine gesellschaftspolitische Herausforderung darstellt, der sich insbesondere die anerkannten Kirchen und Religionsgemeinschaften, die politischen Parteien, die Familien- und Jugend-, sowie Konsumentenschutzorganisationen zu stellen haben; daß, insofern auch Auswirkungen auf einzelne Wirtschaftszweige und Unternehmen gegeben sind, weiters auch die Unternehmer- und Arbeitnehmerorganisationen gefordert sind, sich mit diesem Thema auseinandersetzen,

S. in der Erwägung, daß staatliche und private Stellen zur Unterstützung ihrer Information, Aufklärungs- und Beratungsarbeit einer internationalen Vernetzung bedürfen,

T. in der Erwägung, daß diese Aufgabe nicht EUROPOL zukommen kann, da dies nicht in ihr generelles Mandat fällt, EUROPOL hingegen im Rahmen des gegenwärtigen und allenfalls nach Art. 2 (2) der Konvention erweiterten Mandats eine zentrale Rolle bei der Bekämpfung krimineller Aktivitäten zukommt,

U. in der Erwägung, daß angesichts des stark unterschiedlichen Grades der Problematisierung dieses Themas in den Mitgliedstaaten und der zur Zeit fehlenden quantitativen und qualitativen Grundlagen für eine gemeinsame europäische Politik derzeit keine ausreichende Basis für die Gründung einer speziellen EU-Einrichtung zur Sektenproblematik gegeben scheint,

V. in der Erwägung, daß aber bei den am sog. "Psychomarkt" auch von Sekten angebotenen, kommerziellen Dienstleistungen die Konsumenten vor Mißbrauch zu schützen sind und Lückenim Konsumentenschutzrecht auch auf europäischer Ebene bestehen könnten, diese einer näheren Prüfung bedürfen und allenfalls die bestehenden Regelungen ergänzt werden müssen,

W. in der Erwägung, daß eine Vernetzung der Aktivitäten der Mitgliedstaaten zu jenen Problemen, die nicht dem Kosumentenschutz zuzurechnen sind, im Rahmen der Zusammenarbeit nach Titel VI des EU-Vertrags, erreicht werden könnte,

X. in der Erwägung, daß die Besorgnis über eine vermutete Zunahme der Aktivität von Sekten und der damit allenfalls verbundenen Gefährdungen anhält und deshalb eine europaweite Erhebung quantitativer Daten und eine nähere Erforschung dieser Phänomene wünschenswert und gerechtfertigt erscheint,

Y. in der Erwägung, daß nun auch die Länder Mittel- und Osteuropas vermehrt mit der Sektenproblematik konfrontiert werden, diese Maßnahmen auch auf die MOEL ausgedehnt werden sollten und diesen Ländern im Rahmen von PHARE und TACIS Hilfe bei einem grundrechtskonformen Umgang mit dieser Problematik gegeben werden sollte,

1. Weist auf die Bedeutung der Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten hin und fordert Rat und Kommission neuerlich auf, den in den Entschließungen vom 22. Mai 1984 und vom 29. Februar 1996 an sie gerichteten Empfehlungen des Europäischen Parlaments nachzukommen, da die gemeinsame Sitzung des Ausschusses für Grundfreiheiten und innere Angelegenheiten mit den Vertretern der nationalen Parlamente zu Sekten in Europa die Information bestätigt und aktualisiert hat, die anläßlich der genannten Entschließungen vorlagen und bekräftigt neuerlich, daß die Religions- und Gewissensfreiheit, sowie die Meinungsfreiheit und Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit unverzichtbare Grundrechte in einem demokratischen Rechtsstaat darstellen;

2. fordert die Mitgliedstaaten und die Organe der EU auf, nur in Bezug auf problematische Aspekte und im Zusammenhang mit einzelnen Aktivitäten von Sekten zu intervenieren, die die körperliche und geistige Unversehrtheit oder die soziale und wirtschaftliche Stellung von Bürgern betreffen, wobei auch dann jedoch einzuschreiten ist, wenn derartige Verhaltensweisen bei anderen religiösen oder nicht religiösen Organisationen festgestellt werden, wobei bei solchen Eingriffen die Grundrechte der Bürger voll und ganz gewahrt werden müssen;

3. fordert die Mitgliedstaaten auf, im Rahmen ihrer Befugnisse klare Kriterien und Mindestanforderungen in ihrer Politik der Beihilfen und Subventionen auszuarbeiten und einzuhalten, um sicherzustellen, daß Subventionen zu ihren legitimen Zwecken korrekt und unter genauester Einhaltung aller gesetzlich festgelegten Bedingungen verwendet werden;

4. fordert die Mitgliedsstaaten auf, Sanktionen gegen die Mitglieder von Sekten nur an individuelle ungesetzliche Handlungen anzuknüpfen;

5. fordert jene Mitgliedstaaten, in denen gehäuft Beschwerden über bestimmte unerwünschte oder problematische Aktivitäten von Sekten laut werden durch unabhängige Gremien, Informations-, Aufklärungs- und Beratungsaktivitäten insbesondere für Jugendliche und Familien zu beauftragen , die ohne inhaltliche Parteinahme dem Einzelnen eine freie und informierte Entscheidung erleichtern und austrittswilligen Sektenmitgliedern und ihren Familien Hilfsstrukturen anzubieten;

.6. fordert die Mitgliedstaaten auf, die bestehenden Rechtsvorschriften und Rechtsinstrumente wirksam zu nutzen und zu prüfen, ob die Bestimmungen insb. auf den Gebieten des Vereinsund Körperschaftsrechts, des Steuer- und Sozialrechts sowie des Strafrechts ausreichen, um Bürger vor rechtswidrigen Handlungen zu schützen und um insb. sicherzustellen, daß Minderjährige, deren Eltern Sektenmitglieder sind, nicht der Anwendbarkeit der zum Schutz der Jugendlichen geltenden Bestimmungen zB über die Fürsogepflicht und die Schulpflicht entzogen werden, bekräftigt aber, daß es besondere Rechtsvorschriften gegen Sekten als solche für unangebracht hält;

7. fordert die Kommission auf, im Rahmen ihrer Zuständigkeit im Sinne des Konsumentenschutzes zu prüfen, ob bezüglich der am sog. "Psychomarkt" auch von Sekten angebotenen kommerziellen Dienstleistungen Konsumenten vor Mißbrauch zu schützen sind und ob Lücken auch im europäischen Konsumentenrecht bestehen und wie diese allenfalls umgehend geschlossen werden können;

8. fordert Rat und Mitgliedstaaten auf, zu prüfen wie im Rahmen des Titel VI des EU-V Unterstützung für jene Aktivitäten mitgliedstaatlicher Informations-, Aufklärungs- und Beratungsstellen geleistet werden kann, die einer internationalen Zusammenarbeit bedürfen und die in die von Titel VI erfaßten Kompetenzbereiche fallen, insbesondere der Informationsaustausch über die Bezeichnungen, Verästelungen und Methoden sowie zum Wiederauffinden vermißter Personen;

9. fordert die Kommission bzw. EUROSTAT auf, eine die MOEL einschließende, europaweite Erhebung der quantitativen Daten zum Phänomen der Sekten durchzuführen und jene Mitgliedstaaten, die über keine statistischen Daten verfügen zur Erhebung derselben einzuladen,

10. fordert die hauptsächlich im Bereich des Schutzes der Menschenrechte tätigen nichtstaatlichen Organisationen auf, Informations- und Beratungsaktionen einzuleiten und zu unterstützen, um jedem einzelnen die Möglichkeit zu geben, in aller Freiheit über einen Beitritt zu einer Sekte oder einer neuen religiösen Bewegung zu entscheiden, und ihm in jedem Falle zu ermöglichen, sie frei zu verlassen, wenn er dies wünscht;

11. fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, den MOEL im Rahmen von PHARE und TACIS Hilfestellung für einen grundrechtskonformen Umgang mit Sekten und den Aufbau von Informations-, Aufklärungs- und Beratungsinstitutionen zu geben;

12. sieht darüber hinaus derzeit keine Notwendigkeit und Berechtigung, eine gemeinsame europäische Politik gegen Sekten einzuleiten oder eine eigene europäische Einrichtung zu schaffen;

13. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission, der Regierungen und den Parlamenten der Mitgliedstaaten sowie dem Europarat zu übermitteln.

  • [1] () ABl. C 172 vom 02.07.1984, S. 41.
  • [2] () ABl. C 241 vom 21.09.1992, S. 67.
  • [3] () ABl. C 078 vom 18.03.1996, S. 31.
  • [4] () ABl. C 132 vom 28.04.1997, S. 31.

B. BEGRÜNDUNG

Einleitung

In seiner Entschließung zu den Sekten in Europa vom 29. Februar 1996[1] beauftragte das Europäische Parlament seinen Ausschuß für Grundfreiheiten und innere Angelegenheiten, den zuständigen Ausschüssen der nationalen Parlamente vorzuschlagen, ihre nächste gemeinsame Sitzung dem Thema Sekten zu widmen und die Schlußfolgerungen dieser Sitzung dem Plenum in Form eines Berichts vorzulegen. Diesem Auftrag wird mit dem gegenständlichen Bericht nachgekommen.

Im einzelnen beauftragte das Plenum den Ausschuß für Grundfreiheiten und innere Angelegenheiten bei der gemeinsamen Sitzung folgenden Aufgaben nachzugehen:

- Austausch von Informationen über die Organisation, die Arbeitsmethoden und das Verhalten von Sekten in den einzelnen Mitgliedstaaten,

- Aufzeigen der besten Methoden zur Einschränkung unerwünschter Aktivitäten dieser Sekten sowie von Strategien zur Aufklärung der Bevölkerung.

Eine ausführliche Darstellung der Beiträge anläßlich der gemeinsamen Arbeitssitzung des Ausschusses für Grundfreiheiten und innere Angelegenheiten des Europäischen Parlaments mit Vertretern der zuständigen Ausschüsse der nationalen Parlamente, die am 21. November 1996 in Brüssel stattgefunden hat, liegt diesem Bericht als Arbeitsdokument bei. Ein weiteres, vom Sekretariat des Ausschusses verfaßtes Arbeitsdokument liefert ergänzende Informationen.

Für Zwecke dieses Berichts können die Ergebnisse wie folgt zusammengefaßt werden:

Begriffsbestimmung

Wie schon anläßlich früherer Debatten im EP deutlich wurde, löst bereits die Verwendung des Begriffes "Sekten" Unsicherheit und Unstimmigkeit aus. Dies vor allem deshalb, da dieser Begriff in manchen Mitgliedstaaten bzw. in einigen der Amtssprachen der Union von vorneherein negativ besetzt ist und wegen der mangelnden Differenzierung als diskriminierend empfunden wird. Die Entschließung des EP vom 22. Mai 1984[2] spricht von neueren Organisationen, die im Schutze der Religionsfreiheit arbeiten. Bei der gemeinsamen Aussprache wurde die alternative oder ergänzende Verwendung des Begriffes "neue religiöse Bewegungen" vorgeschlagen, was von einem Teilnehmer aber ebenfalls als diskriminierend eingestuft wurde. Der Deutsche Bundestag nennt seine Enquete - Kommission "Sogenannte Sekten und Psychogruppen". Der Untersuchungsbericht des belgischen Abgeordnetenhauses vom 28. April 1997 unterscheidet zwischen "Sekten stricto sensu", schädlichen Sektenorganisationen und betrügerischen Organisationen unter dem Deckmantel einer Sekte. Der Untersuchungsbericht der französischen Nationalversammlung vom 20. Dezember 1995 verwendet den Ausdruck "Sekte" in Anlehnung an die französische nachrichtendienstliche Praxis für jede Organisation, auf die mindestens eines von zehn "Gefährdungskriterien" zutrifft. Ebensowenig wie in der Alltagssprache der Begriff "Sekte" eindeutig definiert ist, finden sich in den nationalen Rechtsordnungen juristische Begriffsbestimmungen. In Anlehnung an den Text der Entschließung des EP vom 29. Februar 1996 wird in der Folge schlicht von Sekten gesprochen, da dieser Begriff in der genannten Entschließung nicht diskriminierend verwendet wird und auch in diesem Bericht so verstanden wird. Weiters werden keine Schlußfolgerungen gezogen, die nur aus dem Begriff Sekte abgeleitet werden.

Verfassungsrechtliche Stellung

Alle Mitgliedstaaten räumen gemäß ihren verfassungsrechtlichen Traditionen der Religions- und Gewissens- und Glaubensfreiheit sowie der Meinungsfreiheit und der Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit einen hohen Stellenwert ein. Das Grundrecht auf Religionsfreiheit kann vom einfachen Gesetzgeber entweder überhaupt nicht (zB. Schweden) oder nur unter restriktiven Bedingungen eingeschränkt werden. Hingegen nimmt keiner der Mitgliedstaaten religiöse Gemeinschaften, Kirchen und Sekten sowie deren Angehörigen von der Anwendbarkeit der allgemeinen Gesetze aus oder stellt andere Grundrechte (zB. Schutz der persönlichen Freiheit und der körperlichen Unversehrtheit) oder andere verfassungsrechtliche Werte hinter die Religionsfreiheit zurück. Die Frage, welche Gruppierungen sich zurecht auf die Religionsfreiheit berufen können und die Lösung von Grundrechtskonflikten kommt im Einzelfall den Gerichten zu.

Organisationsformen

Einige Mitgliedstaaten räumen religiösen Gemeinschaften, die bestimmte Kriterien erfüllen, einen gesetzlichen Sonderstatus ein, der mit unterschiedlichen Sonderrechten (zB. innere Autonomie, Steuerbegünstigungen, Steuererhebungsrecht, Religionsunterricht in öffentlichen Schulen, Recht auf eigene Schulen mit oder ohne öffentliche Unterstützung, Führung öffentlicher Register etc.) verbunden ist (s. Arbeitsdokument von DG IV). Jene Gruppen, denen dieser Sonderstatus nicht eingeräumt wird bzw. deren nationale Rechtsordnung dieses Sonderstatut nicht kennt, sind in der Regel als Vereine organisiert, wobei - soweit dies in den nationalen Rechtsordnungen vorgesehen ist - meist der Status des gemeinnützigen Vereins (sans but lucratif) oder ähnliche Konstruktionen angestrebt wird. Innerhalb dieses allgemeinen rechtlichen Rahmens sind die Organisationen frei, ihre innere Organisation zu bestimmen. In der Fachliteratur und zB. auch im Bericht der französischen Nationalversammlung wird als ein wesentliches Merkmal von Sekten ein strenger hierarchischer Aufbau genannt. Größere Gruppierungen wie zB. Scientology oder die Vereinigungsbewegung ("Mun - Bewegung") bilden ein weitverzweigtes Netz von Teilorganisationen mit Sonderaufgaben aus.

Hinsichtlich der Art, Anzahl und des Ausbreitungsgrades machten die nationalenVertreter folgende Angaben, die aber angesichts der in allen Mitgliedstaaten ungesicherten Datenlage (zB. Eigenangaben der Sekten) und der unterschiedlichen Begriffsbildungen nur als Indizien für die Größenordnung des diskutierten Phänomens verstanden werden können:

Griechenland: keine konkreten Angaben, keine nennenswerten Probleme mit Sekten, als einzig weiter bekannte Sekte werden die Zeugen Jehovas genannt.

Schweden: keine konkreten Angaben.

Portugal: keine konkreten Angaben, keine nennenswerten Schwierigkeiten, kurzfristig erzeugte eine aus Brasilien kommende Sekte eine gewisse Aufmerksamkeit.

Österreich: 50.000 Menschen gehören einer Sekte an, 200.000 sind Bewegungen dieser Art im weitesten Sinn zuzurechnen.

Niederlande: keine konkreten Angaben, ein 1984 erschienener Bericht ist zur Schlußfolgerung gekommen, daß es keine wesentlichen Schwierigkeiten gebe.

Italien: es gibt 400 " neue religiöse Bewegungen", von denen 600.000 Menschen betroffen sind, als größte Gruppe werden die Zeugen Jehovas genannt.

Vereinigtes Königreich: keine konkreten Angaben, Problem wird nicht als gravierend eingestuft, eine Untersuchung über den Einfluß der Freimaurer in Politik und Recht wird ins Auge gefaßt.

Spanien: es gibt 40 - 50 Sekten, die Anzahl der Anhänger ist nicht zu ermitteln. Eine neuere Publikation[3] nennt hingegen eine Zahl von 300 - 600 Sekten mit 150.000 - 300.000 Anhängern. Im Bericht eines Ausschuß des Kongresses wurde eine Zahl von 700.000 Jugendlichen als sektennah genannt.

Deutschland: keine konkreten Zahlen, Sekten verbreiten sich aber. Die von der EnqueteKommission des Deutschen Bundestages beauftragte repräsentative Umfrage[4] ergab hochgerechnet 820.000 Personen, die einer neuen religiösen oder weltanschaulichen Bewegung angehören oder ihr nahestehen. Da die Angaben über die Namen der Gruppen, der die befragten Personen angehören oder nahestehen, aber so gering waren, konnten keine Mitgliederzahlen für die einzelnen Gruppen ermittelt werden. Eine Klassifizierung der Gruppen aufgrund von Selbstbenennungen lehnt die Enquete-Kommission ab. Über eine frühere oder gegenwärtige Mitgliedschaft und ein Nahestehen hinaus gaben 1,7 % an, schon einmal in ihrem Leben Veranstaltungen neuer religiöser oder weltanschaulicher Bewegungen besucht oder ihre Angebote, zB. Meditationen, spirituelle Trainings, Lebensberatungskurse etc. in Anspruch genommen zu haben. Hochgerechnet auf die Gesamtbevölkerung ergibt dies eine Zahl von 1.172.000 Personen. Soziostrukturelle Merkmale der häufigsten Nutzer sind: höhere Bildung, Beamte und Angestellte, Besserverdienende sowie Personen mit einem Einkommen unter DM 3.000, Alleinstehende und Alleinerziehende, mittlere Altersgruppe sowie Großstadtbewohner.

Dänemark: zusätzlich zu den elf anerkannten Religionsgemeinschaften existieren 36 religiöse Gemeinschaften mit der Befugnis, Gottesdienste abzuhalten, eine wesentliche Zunahme der Anzahl von Sekten in der letzten Zeit ist nicht feststellbar.

Belgien: es gibt 150 Sekten, die "beobachtet werden müßten", über Mitgliederzahlen und deren Veränderung kann nichts gesagt werden.

Frankreich: es war kein Vertreter des nationalen Parlaments anwesend, einer dem Sitzungsbericht angeschlossenen Kurzfassung des Berichts der französischen Nationalversammlung vom 20. Dezember 1995 sind folgende Zahlen zu entnehmen: Gemäß den getroffenen Kriterien (s.o.) wurden vom Nachrichtendienst 172 Sekten ermittelt. Diese Zahl bezieht sich auf die "Mutterorganisationen", mit Berücksichtung von "Ablegern" seien es 800. Die Zahl der Anhänger liegt bei etwa 160.000, die der Sympathisanten bei 100.000.

Finnland, Luxemburg und Irland waren bei der gemeinsamen Sitzung nicht vertreten.

Arbeitsmethoden und Verhalten von Sekten

Die von den Vertretern der nationalen Parlamente in der gemeinsamen Sitzung und in den Berichten der drei nationalen Parlamente dazu getroffenen Aussagen bestätigen im wesentlichen jene Informationen, die dem EP bereits anläßlich seiner Entschließungen 1984 und 1996 als Grundlage zur Verfügung standen. Als problematisch werden dabei ua. folgende Verhaltensweisen angeführt:

- finanzielle Ausbeutung der Mitglieder durch überhöhte Preise für Kurse, Lehrmaterialien, Diagnose- und Therapiebehelfe; Spendendruck,

- aggressives Anwerben von Mitgliedern,

- physische und psychische Vernachlässigung von Abhängigen,

- Verletzung arbeits- und sozialrechtlicher Vorschriften für Mitarbeiter,

- nicht oder unterbezahlte Arbeitsverhältnisse,

- Herauslösung von Personen aus ihrem familiären, sozialen und beruflichen Umfeld,

- Verweigerung von konventionellen Heilverfahren und Bluttransfusionen für sich selbst und minderjährige Kinder,

- Anwendung von sog. Psychotechniken und Methoden der psychischen Manipulation,

- Kasernierung auch von Kindern und Jugendlichen in eigenen Kindergärten und Schulen,

- Verfolgung vorwiegend finanzieller oder politischer Interessen unter dem Deckmantel der Religion, der Lebenshilfe, der Entwicklungshilfe etc.,

- Unterwanderung staatlicher Strukturen,

- Unterwanderung und Beeinflussung von Unternehmen,

- Verfolgung von Aussteigern und Kritikern.

Hier ist anzumerken, daß diese gängigen Vorwürfe unterschiedlich zu bewerten sind. Während zB. die Problematik mit der Bluttransfusion bei den Zeugen Jehovas evident ist und die MS auch Instrumentarien entwickelt haben, damit umzugehen, ist zB. dem Vorwurf der manipulativen Psychotechniken oder der Unterwanderung staatlicher Strukturen mit wesentlich mehr Vorsicht zu begegnen. Der Zwischenbericht des Deutschen Bundestags äußert sich eher skeptisch zur Relevanz der sog. Psychotechniken.

"Viel wichtiger sei es, das Geflecht aus psychischen und materiellen Abhängigkeiten, aus Selbstverpflichtung und Fremdsteuerung und aus angedrohten Sanktionen zu erkennen. Diese Zusammenklänge müßten in ihrer interaktioniellen Wechselwirkung herausgearbeitet werden."[5]

Der, insbesondere gegen Scientology, immer wieder erhobene Vorwurf der Unterwanderung staatlicher Organe kann auch durch neuere Publikationen[6] nicht wirklich substantiiert werden. Die dort angeführten Strategien wirken angesichts einer gefestigten rechtsstaatlichen Demokratie als äußerst dilettantisch und unbedrohlich.

Als eindeutig kriminelle Handlungen im Zusammenhang mit einzelnen Sekten werden folgende immer wieder genannt: sexueller Mißbrauch von Kindern, Drogen- und Menschenhandel, illegale Ausübung medizinischer Berufe, Geldwäsche, Steuerhinterziehung, Anstiftung zum Selbstmord.

Methoden zu Einschränkung unerwünschter Aktivitäten

Strategien zur Aufklärung der Bevölkerung

Die in der gemeinsamen Sitzung vorgebrachten Vorschläge spiegeln die unterschiedliche Ausgangslage der einzelnen Mitgliedstaaten wider. In drei MS (Frankreich, Deutschland, Belgien) wurde und wird aufgrund bestimmter Ereignisse und dem Stand der öffentlichen Diskussion das Problem immerhin als so gewichtig empfunden, daß dazu ausführliche parlamentarische Untersuchungen und Beratungen abgehalten wurden und werden. Die vorliegenden Berichte verweisen dabei ebenso wie die Vertreter der nationalen Parlamente in der gemeinsamen Sitzung auf den zentralen Stellenwert einer verstärkten Aufklärung der Bevölkerung im allgemeinen und von Jugendlichen sowie von involvierten Behörden (Jugendämtern, Lehrern, Richtern, Staatsanwälten, Finanzbehörden, Vereins - und Gewerbehörden etc) im besonderen. Falls staatliche Einrichtungen diese Aufklärungsarbeit selbst übernehmen oder private Einrichtungen aus öffentlichen Geldern unterstützt werden kann das nationale Verfassungsrecht bzw. die nationale verfassungsrechtliche Tradition es erfordern, daß der Staat sich hinsichtlich der Bewertung der religiösen Inhalte neutral verhält und im Wettbewerb der Religionen und Heilslehren nicht Partei ergreift[7]. Gemäß den vorliegenden Berichten gibt es staatliche Aufklärungsaktionen in Deutschland, Frankreich und Österreich. In Schweden und in Belgien gibt es darauf zielende Vorschläge der nationalen Parlamente.

Um den Aufklärungsbedürfnissen in verbesserter und objektiver Form nachkommen zu können, wurde von fast allen Vertretern der nationalen Parlamente, teilnehmenden Mitgliedern des Ausschusses für Grundfreiheiten und innere Angelegenheiten und den von den nationalen Parlamenten gehörten Experten eine verstärkte Informationserhebung und ein auch international verbesserter Informationsaustausch gefordert. Wie schon aus den für die einzelnen MS verfügbaren Zahlen deutlich wird, fehlen in den meisten Fällen selbst grundlegende quantitative wissenschaftlich verläßliche Angaben zB. über Anzahl der operierenden Sekten, Mitgliederzahlen und -strukturen. Eine Internationalisierung des Informationsaustausches wurde insbesondere im Hinblick auf die innere Organisation (zB. welche Sonderorganisationen sind welcher Gruppe zuzurechnen), die von Land zu Land oft unterschiedliche Namensgebungen, internationale Verzweigungen und typische Arbeitsmethoden und Verhaltensweisen gefordert. Als Plattform für diesen Austausch auf europäischer Ebene und als Schnittstelle für die weltweite Zusammenarbeit wurden in der gemeinsamen Sitzung folgende Vorschläge unterbreitet:

- Einrichtung einer europaweiten Datenbank ohne Spezifizierung des Trägers,

- Einrichtung einer Datenbank unter der Hoheit von EUROPOL,

- Schaffung einer europaweiten Koordinierungsstelle,

- Schaffung eines europäischen Observatoriums,

- Ausbau der nationalen Informationsstellen und deren verbesserte Vernetzung auf europäischer Ebene.

Von manchen Vertretern wurde die Schaffung neuer europäischer Einrichtungen ausdrücklich abgelehnt. Andere betonten, daß EUROPOL nur bei eindeutig kriminellen Machenschaften, die vom derzeitigen oder einem allenfalls nach Art.2 Abs.2 der Konvention erweiterten Mandat EUROPOL's erfaßt würden, eine Rolle zukommen sollte.

Ebenso wie der Mangel an verläßlichen quantitativen Angaben in der politischen und gesellschaftlichen Diskussion zu Über- und Unterschätzungen der Sektenproblematik führt, verleitet der Mangel an qualitativer Forschung zu Fehleinschätzungen. Der Zwischenbericht des deutschen Bundestages geht auf diese Wissens- und Forschungslücken genauer ein und sieht sie insb. in den Bereichen der erziehungswissenschaftlichen und psychologischen Forschung zu Kindern und Jugendlichen in Sekten und in der Erforschung der Wirkungsweisen von psychologischen und sozialpsychologischen Techniken der Verhaltensbeeinflußung.

Beratung

Mehrfach wurde darauf hingewiesen, daß es wünschenswert sei, zusätzlich zu Information und Aufklärung, Menschen, die aus Sekten aussteigen wollen und den Familienangehörigen konkrete Beratung und Hilfe anzubieten. Dies wird aber im wesentlichen als nationale Aufgabenstellung gesehen.

Rechtliches Instrumentarium

Allgemein wurde erachtet, daß die jeweiligen nationalen Rechtsordnungen ausreichende Handhabe gegen rechtswidriges Handeln von Sekten bieten. Eine spezifische Antisektengesetzgebung wird abgelehnt. Aufgrund des spezifischen Zusammenhalts von Sekten sei zwar die Anwendung und Durchsetzung der allgemeinen Vorschriften manchmal mit Problemen verbunden, diese könnten aber nur durch verbesserte Zusammenarbeit und verstärkte Aufklärung aller involvierten Behördenvertreter und eine genauere Anwendung bestehender Vorschriften gelöst werden. Wie insbesondere aus der deutschen Rechtsprechung und dem Bericht der französischen Nationalversammlung deutlich wird, liegt ein Ansatzpunkt darin, darauf zu achten, daß eine dem tatsächlichen Zweck gerecht werdende Organisationsform gewählt wird und genaue Angaben über Zwecke und Mittel einer Organisation verlangt und auch laufend überprüft werden. In Straf- und Zivilprozessen werde oft nur die individuelle Schuld und Verantwortung erkannt, der Zusammenhang mit von Sekten organisierten Aktivitäten werde oft nicht erforscht. In der gemeinsamen Sitzung wurden lediglich vom Vertreter des belgischen Parlaments Vorschläge zu einer Erweiterung der einschlägigen belgischen Straftatbestände zur Diskussion gestellt.

Während das bestehende Konsumentenschutzrecht in vielen Fällen auch auf die Beziehungen von Sekten zu ihren Kunden anwendbar sei, ergäbe sich hier aber auch die größte Regelungslücke im Hinblick auf den sog. "Psychomarkt". Diese Lücke zu schließen ist nicht vorwiegend wegen der auf diesem Markt anbietenden Sekten notwendig, - andere Anbieter überwiegen hier -, dies könnte aber auch einen besseren Schutz der Konsumenten vor einigen der im Zusammenhang mit Sekten als problematisch empfundenen Aktivitäten ermöglichen. Nach vorläufigen Erkenntnissen der EnqueteKommission des Deutschen Bundestags zum wachsenden "Psychomarkt" gibt es mittlerweile ca. 1.000 Ansätze, Methoden, Techniken und Verfahren. Der Esoterikbereich weist nach Schätzungen einen jährlichen Umsatz von 18 Mrd DM auf. Die Auflage von 40 größeren esoterischen Zeitschriften umfaßt 2,9 Millionen. Die Zahl der Anbieter im Esoterikbereich liegt mit 10.000 - 20.000 hoch im Vergleich zur Anzahl der niedergelassenen Nervenärzte, Psychiater, ärztlichen Psychotherapeuten und psychologischen Therapeuten[8]. Die Nachfrage nach Angeboten der Lebensberatung und Lebensbewältigung ist hoch (s.o). Für den Hilfesuchenden ist das Angebot therapeutischer und therapieähnlicher Verfahren und Techniken unüberschaubar und unüberprüfbar geworden. Der Anspruch des Verbrauchers auf Einhaltung beruflicher Standards und den Schutz vor mißbräuchlichen oder manipulativen Techniken und unangemessenen Vertragsbedingungen sei nicht sichergestellt.

Reaktionen von Rat und Kommission

Das Europäische Parlament hat in seinen Entschließungen vom 22. Mai 1984 und vom 29. Februar 1996 den Rat und die Kommission aufgefordert, verschiedene Maßnahmen zu treffen. Aus den Antworten auf einen aus Anlaß dieses Berichts versandten Fragebogen ist ersichtlich, daß weder Rat noch Kommission die Empfehlungen aufgegriffen haben.

Rat und Kommission wurden schriftlich gebeten, Auskunft darüber zu geben, welche konkreten Schritte unternommen wurden, um den Forderungen des Europäischen Parlaments Rechnung zu tragen. Die Kommission nahm in ihrer Antwort nur zu einem der genannten Punkte Stellung und konkrete Maßnahmen werden nicht genannt. Der Rat verwies in seiner Antwort nur auf Stellungnahme des Ratspräsidenten im Rahmen einer Aussprache im Europäischen Parlament vom 28. Februar 1996, in der verschiedene Aktivitäten angekündigt wurden. Allerdings sind offensichtlich seitdem keine weiteren Schritte unternommen worden.

Sekten in den MOEL

Sowohl in der gemeinsamen Sitzung als auch in der Fachliteratur wird darauf hingewiesen, daß in den MOEL ein besonderes Anwachsen von Sekten zu beobachten ist und daß die staatlichen Behörden im Umgang mit dem für sie neuen Problem überfordert sind. Nähere Angaben über diese Länder waren jedoch nicht zu finden.

  • [1] () ABl. C 078 vom 18.03.1996, S. 31.
  • [2] () ABl. C 172 vom 12.07.1984, S. 41.
  • [3] () Temas para el Debate, 32, 1997.
  • [4] () Zwischenbericht der Enquete - Kommission "Sogenannte Sekten und Psychogruppen", Deutscher Bundestag, Drucksache 1⅜170 vom Juli 1997, S 33 ff.
  • [5] () Zwischenbericht, S. 31.
  • [6] () Caberta/Träger, Scientology greift an (1997).
  • [7] () S. dazu die ausführlichen Beratungen der Enquete - Kommission des Deutschen Bundestags, Zwischenbericht S. 17.
  • [8] () Zwischenbericht, S. 37.