BERICHT über die Perspektiven für den Ausbau des zivilen Dialogs nach dem Vertrag von Lissabon

4.12.2008 - (2008/2067(INI))

Ausschuss für konstitutionelle Fragen
Berichterstatterin: Genowefa Grabowska

Verfahren : 2008/2067(INI)
Werdegang im Plenum
Entwicklungsstadium in Bezug auf das Dokument :  
A6-0475/2008
Eingereichte Texte :
A6-0475/2008
Aussprachen :
Angenommene Texte :

ENTWURF EINER ENTSCHLIESSUNG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS

zu den Perspektiven für den Ausbau des zivilen Dialogs nach dem Vertrag von Lissabon

(2008/2067(INI))

Das Europäische Parlament,

–   gestützt auf den am 13. Dezember 2007 in Lissabon unterzeichneten Vertrag von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft[1],

–   gestützt auf den Vertrag über die Europäische Union und den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft,

–   unter Hinweis auf seine Entschließung vom 20. Februar 2008 zum Vertrag von Lissabon[2],

–   unter Hinweis auf die verschiedenen Entschließungen zu Fragen der Zivilgesellschaft, die es in der laufenden Wahlperiode angenommen hat,

–   unter Hinweis auf seinen Workshop mit Vertretern von Organisationen der Zivilgesellschaft am 3. Juni 2008,

–   gestützt auf Artikel 45 seiner Geschäftsordnung,

–   in Kenntnis des Berichts des Ausschusses für konstitutionelle Fragen (A6-0475/2008),

A. in der Erwägung, dass eine demokratische und bürgernahe Europäische Union eine enge Zusammenarbeit der Institutionen der EU und der Mitgliedstaaten mit der Zivilgesellschaft auf europäischer, nationaler, regionaler und lokaler Ebene erfordert,

B.  in der Erwägung, dass die Offenheit der EU-Institutionen sowie der nationalen, regionalen und lokalen Behörden zum Dialog und zur Zusammenarbeit mit den Bürgern und den Organisationen der Zivilgesellschaft eine Grundvoraussetzung für deren Einbindung in die Rechtsetzung und Regierungsführung auf allen Ebenen ist,

C. in der Erwägung, dass mit dem Vertrag von Lissabon die Rechte der EU-Bürger gegenüber der Union gestärkt werden, indem den Bürgern und repräsentativen Vereinigungen der Zivilgesellschaft die Mitwirkung an der Debatte über ein „Europa der Bürger” erleichtert wird,

D. in der Erwägung, dass die derzeitigen Bestimmungen, die auch in den Vertrag von Lissabon aufgenommen worden sind, zwar einen unerlässlichen Rechtsrahmen für die Weiterentwicklung des zivilen Dialogs auf europäischer Ebene schaffen, ihre Ausführung jedoch nicht immer zufriedenstellend ist,

E.  in der Erwägung, dass sich die Zivilgesellschaft in den 27 Mitgliedstaaten in unterschiedlichen Entwicklungsstadien befindet und in unterschiedlichem Maße auf Möglichkeiten der Mitwirkung an der partizipatorischen Demokratie und an der Rechtsetzung sowie des Dialogs mit den jeweiligen nationalen, regionalen und lokalen Behörden zurückgreift,

F.  in der Erwägung, dass sich der Begriff „Zivilgesellschaft“ auf die zahlreichen Nichtregierungsorganisationen und gemeinnützige Organisationen bezieht, die aus eigenem Antrieb von Bürgern gegründet werden, im öffentlichen Leben präsent sind und die Interessen, Vorstellungen und Weltanschauungen ihrer Mitglieder oder anderer auf der Grundlage ethischer, kultureller, politischer, wissenschaftlicher, religiöser oder philanthroper Erwägungen zum Ausdruck bringen,

G. in der Erwägung, dass die Frage der Bestimmung des repräsentativen Charakters von Organisationen der Zivilgesellschaft kontrovers diskutiert wird und Aktivitäten und Effizienz einiger Organisationen im Hinblick auf die Durchsetzung ihrer Vorstellungen nicht immer dem Grad ihrer Repräsentativität entsprechen,

H. in der Erwägung, dass die einzelnen Institutionen der EU mit Blick auf den zivilen Dialog unterschiedliche Ansätze gewählt haben,

1.  würdigt den Beitrag der Europäischen Union zur Entwicklung des zivilen Dialogs sowohl auf europäischer als auch auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene;

2.  unterstreicht, dass die Zivilgesellschaft in Europa eine wichtige Rolle im Prozess der europäischen Integration spielt, indem sie Standpunkte und Forderungen von EU-Bürgern an die europäischen Institutionen heranträgt; hebt die Bedeutung des Sachverstands, der den Institutionen von Seiten der Zivilgesellschaft zur Verfügung gestellt wird, hervor und unterstreicht, wie wichtig es ist, Informationen über den zivilen Dialog bereitzustellen und für diesen Dialog zu sensibilisieren, insbesondere im Zusammenhang mit der Förderung der Tätigkeiten und Zielvorgaben der EU, der Schaffung europäischer Kooperationsnetze und der Stärkung der europäischen Identität und der Identifikation mit Europa innerhalb der Zivilgesellschaft;

3.  betont, dass zur Verwirklichung der politischen Ziele und Vorhaben der EU eine breitere öffentliche Debatte, ein effizienterer ziviler Dialog und eine Schärfung des politischen Bewusstseins erforderlich sind;

4.  verweist auf sein besonderes Engagement für den zivilen Dialog und auf die Bedeutung, die diesem Dialog im Vertrag von Lissabon eingeräumt wird, durch den er den Rang eines übergeordneten Grundsatzes erhält, der für sämtliche Tätigkeitsbereiche der EU gilt;

5.  begrüßt den Ausbau der repräsentativen und partizipatorischen Demokratie durch die im Vertrag von Lissabon vorgesehene Bürgerinitiative, die es einer Million Bürgern aus mehreren Mitgliedstaaten ermöglicht, die Kommission aufzufordern, einen Legislativvorschlag vorlegen;

6.  fordert die Institutionen der EU und die nationalen, regionalen und lokalen Behörden in den Mitgliedstaaten auf, die bestehenden Rechtsvorschriften und den Katalog bewährter Praktiken bestmöglich für die Entwicklung des Dialogs mit den Bürgern sowie den Organisationen der Zivilgesellschaft zu nutzen; vertritt insbesondere die Auffassung, dass die Informationsbüros des EP in jedem Mitgliedstaat eine aktive Rolle im Hinblick auf die Förderung, die Organisation und die Leitung von Foren übernehmen sollten, die mindestens ein Mal im Jahr zwischen dem Parlament und Vertretern der Zivilgesellschaft in dem betreffenden Mitgliedstaat stattfinden, und unterstreicht die Bedeutung der regelmäßigen Mitwirkung seiner Mitglieder sowohl aus dem betreffenden Mitgliedstaat als auch aus anderen Mitgliedstaaten in diesen Foren;

7.  fordert die Institutionen der EU auf, alle interessierten Vertreter der Zivilgesellschaft in den zivilen Dialog einzubinden; hält es in diesem Zusammenhang für wichtig, dass die Stimme der jungen Europäer, die die Europäische Union von morgen gestalten und für sie Verantwortung übernehmen werden, Gehör findet;

8.  fordert die Institutionen der EU auf, dafür zu sorgen, dass sich alle EU-Bürger – Frauen und Männer, junge und alte Menschen, städtische und ländliche Bevölkerung gleichermaßen – aktiv, ohne diskriminiert zu werden und gleichberechtigt am zivilen Dialog beteiligen können, wobei insbesondere dafür gesorgt werden muss, dass Angehörige sprachlicher Minderheiten die Möglichkeit haben, ihre Muttersprache in solchen Foren zu benutzen; weist darauf hin, dass die Rolle der EU auf diesem Gebiet darin bestehen sollte, zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichstellung der Geschlechter beizutragen und bei der Durchsetzung dieses Grundsatzes sowohl innerhalb als auch außerhalb der EU beispielgebend zu wirken;

9.  fordert die Institutionen der EU auf, in einer Interinstitutionellen Vereinbarung verbindliche Leitlinien für die Benennung von zivilgesellschaftlichen Vertretern sowie Methoden für die Ausgestaltung von Konsultationen und ihre Finanzierung zu beschließen und dabei den allgemeinen Grundsätzen und Mindeststandards für die Konsultation betroffener Parteien Rechnung zu tragen[3]; weist darauf hin, dass alle EU-Institutionen zu diesem Zweck aktuelle Register aller einschlägigen regierungsunabhängigen Organisationen unterhalten sollten unabhängig davon, ob sie in den Mitgliedstaaten aktiv sind und/oder sich auf die EU-Institutionen konzentrieren;

10. fordert die Institutionen der EU auf, den zivilen Dialog zu einer Querschnittsaufgabe für alle Generaldirektionen der Kommission, alle Ratsarbeitsgruppen im Ministerrat und alle Ausschüsse im Europäischen Parlament zu machen, dabei dem Transparenzgrundsatz Rechnung zu tragen und auf die Einhaltung eines ausgeglichenen Verhältnisses zwischen dem öffentlichen und dem privaten Sektor zu achten;

11. fordert die Institutionen der EU auf, zur Gewährleistung einer besseren Kommunikation, eines besseren Informationsflusses und einer besseren Koordinierung in Bezug auf ihre Maßnahmen zur Konsultation der Öffentlichkeit eine engere Zusammenarbeit beim Ausbau des zivilen Dialogs anzustreben und eine aktive europäische Einstellung unter den Bürgern der EU zu fördern; weist darauf hin, dass in diesem Zusammenhang regelmäßige Treffen zwischen der Zivilgesellschaft und Mitgliedern der Kommission in Foren innerhalb der Mitgliedstaaten in höchstem Maße wünschenswert wären, da sie die empfundene Kluft zwischen der EU und den Bürgern Europas verringern könnten;

12. fordert den Rat auf, den Zugang zu seinen Arbeiten zu erleichtern und zu vereinfachen, da dies eine Grundvoraussetzung für einen wirklichen Dialog mit der Zivilgesellschaft ist;

13. betont die Bedeutung der Entwicklung einer europäischen Kommunikationspolitik in Bezug auf die Bereitstellung neuer Mittel und Wege zur Kommunikation mit den Bürgern der EU (unter Nutzung des Internet sowie von E-Technologien und modernen audiovisuellen Technologien);

14. spricht sich für die Fortsetzung bestehender und bereits bewährter Maßnahmen der EU zur verstärkten Einbindung der Zivilgesellschaft in den Prozess der europäischen Integration aus, wie beispielsweise Europe by Satelite, Bürger-Agora, themenspezifische Bürgerforen (z. B. Your Europe), Diskussionen im Internet usw.;

15. verweist insbesondere auf die Bedeutung der Rolle professioneller Meinungsumfragen in Europa zur Identifikation und zum besseren Verständnis der Bedürfnisse und Erwartungen der EU-Bürger in Bezug auf die Funktionsweise der Union; fordert sowohl die EU-Institutionen als auch die Zivilgesellschaft in den Mitgliedstaaten mit Nachdruck auf, sich bei ihren Interaktionen und Debatten diese Erwartungen vor Augen zu halten;

16. fordert die nationalen, regionalen und lokalen Stellen in den Mitgliedstaaten zur Förderung des zivilen Dialogs auf, insbesondere in jenen Ländern und Regionen sowie in jenen Bereichen, in denen er noch nicht in vollem Maße entwickelt bzw. ausreichend umgesetzt worden ist; fordert diese Gremien ferner mit Nachdruck auf, aktiv die Entwicklung der regionalen Interaktivität der Zivilgesellschaft unter den Mitgliedstaaten und grenzüberschreitende Initiativen zu fördern; ist der Ansicht, dass der Aufbau von Clustern in den Mitgliedstaaten ebenfalls als Mittel zur Förderung des Austauschs von Ideen und Erfahrungen innerhalb der EU sondiert werden sollte;

17. fordert die Vertreter der europäischen Gesellschaft auf, sich aktiv in den zivilen Dialog und in die Gestaltung europäischer Programme und Politikfelder einzubringen, um auf diese Weise die Einflussnahme auf Beschlussfassungsprozesse zu ermöglichen;

18. ermutigt die Bürger der EU, sich verstärkt in die europäischen Debatten und Diskussionen einzubringen und sich an den bevorstehenden Wahlen zum Europäischen Parlament zu beteiligen;

19. weist darauf hin, dass für den Dialog mit den Bürgern auf allen Ebenen – der europäischen, der nationalen, der regionalen und der lokalen Ebene – angemessene finanzielle Mittel erforderlich sind, und fordert die an diesem Dialog beteiligten Akteure und die für ihn verantwortlichen Stellen auf, seine angemessene Finanzierung sicherzustellen;

20. betont, dass es neben dem Dialog mit der Zivilgesellschaft auch einen offenen, transparenten und regelmäßigen Dialog zwischen der Union und Kirchen und Glaubensgemeinschaften – wie im Vertrag von Lissabon vorgesehen – geben muss;

21. empfiehlt den Institutionen der EU, gemeinsam Informationen über Repräsentativität und Tätigkeitsfelder von zivilgesellschaftlichen Organisationen in Europa zur Verfügung zu stellen, zum Beispiel in einer öffentlichen und benutzerfreundlichen Datenbank;

22. fordert die Kommission auf, einen neuen Vorschlag für europäische Vereine zu unterbreiten, damit europäische zivilgesellschaftliche Organisationen auf eine gemeinsame Rechtsgrundlage zurückgreifen können;

23. beauftragt seinen Präsidenten auf, diese Entschließung den Parlamenten der Mitgliedstaaten, dem Rat, der Kommission, dem Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und dem Ausschuss der Regionen zu übermitteln.

  • [1]  ABl. C 306 vom 17.12.2007, S. 1.
  • [2]  Angenommene Texte, P6_TA(2008)0055.
  • [3]  Siehe die Mitteilung der Kommission vom 11. Dezember 2002 mit dem Titel „Hin zu einer verstärkten Kultur der Konsultation und des Dialogs - Allgemeine Grundsätze und Mindeststandards für die Konsultation betroffener Parteien durch die Kommission“ (KOM(2002)0704).

BEGRÜNDUNG

„Wir einigen keine Staaten, wir bringen Menschen einander näher“

Jean Monnet

Die Bürger der Europäischen Union erwarten von den Institutionen der EU, dass diese nicht über ihren Kopf hinweg entscheiden – „Nichts über uns ohne uns!“ Im Zuge der nachfolgenden Erweiterungen der EU hat sich nicht nur die Zahl der Mitgliedstaaten erhöht, sondern auch die Zahl der Bürger, für die die gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften gelten. Die EU ist ein Projekt, das einem kontinuierlichen Wandel unterliegt, allerdings hält die Kommunikation zwischen der Union und den Bürgern mit diesem Wandel bedauerlicherweise nicht Schritt. So entstand eine deutlich sichtbare Kommunikationslücke, die schließlich zur Ablehnung der Verfassung für Europa durch Franzosen und Niederländer und zur Ablehnung des Vertrags von Lissabon durch die Iren führte. Als Ergebnis der von den EU-Institutionen auf den Weg gebrachten Maßnahmen und Vorhaben scheint sich diese Kluft zu verkleinern. Die unternommenen Bemühungen zeigen, dass die konzertierte Einflussnahme auf die Entwicklung der partizipatorischen Demokratie, durch die europäische Fragen auf lokaler, regionaler, nationaler und supranationaler Ebene greifbar werden, möglich ist.

Seit den 1990er Jahren öffnen sich die europäischen Institutionen langsam, aber systematisch den Bürgern. Die Bedeutung der Zivilgesellschaft wird zunehmend anerkannt und der öffentlichen Meinung zunehmend Rechnung getragen. Der Dialog zwischen den europäischen Institutionen und regierungsunabhängigen Organisationen wurde in einem breiten Spektrum von Politikbereichen der EU geführt und erhielt die Bezeichnung zivilgesellschaftlicher Dialog.

Dennoch besteht für die EU bei der Kommunikation und vor allem beim zivilgesellschaftlichen Dialog erheblicher Nachholbedarf. Selbstverständlich kann das europäische Projekt nicht ohne die Bürger verwirklicht werden; eine eingeschränkt funktionsfähige Demokratie ist ohne angemessene Kommunikation mit der Öffentlichkeit undenkbar. Gleichzeitig lassen sich das Engagement und die Unterstützung der Öffentlichkeit für die EU nur mit der Bereitstellung umfassender Informationen, einer offenen und dynamischen Debatte und einer aktiven Einbindung der Öffentlichkeit in die Angelegenheiten der EU sicherstellen, wobei der Grundsatz gilt: „Alle Bürgerinnen und Bürger haben das Recht, am demokratischen Leben der Union teilzunehmen. Die Entscheidungen werden so offen und so bürgernah wie möglich getroffen.“ (Artikel 10 des Vertrags über die Europäische Union).

Das wichtigste Ziel des vorliegenden Berichts besteht darin, auf die wichtige Rolle und die Bedeutung des zivilen Dialogs innerhalb der Europäischen Union aufmerksam zu machen, insbesondere im Kontext des Vertrags von Lissabon, die neuen Formen eines solchen Dialogs und die mit ihm gebotenen Chancen aufzuzeigen und die Notwendigkeit klarer und transparenter Regeln für das Führen eines solchen Dialogs auf europäischer Ebene zu betonen.

Im Vertrag von Lissabon wird dem zivilen Dialog der Status eines Grundprinzips beigemessen, an dem sämtliche Politiken und Tätigkeitsbereiche der EU ausgerichtet werden (Titel II – Bestimmungen über die demokratischen Grundsätze – des EU-Vertrags, insbesondere dessen Artikel 11). Allerdings kann es keinen zivilen Dialog ohne die aktive Mitwirkung der Zivilgesellschaft geben. Aus diesem Grund hat die Berichterstatterin im Juni 2008 im EP ein Seminar zu den Aussichten für den Ausbau des zivilen Dialogs nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon veranstaltet. Das Seminar, an dem zahlreiche Vertreter der Zivilgesellschaft teilnahmen, wurde ein großer Erfolg. Die auf dem Seminar formulierten Denkanstöße dienten unter anderem als Grundlage für den vorliegenden Bericht.

Weder in rechtlicher noch in verwaltungspraktischer Hinsicht verfügt die EU über eine einheitliche und allgemein anwendbare Definition für den zivilen Dialog. Außer einigen wenigen Dokumenten der Kommission über Konsultationen und die Kommunikationspolitik in der EU[1] gibt es keine Regeln, die die Struktur, den Rahmen oder die methodische Durchführung des zivilen Dialogs regeln. Das Verständnis für den Wesenskern des zivilen Dialogs wird durch die unterschiedlichen Ansätze der EU-Institutionen zusätzlich erschwert. In diesem Zusammenhang sind große Vorbehalte geäußert worden, z. B. was den repräsentativen Charakter der zur Teilnahme am Dialog eingeladenen Nichtregierungsorganisationen, den fehlenden Zugang der Öffentlichkeit zu den Beratungen im Rat und das Übermaß an freiem Ermessen betrifft, das insbesondere die Kommission im Hinblick auf die Art und Weise der Führung des Dialogs genießt.

Die Berichterstatterin hält es deshalb für wichtig, dass der zivile Dialog auf der Ebene der EU klar definiert (bzw. beschrieben) wird und dass Regeln zur Frage der Repräsentativität von Teilnehmern aus der Zivilgesellschaft festgelegt werden.

Dem Grundsatz der Repräsentativität könnte am besten damit Genüge getan werden, indem in den zivilen Dialog die Organisationen der Zivilgesellschaft eingebunden werden, mit denen sich die Öffentlichkeit identifiziert und die am besten – d. h. auf umfassendste und kompetenteste Weise – ihre Interessen vertreten. Der Erfolg des zivilen Dialogs wird gerade von diesem Grundsatz der Repräsentativität abhängen, mit anderen Worten von der Einbindung aller wichtigen Akteure in den vom Dialog erfassten Bereichen (EU-Institutionen; nationale, regionale und lokale Behörden; europäische Parteien; regierungsunabhängige Organisationen und andere Vertreter der Zivilgesellschaft).

Der zivile Dialog ist von seiner Natur her zweiseitig und gegenseitig. Es reicht also nicht aus, dass die EU die Bürger nur über ihre Tätigkeiten unterrichtet; sie muss auch die Zeit finden, auf die öffentliche Meinung zu hören. Die Öffentlichkeit muss die Gewähr erhalten, dass ihre Vorstellungen und Belange ernst genommen und von den Institutionen der EU berücksichtigt werden. Außerdem macht es der Grundsatz der Gegenseitigkeit erforderlich, dass die Teilnehmer eine Rückmeldung zu den Maßnahmen erhalten, die aufgrund der während des Dialogs formulierten Vorschläge ergriffen worden sind. Diese sollte den Sozialpartnern einen größeren Einfluss auf die innerhalb der der EU gefassten Beschlüsse verschaffen.

Darüber hinaus muss bei der Auswahl von Partnern ein Ausgleich zwischen dem öffentlichen und privaten Sektor geschaffen werden, und Vertreter von sozialen Organisationen und Sachverständige müssen gleich behandelt werden.

Grundsatz der Transparenz. Bei der Auswahl der zur Teilnahme am Dialog einzuladenden Parteien sollten die Institutionen der EU mit der größtmöglichen Transparenz vorgehen. Mit Blick darauf schlägt die Berichterstatterin vor, dass unter anderem systematisch Listen der Organisationen, die an Konsultationen mitgewirkt und ihre Ansichten und Anregungen unterbreitet haben, veröffentlicht werden. Bei der Einleitung von Konsultationen sollte die Union einen EU-Ansprechpartner für Vertreter zivilgesellschaftlicher Organisationen benennen.

Zum anderen sollten die regierungsunabhängigen Organisationen (auf europäischer wie auf nationaler Ebene) im Zusammenhang mit Beschlüssen, die im Rahmen von EU-Politiken gefasst werden, klar und offen angeben, wen und wessen Interessen sie vertreten. Dies wird es ermöglichen, Lobbyisten von wirklichen Vertretern der Zivilgesellschaft zu unterscheiden.

Regeln für die Abhaltung des zivilen Dialogs

An dieser Stelle sollte auf die im Jahre 2002 von der Kommission veröffentlichte Mitteilung mit dem Titel „Hin zu einer verstärkten Kultur der Konsultation und des Dialogs“ verwiesen werden; darin werden die Grundprinzipien für die Durchführung von Konsultationen der Öffentlichkeit durch die Kommission festgelegt. In der Mitteilung wird unterstrichen, dass sämtliche Zivilgruppen in Konsultationen eingebunden werden sollten, dass sie alle Informationen erhalten sollten, die sie brauchen, um in der Lage zu sein, ihre Standpunkte zu den Dokumenten bzw. Vorhaben darzulegen, zu denen sie konsultiert werden, und dass sie in jedem Falle die Bestätigung erhalten sollten, dass ihre Standpunkte bei dem konsultierenden Gremium eingegangen sind. Diese Grundsätze betreffen in erster Linie qualitative Aspekte des Prozesses der Konsultation und des Dialogs, doch der Rahmen und die Verfahren für den Dialog finden keine Erwähnung. Die Berichterstatterin wünscht deshalb, dass sich die Kommission erneut mit den Grundsätzen befasst und sie den jeweiligen Erfordernissen anpasst, damit sie zu gemeinsamen Grundsätzen für sämtliche Organe werden.

Den nationalen, regionalen und lokalen Behörden kommt zweifelsohne die wichtigste Rolle bei der Unterstützung und der Förderung des zivilen Dialogs zu, insbesondere bei der Einbindung der Öffentlichkeit in diesen Dialog. Die Öffentlichkeit sollte auf allen drei Ebenen konsultiert werden, und ihre Ansichten – insbesondere zu europäischen Themen, sollten an die EU-Institutionen weitergeleitet werden. Dementsprechend schlägt die Berichterstatterin vor, dass nationale, regionale und lokale Behörden angehalten werden, für den zivilen Dialog zu werben und darauf zurückzugreifen, wenn immer diese möglich ist. Indem die EU-Bürger zu Teilnehmern eines solchen Dialogs werden, werden sie sich an die Praxis der partizipatorischen Demokratie gewöhnen und eine wirkliche Chance haben, ihre Rechte wahrzunehmen.

Mit Blick auf das Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon sollte besonders auf die Bestimmungen über die Bürgerinitiative (eine Million Unterschriften) aufmerksam gemacht werden; im Rahmen des Verfahrens der Bürgerinitiative kann der Kommission ein Legislativvorschlag unterbreitet werden. Die einschlägigen Vorschriften werden es allen am demokratischen Leben der EU Beteiligten (einzelnen Bürgern und regierungsunabhängigen Organisationen) ermöglichen, der Union die an sie gerichteten Erwartungen klar und formell vorzutragen.

Mit Blick auf die Gewährleistung eines effektiveren zivilen Dialogs möchte die Berichterstatterin außerdem auf Folgendes aufmerksam machen:

1.   Offenheit seitens des Rates: Ein verbesserter und vereinfachter Zugang zu den Dokumenten des Rates ist für den effektiven Dialog mit der Zivilgesellschaft von zentraler Bedeutung. Darüber hinaus sollten die Informationen über die Arbeit der verschiedenen Arbeitsgruppen dem Europäischen Parlament und der Zivilgesellschaft besser zugänglich gemacht werden.

2.   Engere und bessere institutionelle Zusammenarbeit bei Konsultationen der Zivilgesellschaft: Es muss insbesondere eine gemeinsame Plattform für die Zusammenarbeit zwischen dem Parlament und der Kommission geschaffen werden, an der auch der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss und der Ausschuss der Regionen beteiligt sind.

3.   Neue Kanäle, Methoden und Möglichkeiten für die Kommunikation mit den Bürgern und engere Zusammenarbeit mit den Medien: Die neuen Technologien (digitale Technologien, Internet) sollten aktiv bei der Errichtung von Informationskanälen eingesetzt werden. In dieser Hinsicht sind in Bezug auf die Medien beträchtliche Fortschritte erzielt worden, unter anderem mit der Inbetriebnahme des Kanals Europe by Satellite.

Um die Reaktionen der europäischen Öffentlichkeit (hier handelt es sich angesichts des Einflusses nationaler Standpunkte und politischer Überzeugungen um eine besonders komplexe Thematik) vorherzusagen und zu verstehen, müssen Mechanismen wie beispielsweise europäische Think-Tanks geschaffen werden, um die öffentlichen Erwartungen und Trends der öffentlichen Meinung zu analysieren.

4.   Finanzierung: Damit ein wirklicher ziviler Dialog möglich ist, müssen angemessene Finanzmittel bereitgestellt werden. In diesem Zusammenhang möchte die Berichterstatterin auf die Verordnung der EU über Parteien und Stiftungen aufmerksam machen; diese Verordnung ist das Ergebnis der ersten Stufe von Plan B und spielt eine wichtige Rolle bei der Einbindung der Bürger in einen kontinuierlichen und substanziellen Dialog, der wirklich diesen Namen verdient.

Insbesondere während der Kampagne im Vorfeld der Europawahlen 2009 muss auf europäische Themen aufmerksam gemacht werden. Die EU-Bürger müssen darauf vertrauen können, dass die Abgabe ihrer Stimme bei den Wahlen (über die Mitglieder, die sie wählen) ihnen ein wichtiges Mitspracherecht bei der Beschlussfassung in der EU gibt, insbesondere im Zusammenhang mit Beschlüssen, die ihr Alltagsleben betreffen. Sie müssen außerdem fest daran glauben können, dass die europäischen Institutionen in Fragen, die sie berühren, keine Beschlüsse fassen werden, ohne sie zuerst zu konsultieren (d. h. ohne die Einleitung eines zivilen Dialogs). Die für die Wahlen im Jahre 2009 zweckbestimmten Finanzmittel der EU sind deshalb eindeutig eine ausgezeichnete Investition in die Ausweitung der partizipatorischen Demokratie.

Jede Form von finanzieller Unterstützung – so begrenzt sie auch sein mag – für regierungsunabhängige Organisationen, die auf nationaler Ebene tätig sind, kann – in Abhängigkeit von dem nationalen Kontext (unter besonderer Berücksichtigung nationaler Traditionen, Erfahrungen und organisatorischer Kapazitäten) – die Mechanismen des zivilen Dialogs beträchtlich stärken.

Abschließend möchte die Berichterstatterin mit Nachdruck fordern, dass eine breite Unterstützung für die Maßnahmen des zivilen Dialogs geleistet wird, die ein Erfolg gewesen sind und die sich auf europäischer Ebene fest etabliert haben (z. B. die Agora, ein Forum für den Dialog zwischen den Bürgern und dem Parlament); außerdem fordert sie neue gemeinsame und interinstitutionelle Maßnahmen und Vorhaben auf dem Gebiet der europäischen Kommunikationspolitik.

  • [1]  Siehe die nachstehenden Dokumente der Kommission: Weißbuch über eine europäische Kommunikationspolitik (KOM (2006) 35); Plan D für Demokratie, Dialog und Diskussion (KOM(2005) 494); Aktionsplan für eine bessere Kommunikationsarbeit der Kommission zu Europa (SEK(2005) 985); Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über das Programm „Bürger/innen für Europa” für den Zeitraum 2007-2013 zur Förderung einer aktiven europäischen Bürgerschaft (KOM(2005) 116); Hin zu einer verstärkten Kultur der Konsultation und des Dialogs - Allgemeine Grundsätze und Mindeststandards für die Konsultation betroffener Parteien durch die Kommission (KOM(2002)0704); Weißbuch über das Regieren (Governance) in der Europäischen Union, 2001.

ERGEBNIS DER SCHLUSSABSTIMMUNG IM AUSSCHUSS

Datum der Annahme

2.12.2008

 

 

 

Ergebnis der Schlussabstimmung

+:

–:

0:

10

1

0

Zum Zeitpunkt der Schlussabstimmung anwesende Mitglieder

Jim Allister, Richard Corbett, Andrew Duff, Maria da Assunção Esteves, Anneli Jäätteenmäki, Aurelio Juri, Íñigo Méndez de Vigo, Johannes Voggenhuber, Andrzej Wielowieyski

Zum Zeitpunkt der Schlussabstimmung anwesende Stellvertreter(innen)

Georgios Papastamkos, Jacek Protasiewicz, György Schöpflin