Medikamentenengpässe in der EU: Ursachen und Lösungen
Werden durch das Coronavirus die Arzneimittel knapp? Warum gibt es Lieferengpässe und was will das Parlament dagegen tun?
Engpässe bei Medikamenten und medizinischer Ausrüstung stellen ein ernstzunehmendes Risiko für Patienten dar und setzen nationale Gesundheitssysteme unter Druck. Die Ausbreitung des Coronavirus hat das bereits bekannte Problem der Medikamentenknappheit in Europa noch verschärft.
Im April 2020 warnte die European University Hospital Alliance, ein Zusammenschluss von neun der wichtigsten Universitätskliniken Europas, davor, dass die Vorräte an Anästhetika, Antibiotika und Medikamenten, die als mögliche Therapien gegen Corona getestet werden, aufgrund des erhöhten Bedarfs auf Intensivstationen bald nicht mehr ausreichen könnten. Produktionsausfälle, logistische Probleme, Ausfuhrverbote und Hamsterkäufe sind weitere Faktoren für potenzielle Engpässe während der Covid-19-Krise.
Das Europäische Parlament hat am 17. September 2020 eine Entschließung angenommen, in der gefordert wird, Europas Unabhängigkeit im Gesundheitsbereich abzusichern. Die Versorgung soll gewährleistet, die lokale pharmazeutische Produktion gefördert und nationale Gesundheitsstrategien auf EU-Ebene besser koordiniert werden.
Warum werden Medikamente knapp?
Medikamentenlieferengpässe haben sich in der EU zwischen 2000 und 2018 verzwanzigfacht. Nach Angaben der Kommission sind insbesondere weitverbreitete, "essenzielle" Medikamente betroffen.
Über 50 %
Bei mehr als der Hälfte der nicht lieferbaren Medikamente handelt es sich um Mittel zur Krebstherapie, Antiinfektiva (Impfstoffe) und Arzneimittel zur Behandlung von Erkrankungen des Nervensystems (Epilepsie, Parkinson).
Medikamentenengpässe beruhen auf vielen Ursachen. Dazu zählen Probleme bei der Herstellung, Parallelimporte (bei denen Preisunterschiede von Medikamenten in EU-Ländern ausgenutzt werden, um Profit zu machen), Quoten, steigende Nachfrage aufgrund von Epidemien oder Naturkatastrophen und Preispolitik.
Außerdem ist die EU zunehmend von Drittländern, hauptsächlich von China und Indien, abhängig, wenn es um die Herstellung von Wirkstoffen, chemischen Substanzen und Medikamenten geht.
Welche Lösungen schlägt das Parlament vor?
In ihrer Entschließung begrüßen die EU-Abgeordneten das neue EU-Gesundheitsprogramm "EU4Health", das darauf abzielt, die Verfügbarkeit von Medikamenten und medizinischem Gerät zu verbessern. Sie treten jedoch für noch mehr Maßnahmen auf EU-Ebene ein, um die Pharmaproduktion in Europa zu fördern und Mindestqualitätsstandards im Gesundheitsbereich festzulegen.
Außerdem fordern die Abgeordneten:
- Schaffung finanzieller Anreize für Unternehmen, pharmazeutische Wirkstoffe in Europa zu produzieren, und Prüfung ausländischer Direktinvestitionen in Produktionsbetriebe;
- Einrichtung einer europäischen strategischen Reserve an Arzneimitteln, im Stile einer "europäischen Notfallapotheke", um das Risiko von Engpässen zu verringern;
- Austausch bewährter Praktiken bei der Lagerhaltung;
- Förderung der gemeinsamen Beschaffung von Medikamenten auf EU-Ebene;
- Vereinfachung des Arzneimittelverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten.
Bereits 2017 forderte das Parlament in einer Entschließung mehr Transparenz bei den Kosten von Forschung und Entwicklung, öffentlicher Finanzierung und Marketingausgaben.
Im April legte die EU-Kommission Leitlinien vor, um sicherzustellen, dass Menschen in Europa während des Covid-19-Ausbruchs Zugang zu unentbehrlichen Arzneimitteln haben. Sie rief die Mitgliedstaaten auf, Exportverbote aufzuheben und eine Bevorratung zu vermeiden, die Produktion zu steigern oder neu zu organisieren, die optimale Verwendung von Arzneimitteln in Krankenhäusern zu fördern und die Arzneimittelausgabe in Apotheken zu verbessern.
EU-Arzneimittelstrategie
Die Kommission wird voraussichtlich 2022 eine Aktualisierung des Arzneimittelrechts vorschlagen. Im November 2021 legte das Europäische Parlament eine Reihe von Empfehlungen vor. Die Abgeordneten forderten kürzere Zulassungszeiten durch die nationalen Agenturen und eine Angleichung an die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA), um einen schnellen und gleichberechtigten Zugang zu Arzneimitteln in der EU sicherzustellen.
Sie forderten die Kommission auf, die Ursachen der Arzneimittelknappheit anzugehen und nachhaltige Lösungen vorzuschlagen, einschließlich der rechtzeitigen Markteinführung von Generika. Das Parlament betont die Notwendigkeit, die Produktions- und Versorgungssicherheit in der EU zu stärken sowie die Transparenz der Preise und der öffentlichen Finanzierung von Forschung und Entwicklung zu erhöhen.
Weitere Informationen
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Verfahrensschritte
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- EPRS Briefing
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Europäische Arzneimittel-Agentur: Medikamentenengpässe (Katalog)
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Pressemitteilung (Europäische Kommission): Coronavirus: Kommission ruft Mitgliedstaaten dazu auf, die Arzneimittelversorgung und -verfügbarkeit zu optimieren (8.4.2020)
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