Die jiddische Sprache und Kultur und ihr Schicksal in Europa nach dem Holocaust

Briefing 19-01-2022

Jiddisch ist eine Sprache, die einst von Jüdinnen und Juden in einem Gebiet gesprochen wurde, das sich vom Elsass bis zum Ural erstreckte, und von den lokalen Sprachen und Kulturen beeinflusst wurde und wiederum auf diese Einfluss ausübte. Sie war im 20. Jahrhundert der Auslöschung nahe, als sie die Mehrheit ihrer Sprecherinnen und Sprecher hauptsächlich – aber nicht nur – durch den Holocaust verlor. Jiddisch ist Teil der europäischen Volkskultur, es hat zu den Werken großer Schriftstellerinnen und Schriftsteller und Musikerinnen und Musiker beigetragen und die europäische Kultur im allgemeineren Sinn erweitert. Durch aufeinander folgende Wellen jüdischer Migration, ausgelöst durch Armut, Verfolgung, Pogrome, Stalinismus und Nazismus, Krieg und alle Formen von Antisemitismus, wurde die jüdische Bevölkerung in ganz Europa drastisch verringert und damit auch die Zahl der Sprecherinnen und Sprecher des Jiddischen. Der Holocaust – der im Jiddischen als „Khurbn“ (Zerstörung) bezeichnet wird – war ein ethnischer und kultureller Säuberungsprozess, der darauf ausgerichtet war, jegliche Spur jüdischen Lebens, einschließlich des Jiddischen, einer Sprache, die als „schlechtes Deutsch“ wahrgenommen wurde, aus der europäischen Kultur zu tilgen. Einige Überlebende des Holocaust versuchten, ihr Vorkriegsleben wiederherzustellen und kultivierten ihre Sprache und Kultur. Traumatisiert durch den Krieg wollten andere einen Neubeginn, häufig weit weg von der Heimat, und ihre Kinder wollten sich anpassen und die lokale Sprache sprechen. Da der Gebrauch des Jiddischen weiterhin abnimmt, die Sprecherinnen und Sprecher desselben älter werden und seine Weitergabe unter den Generationen unterbrochen wurde, hat die UNESCO Jiddisch auf die Liste der gefährdeten Sprachen gesetzt. Es steht jedoch noch nicht fest, dass das Jiddische das Schicksal einer toten oder verstummenden Sprache erleiden wird. Traditionelle jüdische Gemeinden, hauptsächlich in Israel und Nord- und Südamerika, aber auch in Europa, verwenden noch immer Jiddisch und tragen zur jiddischen Kultur bei. Außerdem erlebt das Jiddische als Sprache und Kultur unter jungen, säkularen Jüdinnen und Juden und der nichtjüdischen Bevölkerung eine Renaissance, und es gibt in Europa und darüber hinaus Kurse in jiddischer Sprache und Kultur, jiddische Studien und Festivals mit traditioneller jüdischer Klezmer-Musik im Überfluss. Ob das ausreichen wird, um dieses europäische Erbe lebendig zu erhalten, und was die Rolle der EU dabei sein könnte, diese einst so blühende europäische Kultur wieder zum Leben zu erwecken, muss sich noch erweisen.