Das Subsidiaritätsprinzip
Für die Bereiche, die nicht in die ausschließliche Zuständigkeit der Union fallen, wird mit dem im Vertrag über die Europäische Union verankerten Subsidiaritätsprinzip festgelegt, unter welchen Umständen die Union befugt ist, vor den Mitgliedstaaten tätig zu werden.
Rechtsgrundlage
Artikel 5 Absatz 3 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) und das Protokoll (Nr. 2) über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit.
Ziele
Die Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit bestimmen die Ausübung der Zuständigkeiten der Europäischen Union. In den Bereichen, die nicht in die ausschließliche Zuständigkeit der EU fallen, soll das Subsidiaritätsprinzip die Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit der Mitgliedstaaten schützen und das Tätigwerden der Union legitimieren, wenn die Ziele einer Maßnahme „wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen“ von den Mitgliedstaaten nicht ausreichend verwirklicht werden können, sondern auf Unionsebene besser zu verwirklichen sind. Durch die Aufnahme des Subsidiaritätsprinzips in die europäischen Verträge soll auch sichergestellt werden, dass die Befugnisse im Einklang mit dem in Artikel 10 Absatz 3 EUV verankerten Grundsatz der Bürgernähe so bürgernah wie möglich ausgeübt werden.
Errungenschaften
A. Ursprung und historische Entwicklung
Das Subsidiaritätsprinzip wurde durch den 1992 unterzeichneten EUV offiziell verankert: Mit dem EUV wurde ein Verweis auf das Subsidiaritätsprinzip in den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) aufgenommen. Durch die 1986 unterzeichnete Einheitliche Europäische Akte war die Subsidiaritätsregel allerdings bereits im Umweltbereich eingeführt worden, ohne dass sie ausdrücklich als solche bezeichnet wurde. Das Gericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften hielt in seinem Urteil vom 21. Februar 1995, T-29/92, fest, dass das Subsidiaritätsprinzip vor Inkrafttreten des Vertrags über die Europäische Union keinen allgemeinen Rechtsgrundsatz darstellte, anhand dessen die Rechtmäßigkeit der Gemeinschaftshandlungen zu prüfen war.
Ohne den Wortlaut des Subsidiaritätsprinzips im neu nummerierten Artikel 5 Absatz 2 des EGV zu ändern, wurde diesem Vertrag durch den 1997 unterzeichneten Vertrag von Amsterdam das „Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit“ (im Folgenden „Protokoll von 1997“) beigefügt. Die zuvor außervertraglich im Gesamtkonzept für die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips (Europäischer Rat von Edinburgh von 1992) vereinbarten Anwendungsregeln sind damit rechtlich bindend und überprüfbar geworden.
Durch den 2007 unterzeichneten Vertrag von Lissabon zur Änderung des EUV und des EGV wurde das Subsidiaritätsprinzip in Artikel 5 Absatz 3 EUV verankert und die entsprechende Bestimmung des EGV aufgehoben, wobei der Wortlaut jedoch beibehalten wurde. Hinzugefügt wurde auch ein expliziter Verweis auf die regionale und lokale Dimension des Subsidiaritätsprinzips. Zudem wurde durch den Vertrag von Lissabon das Protokoll von 1997 durch ein neues Protokoll Nr. 2 ersetzt, dessen wichtigste Änderung die Rolle der nationalen Parlamente bei der Kontrolle der Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips darstellt (1.3.5).
B. Begriffsbestimmung
Allgemeiner Sinn und Zweck des Subsidiaritätsprinzips ist es, einer untergeordneten Behörde gegenüber einer ihr übergeordneten Behörde bzw. einer lokalen Gebietskörperschaft gegenüber der Zentralgewalt ein bestimmtes Maß an Unabhängigkeit zu sichern. Es geht also um die Aufteilung von Zuständigkeiten zwischen verschiedenen Verwaltungsebenen. Dieser Grundsatz bildet die institutionelle Grundlage von Staaten mit föderaler Struktur.
Im Rahmen der EU dient das Subsidiaritätsprinzip als Maßgabe zur Regelung der Ausübung der nicht ausschließlichen Zuständigkeiten der Union. Ein Tätigwerden der Union ist damit ausgeschlossen, wenn eine Angelegenheit auf nationaler, regionaler oder lokaler Ebene durch die Mitgliedstaaten selbst effizient geregelt werden kann. Die Union wird damit ermächtigt, ihre Befugnisse ausschließlich dann auszuüben, wenn die Ziele einer in Betracht gezogenen Maßnahme von den Mitgliedstaaten nicht ausreichend verwirklicht werden können und die Maßnahme auf der Ebene der Union zu einem Mehrwert führen kann.
Nach Artikel 5 Absatz 3 EUV gelten für ein Tätigwerden der Organe der Union unter Anwendung des Subsidiaritätsprinzips drei Voraussetzungen: a) der betreffende Bereich fällt nicht in die ausschließliche Zuständigkeit der Union (d. h. nicht ausschließliche Zuständigkeit), b) die Ziele der vorgeschlagenen Maßnahmen können von den Mitgliedstaaten nicht ausreichend verwirklicht werden (d. h. Notwendigkeit), c) die Maßnahme kann aufgrund ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen durch ein Tätigwerden seitens der Union besser verwirklicht werden (d. h. Mehrwert).
C. Geltungsbereich
1. Die Abgrenzung der Zuständigkeiten der Union
Das Subsidiaritätsprinzip gilt nur in jenen Bereichen, in denen die Zuständigkeit zwischen der Union und den Mitgliedstaaten geteilt ist. Mit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon wurden die auf die Union übertragenen Zuständigkeiten genauer abgegrenzt: So werden in Teil 1 Titel I des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) (der 2007 unterzeichnet wurde und 2009 in Kraft trat) die Zuständigkeiten der Union in drei Kategorien untergliedert (ausschließliche Zuständigkeiten, geteilte Zuständigkeiten und Maßnahmen zur Unterstützung) und die Bereiche aufgeführt, die in die drei Kategorien von Zuständigkeiten fallen.
2. Die Adressaten des Subsidiaritätsprinzips
Das Subsidiaritätsprinzip gilt für alle Organe der Union. Praktische Bedeutung hat die Regelung insbesondere im Rahmen der Gesetzgebungsverfahren. Durch den Vertrag von Lissabon wurde die Rolle der nationalen Parlamente und die Rolle des Gerichtshofs bei der Kontrolle der Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips gestärkt. Mit dem Vertrag von Lissabon wurde nicht nur ausdrücklich auf die subnationale Dimension des Subsidiaritätsprinzips verwiesen, sondern auch die Rolle des Europäischen Ausschusses der Regionen gestärkt und den nationalen Parlamenten die Möglichkeit eingeräumt, regionale Parlamente mit Legislativbefugnissen am „Frühwarnsystem“ zu beteiligen.
D. Kontrolle durch die nationalen Parlamente
Gemäß den Bestimmungen in Artikel 5 Absatz 3 sowie Artikel 12 Buchstabe b EUV sorgen die nationalen Parlamente dafür, dass das Subsidiaritätsprinzip gemäß dem im Protokoll Nr. 2 vorgesehenen Verfahren eingehalten wird. Im Zuge dieses Verfahrens („Frühwarnsystem“) können die nationalen Parlamente oder die Kammern eines dieser Parlamente binnen acht Wochen nach der Übermittlung des Entwurfs eines Gesetzgebungsaktes in einer begründeten Stellungnahme an die Präsidenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission darlegen, weshalb der Entwurf ihres Erachtens nicht mit dem Subsidiaritätsprinzip vereinbar ist. Gibt mindestens ein Drittel der nationalen Parlamente (eine Stimme je Kammer bei Zweikammerparlamenten und zwei Stimmen bei Einkammerparlamenten) begründete Stellungnahmen ab, muss der Entwurf überprüft werden („gelbe Karte“). Das Organ, das den Entwurf des Gesetzgebungsaktes verfasst hat, kann beschließen, an dem Entwurf festzuhalten, ihn zu ändern oder ihn zurückzuziehen, wobei dieser Beschluss zu begründen ist. Bei Vorschriften im Bereich der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen liegt die Schwelle niedriger (ein Viertel der Stimmen). Bestreitet im Rahmen des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens mindestens die einfache Mehrheit der Stimmen aller nationalen Parlamente die Übereinstimmung eines Legislativvorschlags mit dem Subsidiaritätsprinzip und beschließt die Kommission, an ihrem Vorschlag festzuhalten, wird er den beiden gesetzgebenden Organen (Parlament und Rat) vorgelegt, die in erster Lesung Stellung nehmen. Sind die beiden gesetzgebenden Organe der Ansicht, dass der Legislativvorschlag nicht mit dem Subsidiaritätsprinzip im Einklang steht, können sie ihn mit der Mehrheit von 55 Prozent der Mitglieder des Rates oder einer Mehrheit der abgegebenen Stimmen im Europäischen Parlament ablehnen („orangefarbene Karte“).
Das Verfahren der „gelben Karte“ wurde bislang dreimal ausgelöst, während das Verfahren der „orangefarbenen Karte“ noch nie zum Einsatz gekommen ist. Im Mai 2012 gab es erstmals eine „gelbe Karte“ für einen Vorschlag der Kommission für eine Verordnung betreffend die Ausübung des Rechts auf Durchführung kollektiver Maßnahmen im Kontext der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit („Monti II“)[1] . Insgesamt waren zwölf der 40 nationalen Parlamente oder Parlamentskammern der Ansicht, dass der Vorschlag inhaltlich nicht mit dem Subsidiaritätsprinzip vereinbar sei. Die Kommission zog schließlich ihren Vorschlag zurück, war aber dennoch der Ansicht, dass kein Verstoß gegen das Subsidiaritätsprinzip vorlag. Im Oktober 2013 erteilten 14 nationale Parlamentskammern in 11 Mitgliedstaaten dem Vorschlag für eine Verordnung über die Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft[2] eine weitere „gelbe Karte“. Nach Auswertung der begründeten Stellungnahmen der nationalen Parlamente entschloss sich die Kommission dazu, den Vorschlag beizubehalten[3], und führte an, dass er mit dem Subsidiaritätsprinzip vereinbar sei. Im Mai 2016 erteilten 14 Parlamentskammern in 11 Mitgliedstaaten dem Vorschlag zur Änderung der Richtlinie über die Entsendung von Arbeitnehmern[4] eine dritte „gelbe Karte“. Die Kommission gab eine ausführliche Begründung[5] für die Aufrechterhaltung ihres Vorschlags, in der sie geltend machte, dass es sich bei der Entsendung von Arbeitnehmern definitionsgemäß um einen grenzüberschreitenden Sachverhalt handle und daher nicht gegen das Subsidiaritätsprinzip verstoßen werde.
Mit der Konferenz der Ausschüsse für Unionsangelegenheiten der Parlamente der Europäischen Union (COSAC) steht eine nützliche Plattform zur Verfügung, über die sich die nationalen Parlamente über Informationen im Hinblick auf die Subsidiaritätskontrolle austauschen können. Darüber hinaus wird der Austausch von Informationen zwischen regionalen und lokalen Gebietskörperschaften und den Unionsorganen durch das Netz für Subsidiaritätskontrolle, das vom Europäischen Ausschuss der Regionen verwaltet wird, erleichtert. Zu den Mitgliedern des Netzes für Subsidiaritätskontrolle gehören die regionalen Parlamente und Regierungen mit Gesetzgebungsbefugnissen, die regionalen und lokalen Gebietskörperschaften ohne Gesetzgebungsbefugnisse sowie die Gemeindeverbände in der EU. Zudem steht es nationalen Delegationen des Europäischen Ausschusses der Regionen und der Kammern der nationalen Parlamente offen.
E. Konferenz zur Zukunft Europas
Im März 2017 errichtete die Kommission im Rahmen der Agenda für bessere Rechtsetzung und vor allem der Debatte über die Zukunft Europas, die durch das Whitepaper von Kommissionspräsident Juncker angestoßen worden war, eine spezielle Taskforce für Subsidiarität, Verhältnismäßigkeit und „Weniger, aber effizienteres Handeln“. Die Taskforce soll 1. Empfehlungen für eine bessere Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit abgeben, 2. Politikbereiche ermitteln, in denen Tätigkeiten an die EU-Mitgliedstaaten delegiert oder endgültig zurückübertragen werden könnten, und 3. Möglichkeiten finden, um regionale und lokale Gebietskörperschaften besser in die Gestaltung und Umsetzung der EU-Politik einzubinden.
Auf der Grundlage der Empfehlungen der Taskforce veröffentlichte die Kommission im Oktober 2018 ihr Subsidiaritätspaket, mit dem die Rolle der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit in der Politikgestaltung der EU gestärkt werden soll. Eine der wichtigsten Empfehlungen der Taskforce, die berücksichtigt wurden, bestand darin, ein Raster für die Bewertung der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit in die Leitlinien der Kommission für bessere Rechtsetzung aufzunehmen und dieses in Folgenabschätzungen, Evaluierungen und Begründungen zur Darstellung der Erkenntnisse der Kommission zu verwenden.
Die Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit standen im Rahmen der Konferenz über die Zukunft Europas im Mittelpunkt, entsprechend der von den Präsidenten des Parlaments, des Rates und der Kommission unterzeichneten Gemeinsamen Erklärung zur Konferenz über die Zukunft Europas.
F. Gerichtliche Überprüfung
Die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips kann im Nachhinein (nach Annahme des Gesetzgebungsaktes) im Wege einer Klage vor dem Gerichtshof der Europäischen Union überprüft werden. Das ist auch im Protokoll dargelegt. Die Organe der Union verfügen bei der Anwendung dieses Prinzips jedoch über einen weiten Ermessensspielraum. In seinen Urteilen in den Rechtssachen C-84/94 und C-233/94 stellte der Europäische Gerichtshof fest, dass die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips zu den Umständen zählt, die von der Begründungspflicht gemäß Artikel 296 AEUV erfasst werden. Die Begründungspflicht wird dann erfüllt, wenn aus den Erwägungen hervorgeht, dass das Prinzip beachtet wurde. In einem Urteil aus der jüngeren Vergangenheit (Rechtssache C-547/14, Philipp Morris, Rn. 218) bekräftigte der Gerichtshof, dass er zu prüfen habe, „ob der Unionsgesetzgeber aufgrund detaillierter Angaben davon ausgehen durfte, dass das mit der in Betracht gezogenen Maßnahme verfolgte Ziel auf Unionsebene besser verwirklicht werden konnte“. In Bezug auf Verfahrensgarantien und insbesondere auf die Begründungspflicht zur Subsidiarität wies der Gerichtshof darauf hin, dass „die Einhaltung der Begründungspflicht nicht nur anhand des Wortlauts des angefochtenen Rechtsakts, sondern auch anhand seines Kontexts und der Umstände des Einzelfalls zu beurteilen ist“ (Rn. 225).
Die Mitgliedstaaten können im Namen ihres nationalen Parlaments oder einer seiner Kammern im Einklang mit ihrer Rechtsordnung eine Nichtigkeitsklage wegen Verstoßes eines Gesetzgebungsakts gegen das Subsidiaritätsprinzip erheben. Auch der Europäische Ausschuss der Regionen kann solche Gerichtsverfahren gegen Gesetzgebungsakte einleiten, wenn gemäß dem AEUV seine Anhörung vorgesehen ist.
Rolle des Europäischen Parlaments
Der Vorschlag für das Subsidiaritätskonzept ging vom Parlament aus, das am 14. Februar 1984 bei der Annahme des Entwurfs des Vertrags über die Europäische Union eine Bestimmung vorschlug, nach der in den Fällen, in denen durch den Vertrag eine mit den Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten konkurrierende Zuständigkeit auf die Union übertragen wird, die Mitgliedstaaten dort tätig werden dürfen, wo die Union nicht regelnd eingegriffen hat. Außerdem wurde in dem Vorschlag hervorgehoben, dass die Union nur Aufgaben übernehmen soll, die gemeinsam wirksamer als von getrennt handelnden Einzelstaaten bewältigt werden können.
Das Europäische Parlament griff diese Vorschläge in einer Vielzahl von Entschließungen wieder auf (z. B. in den Entschließungen vom 23. November 1989, 14. Dezember 1989, 12. Juli 1990, 21. November 1990 und 18. Mai 1995), in denen es sein Eintreten für das Subsidiaritätsprinzip bekräftigte.
A. Interinstitutionelle Vereinbarungen
Das Parlament hat eine Reihe von Maßnahmen angenommen, um seiner Rolle im Rahmen der Verträge bei der Anwendung des Subsidiaritätsprinzips gerecht zu werden. In Artikel 43 seiner Geschäftsordnung ist Folgendes dargelegt: „Bei der Prüfung eines Vorschlags für einen Rechtsakt achtet das Parlament insbesondere darauf, dass dieser Vorschlag die Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit einhält.“ Der Rechtsausschuss ist der parlamentarische Ausschuss, der mit übergreifender Zuständigkeit für die Überwachung der Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips verantwortlich ist. In diesem Zusammenhang erstellt er regelmäßig einen Bericht über die von der Kommission verfassten Jahresberichte zu Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit.
Am 25. Oktober 1993 haben der Rat, das Parlament und die Kommission eine interinstitutionelle Vereinbarung[6] unterzeichnet, in der der Wille der drei Organe zu einem entschlossenen Vorgehen in diesem Bereich deutlich zum Ausdruck gebracht wird. Sie verpflichten sich damit zur Beachtung des Subsidiaritätsprinzips. In dieser Vereinbarung werden durch Verfahren für die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips die Einzelheiten der den Organen der Union durch die Verträge übertragenen Zuständigkeiten festgelegt, damit die in den Verträgen vorgesehenen Ziele verwirklicht werden können. Die Kommission verpflichtete sich dazu, dem Subsidiaritätsprinzip Rechnung zu tragen und seine Beachtung zu begründen und zu rechtfertigen. Gleiches gilt im Rahmen der ihnen übertragenen Befugnisse für das Parlament und den Rat.
Gemäß der Interinstitutionellen Vereinbarung vom 13. April 2016 zwischen dem Europäischen Parlament, dem Rat der Europäischen Union und der Europäischen Kommission über bessere Rechtsetzung (mit der die Vereinbarung vom Dezember 2003 und das Gemeinsame Interinstitutionelle Konzept für die Folgenabschätzung vom November 2005 ersetzt wurden) muss die Kommission die vorgeschlagenen Maßnahmen in der Begründung im Hinblick auf das Subsidiaritätsprinzip rechtfertigen und diesem Grundsatz in ihren Folgenabschätzungen Rechnung tragen. Gemäß der Rahmenvereinbarung vom 20. November 2010[7] verpflichten sich das Parlament und die Kommission darüber hinaus zur Zusammenarbeit mit den nationalen Parlamenten, um so die Ausübung der mit dem Subsidiaritätsprinzip verbundenen Kontrollbefugnis durch die nationalen Parlamente zu erleichtern.
B. Entschließungen des Europäischen Parlaments
Bereits in seiner Entschließung vom 13. Mai 1997[8] hob das Parlament den rechtsverbindlichen Charakter des Subsidiaritätsprinzips hervor und wies gleichzeitig darauf hin, dass durch die Umsetzung des Prinzips weder die Ausübung der ausschließlichen Zuständigkeiten der Union behindert noch der gemeinschaftliche Besitzstand infrage gestellt werden darf. In seiner Entschließung vom 8. April 2003[9] fügte das Parlament hinzu, dass die Beilegung von Streitigkeiten vorzugsweise auf politischer Ebene erfolgen soll; Berücksichtigung sollen dabei die Vorschläge des Konvents zur Zukunft Europas finden, für die nationalen Parlamente im Bereich der Subsidiarität ein „Frühwarnsystem“ einzurichten. Dieses Frühwarnsystem wurde in den Vertrag von Lissabon aufgenommen (siehe oben und 1.3.5).
In seiner Entschließung vom 13. September 2012[10] begrüßte das Parlament die verstärkte Beteiligung der nationalen Parlamente an der Kontrolle der Legislativvorschläge unter dem Gesichtspunkt der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit und schlug vor, Maßnahmen zu prüfen, mit denen etwaige Hindernisse für die Beteiligung der nationalen Parlamente an der Kontrolle der Subsidiarität beseitigt werden können.
Das Parlament stellte in seiner Entschließung vom 18. April 2018[11] fest, dass die Zahl der mit Gründen versehenen Stellungnahmen der nationalen Parlamente stark angestiegen ist, was deutlich macht, dass ihre Beteiligung am Entscheidungsprozess der Union zunimmt. Es begrüßte auch das Interesse der nationalen Parlamente, durch die Anwendung des Verfahrens der „grünen Karte“ eine aktivere Rolle einzunehmen. In diesem Zusammenhang empfahl es, die bestehenden Instrumente, die es den nationalen Parlamenten ermöglichen, am Rechtsetzungsverfahren teilzunehmen, in vollem Umfang zu nutzen, ohne noch komplexere Verwaltungsstrukturen und langwierige Verfahren zu schaffen.
In seiner Entschließung vom 13. Februar 2019 zum Stand der Debatte über die Zukunft Europas[12] wies das Parlament darauf hin, dass den lokalen Gebietskörperschaften und insbesondere den regionalen Parlamenten mit Legislativbefugnissen eine grundlegende Rolle zukommt. Außerdem nahm es die Empfehlungen der Taskforce für Subsidiarität, Verhältnismäßigkeit und „Weniger, aber effizienteres Handeln“ zur Kenntnis, wies jedoch darauf hin, dass viele dieser Empfehlungen, insbesondere in Bezug auf die Rolle der nationalen Parlamente und im Hinblick auf die notwendige Reform des Frühwarnsystems, bereits vom Parlament hervorgehoben wurden.
In seiner Entschließung vom 24. Juni 2021[13] wies das Parlament darauf hin, dass etwa 70% der EU-Rechtsvorschriften von den lokalen und regionalen Gebietskörperschaften umgesetzt und angewendet werden, und forderte die Kommission auf, sie besser in ihre Konsultationsverfahren einzubeziehen und das „Modellraster“ zu integrieren, um während des gesamten Beschlussfassungsprozesses die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit zu bewerten. Zudem hob das Parlament hervor, dass die nationalen Parlamente aufgrund der derzeitigen Struktur des Verfahrens der Subsidiaritätskontrolle übermäßig viel Zeit für technische und rechtliche Bewertungen mit kurzen Fristen aufbringen, was dem Ziel einer vertieften politischen Diskussion über die europäische Politik zuwiderläuft.
Eeva Pavy