Ungefähr ein Drittel des EU-Haushalts wird für Regionalpolitik ausgegeben, der damit eine Schlüsselfunktion in der Politik der Europäischen Union zukommt. Die Unterstützung der Regionen beruht auf dem Gedanken des "wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts", wonach Haushaltsmittel in die weniger wohlhabenden Gebiete Europas fließen, um die regionalen Ungleichgewichte abzubauen. Das Europäische Parlament hat diese Politik stets rückhaltlos unterstützt und sie als einen Eckstein der europäischen Integration betrachtet. Heute jedoch sieht sich die Regionalpolitik infolge der Erweiterung bedeutenden Herausforderungen gegenüber.
Neue Straßen, Brücken und Eisenbahnverbindungen sind von entscheidender Bedeutung, um die abgelegenen ländlichen Regionen Europas zu entwickeln. Im Niedergang befindliche Industriegebiete sind ebenfalls auf Investitionen angewiesen, um neue Industriezweige zu fördern und Arbeitskräfte umzuschulen. In ärmeren Regionen für mehr Wohlstand zu sorgen, ist insofern von Vorteil, als sie in die Lage versetzt werden, zur Gesamtwirtschaft beizutragen, und ihnen geholfen wird, die Landflucht und die Überbevölkerung der städtischen Gebiete einzudämmen. Wie kann die Europäische Union die erforderlichen Mittel bereitstellen?
Die EU verfügt derzeit über vier Strukturfonds (für ihre soziale, landwirtschaftliche und regionale Entwicklung und die Fischereipolitik), um die ärmsten Regionen zu unterstützen. Diese Fonds werden einer Gesamtstrategie untergeordnet, die noch bis Ende 2006 läuft und die vorrangig drei Ziele verfolgt. Bei Ziel 1, auf das der Großteil der Mittel entfällt, wird in unterentwickelte Regionen investiert, definiert als Regionen mit einem Pro-Kopf-BIP von weniger als 75% des EU-Durchschnitts (das betrifft derzeit ungefähr 50 Regionen, in denen 22% der Bevölkerung der Union leben). Bei Ziel 2 wird die Umstrukturierung in Gebieten unterstützt, die vom Niedergang traditioneller Industrien betroffen sind (industrielle, ländliche, städtische oder Fischereiregionen), in denen 18% der EU-Bevölkerung leben. Bei Ziel 3 konzentriert man sich auf die Modernisierung der Berufsbildungssysteme und die Beschäftigungsförderung. Gelder aus den Strukturfonds wurden verwendet, um eine Reihe von Projekten zu finanzieren, wie die kilometerlange neue Brücke über den Tejo bei Lissabon, den neuen internationalen Flughafen bei Athen, die Eisenbahnverbindung Helsinki-St. Petersburg und das Schienennahverkehrssystem von Manchester.
Nach dem Muster der Strukturfonds wurde 1993 ein Kohäsionsfonds eingerichtet, um Umwelt- und Verkehrsvorhaben in Mitgliedstaaten mit einem Pro-Kopf-BIP von weniger als 90% des EU-Durchschnitts (Irland, Griechenland, Spanien und Portugal) zu unterstützen. 1999 wurde ein Strukturpolitisches Instrument zur Vorbereitung auf den Beitritt (ISPA) geschaffen, um den osteuropäischen Bewerberländern zu helfen, der EU beizutreten (einschließlich Bulgarien und Rumänien), die Mitgliedstaaten vorzubereiten und ihre Umwelt- und Verkehrsinfrastruktur zu verbessern. Die zehn neuen Mitgliedstaaten, einschließlich Zypern und Malta, wurden ab 1. Januar 2004 vier Monate vor dem offiziellen Beitritt zur EU, für beihilfeberechtigt für die Strukturfonds und den Kohäsionsfonds erklärt.
Die regionalpolitischen Befugnisse des Parlaments
Im Laufe der Jahre erhielt das Parlament neue Befugnisse in diesem Bereich: Seit dem Vertrag von Maastricht von 1993 wurde seine "Zustimmung" für die allgemeinen Regeln über die Inanspruchnahme der Strukturfonds eingeholt. Dies bedeutet, dass die MdEP die vorgeschlagenen Regeln wohl akzeptieren oder ablehnen können, jedoch keinerlei Änderungen vorschlagen können. Der Amsterdamer Vertrag von 1999 weitete die Befugnisse des Parlaments aus, indem er das "Mitentscheidungsverfahren" für die Annahme der spezifischen Rechtsvorschriften für die einzelnen Fonds vorschrieb. Demnach kann das Parlament mit dem Rat aushandeln, welche Projektbereiche in den Anwendungsbereich der Fonds einbezogen werden sollten. Die Kommission muss dem Parlament alle drei Jahre über die Fortschritte berichten, die in Bezug auf den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt erreicht wurden, und das Parlament selbst verfasst Jahresberichte über die verschiedenen Fonds. Die Abgeordneten verschaffen sich dadurch immer mehr Gehör und nutzen verstärkt ihre Befugnisse, um dieses entscheidende Politikfeld zu gestalten.
Die Abgeordneten unterstützen höhere Ausgaben für regionale Beihilfen
Das Parlament hat stets den Grundsatz der finanziellen Solidarität mit den weniger entwickelten und abgelegenen Regionen der EU befürwortet, um den Trend hin zu einer immer stärkeren Konzentration von Wirtschaftstätigkeit, Arbeitsplätzen und Bevölkerung in den wohlhabenderen, zentralen und städtischen Regionen umzukehren. Die MdEP vertreten daher die Ansicht, dass die regionalen Beihilfen ein Herzstück der EU-Politik bleiben müssen, und wenden sich gegen alle Versuche, sie zu "renationalisieren". Wiederholt forderten sie, dass ausreichende Mittel für die Strukturfonds bereitgestellt werden und dass mehr Geld für Regionalpolitik ausgegeben wird und wiesen darauf hin, dass im Vorfeld der Erweiterung "kühne politische Entscheidungen" getroffen werden müssen.
Diese Auffassung wird von Michel Barnier, dem für Regionalpolitik zuständigen Kommissionsmitglied, geteilt; dieser gab kürzlich seinen Plan für eine Kohäsionspolitik in einer erweiterten Union für den Zeitraum 2007-2013 bekannt, der eine 30%ige Aufstockung der Ausgaben für die Regionen beinhaltet. Der Kommissar stellt sich ein auf eine Schlacht um die Mittel mit einigen Mitgliedstaaten, die meinen, dass bei den Regionalausgaben die Zügel gestrafft werden sollten. Dies könnte das heißeste Thema in der bevorstehenden Diskussion über den künftigen EU-Haushalt werden.
In den letzten Jahren hat das Parlament diverse andere Themen im Zusammenhang mit dem wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt hervorgehoben. Die Abgeordneten haben auf die weiter bestehenden Ungleichheiten innerhalb einzelner Mitgliedstaaten und den mangelnden Erfolg, die Arbeitslosigkeit abzubauen, aufmerksam gemacht. Sie haben auf eine bessere Abstimmung der Strukturfonds mit anderen Gemeinschaftspolitiken und Instrumenten, wie der Europäischen Beschäftigungsstrategie und dem Kohäsionsfonds gedrängt, und sie beharren darauf, dass den Regionen in äußerster Randlage, Inseln und Bergregionen besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden muss. Nach den Wünschen des Parlaments sollte auch mehr Nachdruck auf Innovation, Humankapital und Technologie sowie Gleichstellung der Geschlechter gelegt werden, beispielsweise durch spezifische Programme zur Schaffung von Arbeitsplätzen für Frauen.
Der Ausbau größerer Verkehrswege - bekannt als die Transeuropäischen Netze oder TEN -, die die EU im Innern und mit ihren Nachbarn verbinden, wurde seit jeher als zentraler Bereich der Regionalpolitik betrachtet. Dennoch haben die Abgeordneten stets darauf hingewiesen, dass mehr Investitionen insbesondere in Eisenbahnprojekte erforderlich sind, damit die EU mehr tut als nur ein Lippenbekenntnis zu einem nachhaltigen Verkehrswesen abzulegen, und zwar durch eine Verlagerung vom Straßengüterverkehr auf die Schiene. Insbesondere wäre ihrer Ansicht nach eine besondere Anstrengung erforderlich, um das europäische Hochgeschwindigkeitseisenbahnnetz auszubauen, so dass der Bedarf an neuen Verkehrswegen im Zuge der Erweiterung gedeckt werden kann.
In der Theorie müssen Länder, die EU-Gelder aus den Strukturfonds bekommen, auch für einen bestimmten Anteil der Projektmittel aufkommen. Die Abgeordneten haben darauf hingewiesen, dass dieses Prinzip nicht immer beachtet wird und dass es keine Sanktionen gibt, wenn Mitgliedstaaten Verstöße begehen. Erst kürzlich haben sie eine bessere finanzielle und allgemeine Verwaltung der Fonds gefordert, und insbesondere die Auffassung vertreten, dass die Kommission die Qualität der Projekte verbessern und ihre Verwaltung genau überwachen sollte, mit mehr Kontrollen vor Ort und Umweltverträglichkeitsprüfungen.
Erweiterung
Dem Parlament ist es genau so wie Kommissar Barnier ein Anliegen, kontinuierliche Unterstützung für Regionen zu gewährleisten, die derzeit für Beihilfen im Rahmen von Ziel 1 der Strukturfonds in Frage kommen, jedoch unter dem "Statistikeffekt" der Erweiterung leiden werden, d.h. sie werden die Förderschwelle von 75% des Pro-Kopf-BIP in der EU überschreiten, sobald die neuen und überwiegend ärmeren Mitgliedstaaten dazukommen. Ungefähr 18 Regionen - vor allem in Spanien, Griechenland, Ostdeutschland und Portugal - werden betroffen sein. In mehreren Berichten, die vom Ausschuss für Regionalpolitik des Parlaments ausgearbeitet wurden, wird die Auffassung vertreten, dass die Erweiterung keinen Nachteil für die ärmeren Regionen der derzeitigen EU-Mitgliedstaaten bedeuten darf. Danach muss ein Ausgleich gefunden werden, um auf der einen Seite dem Bedarf der Beitrittsländer gerecht zu werden und geeignete Übergangsregelungen für die derzeitigen ärmeren Gebiete der EU zu finden.
In einem Bericht wurde vorgeschlagen, dass zusätzlich zu dem BIP-Kriterium weitere Indikatoren, insbesondere die Arbeitslosenquote, berücksichtigt werden sollten. Die MdEP begrüßen deshalb die Pläne der Kommission, Übergangsbeihilfen für heutige Ziel 1-Regionen bereitzustellen, die nach der Erweiterung nicht mehr förderungsberechtigt sind.
Schlussendlich wird die Regionalpolitik nach Ansicht des Europäischen Parlaments eine noch wichtigere Rolle in der Union spielen, wie sie nach der Erweiterung Gestalt annimmt. Sie wird eine der Schlüsselstrategien darstellen, um die sich vermutlich noch verschärfenden Ungleichgewichte zu bekämpfen, und dem Wachstum und der Integration der weniger entwickelten Gebiete Auftrieb zu geben. Die Regionalpolitik wird ein entscheidender Faktor sein, wenn es darum geht, eine größere, aber weniger einheitliche Europäische Union zu einer solidarischen und weltweit wettbewerbsfähigen Gemeinschaft zu entwickeln.
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