In den 15 Mitgliedstaaten, die die Europäische Union vor ihrer Erweiterung umfasste, verlieren jährlich mehr als 40.000 Menschen im Straßenverkehr ihr Leben, gut 1,7 Million weitere erleiden Verletzungen - gleich ob Fußgänger, Radfahrer, Passagiere oder Kraftfahrer. In der Hoffnung, die Zahl der Opfer zu verringern, hat das Europäische Parlament eine Reihe von Rechtsvorschriften verabschiedet, deren Inhalte von der Gestaltung der Frontpartie von Fahrzeugen über die Arbeitszeiten von LKW-Fahrern bis hin zur Sicherheit von Straßentunneln reichen.
Während die Entwicklung von Kraftfahrzeugen in den vergangenen Jahren durchaus zu einem deutlich besseren Schutz für Fahrzeuginsassen geführt hat, wurde der Sicherheit von Fußgängern nicht hinreichend Beachtung geschenkt. Jährlich kommen in der Gemeinschaft, vor allem in Städten, 8.000 Fußgänger und Radfahrer bei Verkehrsunfällen ums Leben, weitere 300.000 erleiden Verletzungen. Selbst bei verhältnismäßig geringer Geschwindigkeit können Fahrzeuge Fußgängern oder Radfahrern, vor allem Kindern, schwere oder gar tötliche Verletzungen zufügen.
Im Jahr 2001 schloss die Kommission Verhandlungen mit europäischen, japanischen und koreanischen Automobilherstellern über eine freiwillige Vereinbarung ab, deren Ziel es ist, die Stoßstangen und Motorhauben von PKW und leichten Nutzfahrzeugen so zu verändern, dass der Aufprall für Fußgänger und andere ungeschützte Verkehrsteilnehmer im Kollisionsfall erheblich gemindert wird. Die EU beschloss daraufhin, verbindliche Rechtsvorschriften zu verabschieden, die sich auf die Hauptelemente dieser freiwilligen Vereinbarung stützen.
Neue Fahrzeugtypen müssen nun in zwei Etappen eine Reihe von Prüfungen bestehen, wobei die erste Etappe am 1. Oktober 2005 und die zweite - mit strengeren Prüfmaßstäben - am 1. September 2010 beginnt. Bei den Prüfungen wird der Aufprall der Stoßstange bzw. der Motorhaube eines Fahrzeugs, das mit einer Geschwindigkeit von 40 km/h fährt, auf die Beine oder den Kopf des Opfers gemessen. Dabei sind Frontpartien von Kraftfahrzeugen so zu gestalten, dass bestimmte Grenzwerte beim Aufprall nicht überschritten werden. Neue Fahrzeuge, die diesen Kriterien nicht genügen, dürfen nach den Stichtagen für die beiden Prüfetappen - dem 31. Dezember 2012 für die erste und dem 31. Dezember 2015 für die zweite Etappe - nicht mehr auf den Markt gebracht werden.
Das Europäische Parlament sprach sich für die Rechtsvorschriften aus, unterstrich jedoch, dass sie nur als ein Element eines umfangreicheren Maßnahmenpakets zur Erhöhung der Sicherheit ungeschützter Verkehrsteilnehmer betrachtet werden sollten, in dessen Erarbeitung Gemeinschaft, Industrie und nationale Behörden gleichermaßen einzubeziehen sind. Auf Druck der Abgeordneten sieht die Richtlinie vor, dass die Kommission prüft, ob die Bestimmungen auch auf größere Fahrzeuge, d.h. Großtransporter, Busse und kleine Nutzfahrzeuge ausgeweitet werden können.
Kein Einschlafen mehr am Steuer
An zahlreichen Unfällen auf europäischen Straßen waren Fernfahrer und Busfahrer beteiligt, die zu lange hinterm Steuer gesessen hatten. Obwohl seit 1993 EU-weit einheitliche Bestimmungen zur Arbeitszeit gelten, die eine Arbeitswoche von maximal 48 Stunden vorschreiben, waren für die Transportindustrie Ausnahmeregelungen vorgesehen. Dies soll sich ab März 2005 ändern, wenn die Rechtsvorschriften über die Begrenzung der Arbeitszeit auch für die 6,5 Millionen Beschäftigten im Straßentransport gelten. Das bedeutet, dass Bus- und LKW-Fahrer nicht länger als sechs Stunden hintereinander ohne Ruhepausen arbeiten dürfen und dass Nachtarbeit in einem Zeitraum von jeweils 24 Stunden zehn Stunden nicht überschreiten darf.
Das Europäische Parlament hat sich ebenso entschlossen wie erfolgreich dafür eingesetzt, dass diese strikten Regeln auch für selbständige Kraftfahrer gelten, deren Anteil bei etwa 40% liegt. Die Mitglieder des Europäischen Parlaments befürchteten, dass Arbeitnehmer in großer Zahl in die Selbständigkeit wechseln würden, wenn die Bestimmungen nur auf bei Transportunternehmen beschäftigte Kraftfahrer Anwendung fänden. Dadurch würden die Bestrebungen der EU untergraben, Kraftfahrern ein besseres Arbeitsleben zu ermöglichen und gleichzeitig die Sicherheit auf den Straßen zu erhöhen. Dank der Bemühungen des Parlaments werden ab 2009 für selbständige Kraftfahrer dieselben Bestimmungen gelten wie für ihre angestellten Kollegen.
Mehr Sicherheit in Straßentunneln
Kurz vor Ablauf der Legislaturperiode wurde im Parlament noch ein Vorschlag für einen Rechtsakt angenommen, der darauf ausgerichtet ist, die Straßen - in dem Fall Straßentunnel - sicherer zu machen. Einige der schlimmsten Unfälle, über die man in den letzten Jahren in den Zeitungen lesen konnte, hatten sich in langen Straßentunneln wie dem Mont-Blanc- und dem Tauerntunnel im Jahr 1999 und dem Gotthardtunnel im Jahr 2001 ereignet. Diese Alpentunnel werden von zahlreichen Lastkraftwagen befahren, die mitunter feuergefährliche Ladung führen - und Feuer kann sich nach einer Kollision oder einer Explosion rasch ausbreiten.
In den neuen Rechtsvorschriften, die die EU vor diesem Hintergrund erarbeitet hat, sind Mindeststandards für die Sicherheit der Infrastruktur, den Tunnelbetrieb, das Verkehrsmanagement und die Störfallbeherrschung in allen bestehenden and künftigen Tunneln mit einer Länge von mehr als 500 Metern im Transeuropäischen Straßennetz festgelegt. Bestehende Tunnel müssen erforderlichenfalls saniert werden, um den neuen strukturellen und technischen Standards zu genügen. Sämtliche in die Tunnel einfahrenden LKW und Busse müssen mit Feuerlöschern ausgestattet sein. Eine bessere Beschilderung und andere Informationen sollten eine Evakuierung der Tunnel im Katastrophenfall erleichtern.
Die Abgeordneten begrüßten die Kernvorschläge, konnten jedoch unter anderem hinischtlich der Bestimmungen betreffend Fluchtwege, Lüftungssysteme, Beleuchtung und Gefälle eine ganze Reihe technischer Änderungen durchsetzen, die auf Erkenntnissen von Fachleuten hauptsächlich aus Alpenländern wie Deutschland, Österreich, der Schweiz und Italien beruhen. Das Parlament stellte ferner sicher, dass die Rechtsvorschriften den Bedürfnissen Behinderter, beispielsweise hinsichtlich der Gestaltung der Notausgänge, stäker Rechnung trägt. Die neuen Bestimmungen, die über einen Zeitraum von zehn Jahren umgesetzt werden sollen, werden für 512 Straßentunnel, hauptsächlich in Österreich und Italien, gelten.
Von den verschiedenen Rechtsvorschriften, an deren Fertigstellung das Europäische Parlament in den vergangenen fünf Jahren mitgewirkt hat, erhofft man sich mehr Sicherheit für alle Verkehrsteilnehmer auf europäischen Straßen. Es bleibt jedoch noch viel zu tun, und die im Juni 2004 gewählten Mitglieder des neuen Parlaments werden sich mit einer Reihe legislativer Vorschläge zu beschäftigen haben, die im Rahmen der Bestrebungen der EU, die Zahl der Verkehrsopfer bis 2010 auf die Hälfte zu reduzieren, bereits in Vorbereitung sind.
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