Offenheit und leichter Zugang zu Informationen der öffentlichen Hand sind ein Kernstück der Lebensfähigkeit von Demokratien. Ohne diese Bestandteile können Regierungen und öffentliche Verwaltungen nicht zur Rechenschaft gezogen werden. Der Vertrag von Amsterdam bestimmte daher 1999, dass alle Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union ein "Recht auf Zugang" zu EU-Dokumenten haben sollen. Dementsprechend war auch das Europäische Parlament gehalten, alle Hindernisse zu beseitigen, um diesen Grundsatz rechtsgültig umzusetzen.
Als im Januar 2000 den Mitgliedern des Europäischen Parlaments der von der Europäischen Kommission vorgeschlagene Gesetzesentwurf über den Zugang der Öffentlichkeit zu EU-Dokumenten zur Kenntnis gebracht wurde, waren sie zutiefst enttäuscht. Bis dahin waren die drei betroffenen Organe – Parlament, Rat und Kommission – auf der Grundlage freiwilliger Verfahren vorgegangen, um der Öffentlichkeit Informationen zugänglich zu machen, die neuen Rechtsvorschriften muteten dagegen an wie ein Schritt rückwärts.
Zu viele Ausnahmen
Das Parlament beschloss, dass die Zahl der von der Kommission vorgeschlagenen Ausnahmen, d.h. Fälle, in denen Dokumente der Öffentlichkeit vorenthalten werden können, erheblich gesenkt werden solle. Dabei widersetzte es sich besonders gegen Ausnahmeregelungen mit der Begründung, dass "die effektive Arbeit der Organe" untergraben werden könnte, ebenso widersetzte es sich einer Ausnahmeregelung für eine breite Palette interner Dokumente. Dabei hatten die MdEP allerdings Verständnis dafür, dass die Kommission nicht bereit war, jeden – brillanten oder flatterhaften – Gedanken, den ein Beamter im Rahmen politischer Entscheidungsprozesse zu Papier bringt oder in einem E-Mail niederlegt, der Öffentlichkeit zugänglich machen zu müssen. Deshalb erklärten sie sich damit einverstanden, dass die Kommission eine sogenannte Bedenkzeit erhalten solle; die Idee eines allgemeinen Verzeichnisses, das es gerechtfertigt hätte, nahezu jedes Dokument geheim zu halten, lehnten sie dagegen ab.
Im November 2000 nahm das Parlament einschneidende Veränderungen am ursprünglichen Kommissionsvorschlag vor. Der nächste Schritt des Gesetzgebungsverfahrens bestand darin, dass der Vorschlag den Regierungen der EU im Rahmen einer Tagung des Ministerrats vorgelegt wurde. Einige Mitgliedstaaten waren dabei überaus ängstlich darauf bedacht, ein hohes Maß an Geheimhaltung in den Bereichen Außenpolitik und Gerichtswesen beizubehalten. Die Regierungen vertraten jedoch sehr unterschiedliche Auffassungen. Einige von ihnen verfügten nicht über eigene innerstaatliche Rechtsvorschriften über den Zugang der Öffentlichkeit zu Informationen, andere hingegen konnten auf eine lange Tradition an Offenheit und Transparenz zurückblicken. Letztlich gelang es dem Parlament, diese unterschiedlichen Standpunkte zu nutzen, um die Bandbreite der Dokumente, die der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden müssen, auszuweiten.
Geschickte Verhandlungsführung
Da das Parlament wusste, dass die Regierungen unterschiedliche Standpunkte vertraten, richtete es seine Verhandlungsposition so aus, dass es ihm gelingen konnte, innerhalb des Rates genügend Mitgliedstaaten auf seine Seite zu bringen. In diesem Prozess arbeitete das Parlament eng mit der schwedischen Regierung zusammen, die in den ersten sechs Monaten des Jahres 2001 den Vorsitz im EU-Ministerrat innehatte, und die starken Druck auf die übrigen Regierungen ausübte, um zu einer Vereinbarung zu gelangen.
Nachdem das Parlament eine Einigung mit dem Rat unter Dach und Fach hatte, willigte schließlich auch die Kommission in den Text ein. Dementsprechend wurde im Mai 2001 die Verordnung „über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission“ in geltendes Recht umgesetzt. Dies bedeutet im Klartext, dass nunmehr jeder Bürger die Möglichkeit hat, im Internet nachzusehen, welche Dokumente dieser drei Organe einsehbar sind. Dank der Arbeit des Parlaments gilt diese Verordnung auch für EU-Einrichtungen wie die Europäische Umweltagentur, die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht und die Europäische Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln. Die Definition von „Dokumenten“ betrifft nicht nur die von diesen Einrichtungen produzierten Dokumente, sondern auch diejenigen, die von Dritten stammen. Diese Dokumente können aus Texten auf Papier, aus elektronischen Informationen oder aus Ton-, Bild- oder audiovisuellem Material bestehen. Sogar eingestufte Dokumente können aufgeführt werden, sofern deren Urheber damit einverstanden ist.
Gründe für die Verweigerung der Einsichtnahme
Dokumente können über Internet oder schriftlich angefragt werden, wobei die Anfragen innerhalb von 15 Arbeitstagen beantwortet werden müssen. Wird der Zugang zu einem Dokument verweigert, so müssen hierfür Gründe angeführt werden. Der Antragsteller kann dabei beantragen, dass ein abgelehnter Antrag erneut geprüft wird. Wird dem Antrag auch dann nicht stattgegeben, so kann der Antragsteller vor Gericht gehen oder eine Beschwerde beim Europäischen Bürgerbeauftragten einreichen.
Der Zugang zur Information kann nur abgelehnt werden, wenn deren Freigabe das öffentliche Interesse in den Bereichen öffentliche Sicherheit, Verteidigung und militärische Belange, internationale Beziehungen sowie Finanz-, Währungs- oder Wirtschaftspolitik der Gemeinschaft oder eines Mitgliedstaats oder aber den Schutz der Privatsphäre des Einzelnen beeinträchtigen würde. Weitere Gründe für eine Zugangsverweigerung bestehen darin, dass eine Freigabe der Information den Schutz der geschäftlichen Interessen eines Einzelnen oder eines Unternehmens oder den Schutz von Gerichtsverfahren und Audit-Tätigkeiten beeinträchtigen würde, es sei denn, es besteht ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Verbreitung.
Im ersten Jahr seit Inkrafttreten der neuen Rechtsvorschrift hat sich die Zahl der Anträge mehr als verdoppelt.
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